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Ausgabe:

1877 Nr. 7

Spalte:

181-182

Autor/Hrsg.:

Thiersch, Heinrich W. J.

Titel/Untertitel:

Christian Heinrich Zeller’s Leben. 2 Bde 1877

Rezensent:

Lindenberg, H.

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Seite 1

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l8l Theologifche Literaturzeitung. 1877. Nr. 7. 182

,Wer fich', fagterS. 219, ,in diefen lutherifchen Kirchen- I Mannes zum erften Mal durch ein wahrhaft chriftliches
begriff eingelebt hat, der fieht mit fouveräner Gleich- Familienleben erwärmt wird, endlich der Umgang mit

gültigkeit den Beftrebungen derer entgegen, die, weil
wir Armen es noch zu keiner Kirche gebracht haben

einem kleinen Kreis ideal angelegter Freunde (Passavant,
Schmid, Reichard,Hoffmann u.a.), der zuletzt zur Stiftung

dem lieben Gott und uns durch ihre Experimente dazu 1 eines feierlichen Tugendbundes führt. Nach glänzend
helfen wollen'. — Kurz das Oehlerfche Lehrbuch bietet j beftandenem jurift. Examen tritt er in Ludwigsburg als
zwar keine Förderung der Symbolik als Wiffenfchaft, j Kanzlei-Advokat ein, um jedoch bald, feiner innern Nei-
aber es ift ein recht tüchtiges Lernbuch, welches man j gung nachgebend, einem Ruf als Privatlehrer in der Familie
angelegentlichft befonders Studirenden empfehlen darf, | von Schnurrbein in Augsburg zu folgen. Von Peftalozzi
welches auch an feinem Theile dazu beitragen wird, noch | begeiftert, wendet er fich drei Jahre fpäter nach der
lange den Namen des trefflichen Verfaffcrs beim theo- j Schweiz, wo er zuerft ein Privatinftitut in St. Gallen
logifchen Publicum lebendig zu erhalten. j leitet, bis er im Jahre 1809 als Schuldirector nach Zofin-

Erlaneen G Plitt Sen berufen wird. In die Zeit feines Zofinger Aufent-

ö halte fällt die ftille allmähliche Umwandlung in Zeller's

innerem Leben aus dem alten Rationalismus heraus zum
Thiersch, fleinr. W. J., Christian Heinrich Zeller's Leben, lebendigen chriftl. Glauben. Ein Befuch in dem neu
2 Bde. Mit Zeller's Portrait (Stahlft.) Bafel 1876, | gegründeten Miffionshaus in Bafel weckt in ihm den
ci -i ,vnr -,-t m c ~- Q i/r r ! Wunfeh, dafs doch .ähnliche Anhalten wie für die ferne
Schneider. (XIV, 321 u. VII, 376 S. gr. 8.) M. 6. —, , Heidenwelt auch für unfere armen Gegenden in der Nähe

feine Ausg. M. 8. - errichtet und chriftliche Lehrer in ähnlichem Geift wie
Zum erften Mal wird hier in gründlicher Ausführ- die Heidenboten für unfere armen Kinder und Gemeinden
gebildet werden könnten'. Diefer Wunfeh war das
Samenkorn, aus dem die hernach fo blühende Lehrerund
Kinderanftalt zu Beuggen hervorging. Mit der
Schilderung der Gründung und erften Blüthe der Beug-
gener Anhalt, in die paffend eine Darheilung der Zeller'-
fchen Erziehungslehre und feiner in dem heutigen focia-
len Kampf fehr beherzigenswerthen Anfchauungen über
Armuth und Armenpflege eingefchaltet wird, fchliefst der
1. Band.

Der 2. Band fchildert vorzugsweife das innere Geiftes-
leben Zeller's auf dem Standpunkt der vollen Mannes-

lichkeit das Leben eines Mannes dargehellt, der in der
Gefchichte der Pädagogik eine hervorragende Stelle einnimmt
, des Infpector's der freiwilligen Armen-Schullehrer
- und Armen-Kinderanhalt zu Beuggen. Wenn die
Bedeutung Chr. H. Zeller's wenighens in Norddeutfch-
land bisher nicht nach Verdienh gewürdigt worden ift,
fo liegt der Grund darin, dafs fie weniger in einzelnen
Epoche machenden Schriften als in feiner ganzen Perfön-
lichkeit liegt und erh durch eine genauere Kenntnifs
feiner Entwicklung und feines Wirkens in das rechte
Licht tritt. Indem der Biograph, der durch nahe perfön-

liche Beziehungen zu dem Verftorbenen wie durch Geiftes- ' reife. Obwohl nicht Theologe von Fach, hat er doch
verwandtfehaft in hervorragender Weife dazu befähigt j ein confequent ausgebildetes Syftem. Es ift das eines
war, mit grofser Pietät, aber zugleich mit voller Wahr- I gefunden biblifchen Pofitivismus, der fich im Wefent

heitsliebe das Bild diefes feltenen Mannes bis in die
klcinften Züge hinein gezeichnet hat, hat er nicht nur
der Gefchichte der Pädagogik einen wefentlichen Dienft

liehen in den von Bengel, Oetinger, Roos eingefchlagenen
Bahnen bewegt. Die biblifche Wahrheit, in der er lebt,
ift ihm der Mafsftab für alle Erfcheinungen des Lebens.

erwiefen und einen Beitrag zur Kirchengefchichte des I Seine Urtheile über die brennenden Tagesfragen in
19. Jahrhunderts geliefert, fondern auch dem heutigen Kirche und Staat, über das Verhältnifs von Kirche und
Gefchlecht einen heilfamen Spiegel vorgehalten. Zeller's Schule, von Confeffion und Separation, Staatskirchenthum
pädagogifche Grundfätze gipfeln in dem Satz, dafs die und Freikirche, namentlich aber über die Entwicklung
Hauptaufgabe der Schule, vor Allem der Volksfchule der revolutionären Bewegung unferes Jahrhunderts haben
nicht mechanifche Einpfropfung mannigfaltiger Kennt- i zum Theil durch die Gefchichte in überrafchender Weife
nifse, fondern Erziehung, alle Erziehung aber im letzten ihre Beftätigung gefunden, ein Umftand, der feinen Mahn-
Grunde ,Menfchenrettung' ift, deren Ziel erft mit dem rufen, die er ohne Rückficht nach oben und unten, nach
.wirklichen und freiwilligen Fintritt in die perfönliche rechts und links richtet, befonderen Nachdruck verleiht.
Lebensgemeinfchaft des Sohnes Gottes' erreicht wird, i Zeller felbft hat noch die Stürme der Jahre 1830 und
Je öfter diefe Wahrheit von der modernen Pädagogik 1848 in unmittelbarfter Nähe erlebt, und die Schilderun-
verkannt, ja verketzert worden ift, defto werthvoller ift gen derfelben bilden intereffante Epifoden diefes 2. Bander
durch die Schilderung von Zeller's Leben und Wirken des. Dann ift ihm ein ruhiger Lebensabend und ein
geführte Thatbeweis, dafs eine gefunde, auf biblifche fchönes Ende befchieden gewefen, mit deffen Befchrei-
Grundfätze bahrte Erziehung Früchte trägt, wie he die ,un- | bung der Biograph feine Darfteilung fchliefst. Als An-
biblifch-rationaliftifche' Pädagogik nicht aufzuweiten hat. ; hang ift noch eine fehr werthvolle Sammlung von Apho-
Zeller's Leben ift nicht reich an pikanten äufseren rismen und Ausfprüchen Zeller's beigegeben, theils nach
Ereignifsen. Geboren am 29. März 1779 auf dem wür- j mündlicher Ueberlieferung, theils aus feinen Schriften
tembergifchen Schlots Hohen-Entringen, das fein Vater, zufammengeftellt, ferner ein ausführliches Namen- und
der Hofrath Chrift. David Zeller kurz zuvor als Landhtz Sachregifter. Letzteres liefert den Beweis, dafs der Vergekauft
, verlebt er idyllifche Kindheitstage, die der Bio- faffer nicht blofs ein Lebensbild gezeichnet, fondern da-
graph mit Zeller's eigenen Worten in höchft anziehender mit zugleich ein Stück Zeitgefchichte gefchrieben hat.
Weife befchreibt. Durch das Fegefeuer der Lateinfchule ; Ueber fämmtliche mit Zeller in Berührung getretene
zu Böblingen hindurchgegangen, in [der es keine anderen i Perfönlichkeiten finden fich aufs forgfältigfte zufammen-
Erläuterungen des Lernftoffes giebt' als .durch Tatzen a geftellte Notizen, die mit grofsem Gefchick in die Dar-
' priori und durch Hofenfpannen a posteriori', tritt er in ftellung hineinverwebt find. Die Reichhaltigkeit des ver-
das Gymnafium zu Ludwigsburg ein, wohin fein Vater 1 arbeiteten Materials und die glückliche Gruppirung des
nach Verkauf feines Landfitzes übergefiedelt war. 1796 | Stoffes würden, felbft abgefehen von dem Hauptgegen-
bezieht er die Univerfität Tübingen, um nach dem üb- ftand, diefer Biographie einen bleibenden Werth fichern.
liehen philofophifchen Vorcurfus auf Wunfeh feines Vaters Nuffe bei MöUn in Lauenburg. H. Lindenberg,
ohne eigene Neigung Jura zu ftudiren. Lichtpunkte 6
feiner Studienzeit bilden der Verkehr mit dem Profeffor
der Philofophie Joh. Friedr. Abel, deffen Töchtern er
Privatunterricht ertheilt, der häufige Befuch des Pfarr-
haufes zu Gönningen, in dem das Herz des jungen