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Ausgabe:

1877 Nr. 7

Spalte:

179-181

Autor/Hrsg.:

Oehler, Gust. Friedrich

Titel/Untertitel:

Lehrbuch der Symbolik 1877

Rezensent:

Plitt, Gustav Leopold

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179 Theologifche Literaturzeitung. 1877. Nr. 7. 180

Oehler, Prof. Guft. Friedr., Lehrbuch der Symbolik.

Herausgegeben von Prof. Dr. Johs. Delitzfch.
Tübingen 1876, Heckenhauer. (XII, 653 S. gr. 8.)
M. 10. —

Das vorliegende Werk ift die Hinterlaffenfchaft
zweier Verdorbener. Denn auch dem Herausgeber,
Prof. Lic. Joh. Delitzfch war es nicht vergönnt, die von
ihm übernommene Arbeit felbft ganz abzufchliefsen.
Er ward hinweggenommen vor Vollendung des Druckes,
den dann der Vater überwachte. Die Hauptarbeit aber,
die Herftellung des Manufcriptes, hat er noch felbd
geleiftet; und er hat viel Fleifs darauf verwendet. An
nicht wenigen Stellen bekunden die in eckige Klammern
eingefchloffenen Zufätze feine Hand, — der Abfchnitt
über das Vaticanum ift ganz von ihm, — und das Müh-
feligfte einer derartigen Arbeit wird ja dem Lefer gar
nicht bemerkbar.

Das Herausgeben von Vorlefungen Verdorbener id
ein mifsliches Ding. In den letzten 20 Jahren id viel
Unfug damit getrieben worden, fo dafs man im Allgemeinen
recht dringend davor warnen mufs. Selten wird
durch folche Veröffentlichung die Wiffenfchaft gefördert;
eine Vorlefung foll einmal kein Buch fein; und in vielen
Fällen gefchieht nicht einmal dem Namen des Verdorbenen
ein Diend damit. Im gegenwärtigen Falle verhält
es fich etwas anders. Wenn man Öehler's Vorlefungen
über Symbolik durchlied, fo erhält man an
manchen Stellen, z. B. S. 344 den Eindruck, als fei die
Niederfchrift fchon mit Hinblick auf eine künftige Veröffentlichung
gemacht, und wir wiffen jetzt aus Öehler's
eigenen Worten, dafs er eine folche erwartete, alfo auch
wohl wünfehte: ,Auch mir wirds gehen wie Steudel.
Auch meine Vorlefungen werden erd nach meinem
Tode veröffentlicht werden'; vgl. Knapp, Gudav Friedrich
Oehler S. 222.

Die vorliegende Symbolik id gut gefchrieben und
lied fich angenehm, und befonders wohlthuend berührt
die Wärme, mit der der Verfaffer feinen Gegendand
behandelt. Er kennt die hohe Bedeutung der Symbole
auch für die Kirche der Gegenwart und dcht ihnen nicht
kalt als blofs hidorifrhen Urkunden gegenüber, fondern
er hat fich hingebend in de verfenkt und dicht nun
auch feine Hörer und Lefer in das wahre Verdändnifs
derfelben einzuführen. Er fühlt fich als treues Glied
feiner Kirche, welcher er auch mit diefer wiffenfehaft-
lichen Arbeit zu dienen habe, und verwirft daher eine
falfche Gleichgültigkeit oder vermeintliche Unparteilichkeit
, wie de z. B. in der Forderung Köllner's, das
katholifche Dogma vom echt katholifchen Standpunkte
aus darzustellen, dch ausfpricht: ,Die von Köllner gedeihe
Forderung id an dch eine völlig unvollziehbare
— vor allem im Intereffe der Wahrhaftigkeit und der
gefchichtlichen Treue' S. 24. Aber wie entfehieden er
auch zum Bekenntnifs feiner Kirche deht, nirgends verleitet
ihn dies doch zur Unbilligkeit oder Härte gegen
andere Confefdoncn. Denn auch die därkden Worte,
die er z B. gegen die römifche Kirche richtet, wird
Niemand, der die Verhältnifse kennt, als zu hart bezeichnen
können.

Das ganze Werk zerfällt in 2 Haupttheile, einen
.allgemeinen' und einen ,fpeciellen', Bezeichnungen, die
nicht ganz paffend gewählt find, denn der .allgemeine'
Theil foll von der Entdehung und dem Charakter der
kirchlichen Lehrbegriffe und der von ihnen zeugenden
Symbole handeln, der .fpecielle' hingegen von den Lehrbegriffen
felbd. Die Entdehung der Symbole id im
erden Thcile gut gefchildert, nur hie und da dürfte im
Gefchichtlichen etwas zu weit ausgeholt fein. Was die
beigefügten Literaturangaben betrifft, fo fieht man nicht,
nach welchen Principien Verfaffer und Herausgeber
verfahren find. Mehrfach fehlt Bedeutendes, während
minder Wichtiges angegeben id. So hätte doch $ 25

und 26 gefügt werden müffen, wo die Augudana und
die Apologie im Corpus Reformatorum zu finden find.
Ebenfo fehlt bei all den Calvinfchen Schriften der Hinweis
auf das genannte Corpus. S. 88 vermifst man eine
Befprechung des falfchen professio fidei Tridentina, wie
z. B. auch Denzinger in feinem Enchitidion immer datt
Tridentinae druckt. S. 119 find die Angaben über den
deutfehen Text der Apologie nicht ganz genau; das
Richtige würde der Herausgeber in meiner Schrift über
die Apologie gefunden haben. S. 43 Z. 8 v. u. id das
nicht zu dreichen; S. 162 Z. 3 v. u. lies 1575; S. 173
deht zweimal fälfehlich Uptenbogaert.

Der 2. Theil behandelt den Inhalt der Symbole und
zwar nach der gewöhnlichen fogenannten Localmethode.
Wird bei diefer nun immer der Stoff in unpaffendder
Weife zerriffen, fo zeigt fich das diesmal in ganz befon-
derem Mafse. Es id darnach gar nicht möglich, einen
einzelnen Lehrbegriff als etwas in fich Zufammenhängen-
des und Gefchloffenes zu überblicken, und am meiden
zu kurz kommt hierbei die griechifche Kirche. — Die
beiden Abfchnitte des 2. Theiles behandeln ,die Lehn
von der Kirche' und ,die Lehren der Kirche', letztere
in der Reihenfolge: Theologie, Anthropologie, Soterio-
logie, Efchatologie, wobei immer mit der Lehre der rö-
mifchen Kirche begonnen wird; vergleiche gegen das
Letztere meine Anzeige der Symbolik von Reiff in die-
fem Blatte 1876 No. 20. Solche Gegcnüberdellung von
Lehre von der Kirche und Lehren der Kirche id eine
logifch unhaltbare und darum die hierauf gegründete
Eintheilung eine falfche. Das, was als befonderer erfter
Theil gefafst wird, fubfummirt fich dem zweiten. Die
Lehre von der Kirche gehört ebenfo gut zu den Lehren
der Kirche, wie z. B. die Lehre von den Sacramenten,
und man hat gar keinen Grund, fie fo einfeitig hervorzuheben
. Oehler kommt dazu nur dadurch, dafs er dem
falfchem Brauche folgend, meint, mit der römifchen
Kirche beginnen zu müffen. Ueberhaupt id es nicht an
dem, wenn er Seite 199 fagt: ,Die Darflellung des Lehr-
gegenfatzes der getrennten Kirchen hat auszugehen von
der Frage nach dem Erkenntnifsprincip und den Erkcnnt-
nifsquellen der kirchlichen Lehren'. Das ergiebt nur
eine Differenz und nicht die entfeheidende. Die Theil-
kirchen find meid erd entdanden, kommen jedenfalls
erd zur entfeheidenden Symbolbildung durch die Reformation
. Das Grundthema der Reformation aber war
die Gewiffensfrage: wie komme ich zum Frieden mit
Gott? und: wie werde ich meines Ffeiles gewifs? Die ver-
fchiedene Antwort hierauf charakterifirt die Theilkirchen.
Wenn man alfo von diefer Antwort ausgeht, nachdem

! man noch betrachtet hat, wie die Theilkirchen fich zur
kirchlichen Vergangenheit dellen , fo erfafst man die
einzelnen Lehrbegriffe in ihrer Eigcnthümlichkeit und das
id zunächd wichtiger, als das Vergleichen, welches übrigens
fchon bei jenem Thun gar nicht ausbleiben kann.
— Gegen die Stoffeintheilung, die der Verfaffer gewählt
hat, wäre mithin manches zu erinnern. Dagegen id in
hohem Mafse zu loben die Treue und Zuverläffigkeit,

I mit der er fond den Stoff behandelt hat. Er bietet ein

' aufserordentlich reiches Material, ja man möchte fagen,
dafs er dellenweife in Mittheilung von Dogmenge-
fchichtlichem zu viel thue, wie er auch aus der fpäteren
Dogmatik mehr herüber nimmt, als richtig fein dürfte,
indem fo die Grenzen der Symbolik nicht immer reinlich
gewahrt werden. Andererfeits hätte wieder in der
dogmatifchen Durcharbeitung und Erläuterung des in
den Symbolen Enthaltenen mehr geleidet werden können.
Diefe Symbolik geht, kann man fagen, mehr in die
Breite als in die Tiefe. — Auf Einzelnes näher einzu-

' gehen id hier nicht der Ort. Nur beifpielsweife werde
etwa hervorgehoben, wie der Verfaffer fich bemüht, die
Lehre der lutherifchen Symbole von der Kirche zu

j erläutern und gegen Verdrehungen, ungehörige Angriffe
und ungefchickte Verbefferungsverfuche zu vertheid.igen.