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Ausgabe:

1876

Spalte:

161-162

Autor/Hrsg.:

Hengstenberg, E. W.

Titel/Untertitel:

Vorlesungen üb. die Leidensgeschichte 1876

Rezensent:

Schmidt, Woldemar

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Seite 1

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161 Theologifche Literaturzeitung. 1876. No. 6. 162

Hengstenberg. weil. Prof. Dr. E. W., Vorlesungen üb.
die Leidensgeschichte. Leipzig 1875, Hinrichs' Verl.
-304 S. gr. 8.) M. 5. —

Mit vorliegender Schrift empfangen wir eine neue Gabe
aus dem Nachlafs des verewigten Hcngftenberg. Ob die Pu-
blication auf des Verfaffers Collcgienhcft oder auf Nachgen
der exegetifchen Wiffenfchaft nicht Rückficht genommen
wird, gereicht dem Buche wenig zum Vortheil
und drückt ihm das Gepräge eines Alters auf, das ihm
thatfächlich nicht zukommt. Fremde Meinungen, auch
die der negativen Kritik vornehm zu ignoriren, ift freilich
viel leichter als fie im Dienfte einer innerlich gebundenen
, aber wahrhaft freien Schriftforfchung wiffenfehaft-

fchriften feiner Zuhörer fich ftützt, überhaupt welche Princi- ! lieh zu widerlegen,
pien ihr zu Grunde liegen, erfahren wir fo wenig wie den Die Auslegung felbft ift übrigens nicht ohne prak-

Namen des Herausgebers felber. Auch über die Gefchichte tifche und erbauliche Beziehungen (z. B. S. 60. 139. 154,
der ,Vorlefungen' ift kein orientirendes Wort vorausge- auch nicht ohne dogmatifche Expofitionen, die nach Geilt
fchic'kt. Nur der flüchtige Hinweis (S. 3) auf Steinmeyer's i und Tendenz nicht erft zu fchildcrn find. Mit befonde-
,Leidensgefchichte des Herrn' (Berlin, 1868) lehrt, dafs fie j rem Gefchick weifs der Verfaffer einzelne neuteftament-
noch einmal im Jahre vor Hengftenberg's Tode (28. Mai liehe Perfönlichkeiten zu zeichnen, wie die des Petrus

1869) gehalten wurden. Nachträge aus der übrigen Li
teratur neuerer Zeit find fchr feiten und beweifen am
wenigften die bis zuletzt befferndc Hand des Verfaffers.

Die Abgränzung des gefammten Stoffes, namentlich
die Beftimmung des ierminus a quo motivirt die Einleitung, j

Hengftenberg beginnt nicht fchon mit dem Einzug Jefu Deutsch, Lic. Prof. Mart, Drei Actenstücke zur Geschichte

in Jerufalem, weil gerade hier die Evangeliften weiter aus rj Donatismus. Neu hrsg. u. erklärt. Berlin 1875,

S. 179 fg.; aber die Gränzen des guten Gefchmacks werden
bei diefer Gelegenheit S. 219 auffallend überfchritten.

Leipzig. Wold. Schmidt.

einander treten als je, befonders Matthäus, der Jefu Thä
tigkeit nach aufsen, und Johannes, der Jefu Walten im
Äpoflelkreife zu befchreiben habe. Als Eingang zur Lei-
densgefchichtc nimmt er vielmehr die Erzählung des
letzten Paffamahles, fo zwar dafs er mit den Berichten
der Synoptiker den Abfchnitt Joh. 13, 21—29 verknüpft.
In fechs Abtheilungen wird dann alles Weitere (doch
mit Auslcheidung der Abfchiedsreden beijohanncsj lichtvoll
auseinander gehalten und im ,Anhang' die Gefchichte
der Auferftehung und Verherrlichung erörtert. Dafs die
letzten Partien, zumal Jefu Worte am Kreuz (S. 250 ff.),
kürzer als Früheres behandelt werden, hängt deutlich
mit den Schranken des akadcmifch.cn Semeftcrs zufam-
men. — Zum guten Theile iff der Inhalt der ,Vorlefun-
gen' nicht neu zu nennen. Was S. 9 ff. über die Zeit-
verhältnifse des Abfchnitts von der Einfetzung des Abendmahles
und S. 26 ff. über Wefen und Form des Paffa
gefagt ift, hat Hcngftenberg auch anderwärts ausgefpro-
chen (vgl. ,Ev. K.-Ztg.' 1852), und alle johanneifchen Pe-
rikopen haben felbftverftändlich fchon in deffen Com-
mentar ihre Erklärung gefunden, die dem hier Gegebenen
oft felbft im Ausdruck nahe kommt (vgl. z. B. 13,
23 ff. S. 81 fg. mit Comm. Bd. II S. 373 fg.; 18, 19 fr.
S. 170 fg. mit Comm. Bd. III, S. 201 fg. u. ö.). Kundige
wiffen von dorther, dafs der Verfaffer diefe johanneifchen
Berichte mit der Relation der Synoptiker gern auf
dem Wege der Ergänzungshypothefe in Einklang bringt.
Erheben fich fchon hiergegen nicht feiten ernfte Bedenken
, fo fteigert fich der Widerfpruch, wo der Verfaffer
entfehieden harmoniftifche Nothgriffe thut. Oder ift's
nicht ein Machtfpruch der Harmoniftik, wenn zur zweiten
Verläugnung Petri (S. 176) bemerkt wird: ,nach Matthäus
redet ein anderes Mädchen, nach Marcus daffelbe,
worin gar kein Widerfpruch liegt'? — ,kein Widerfpruch'
deshalb, weil, wie im Weiteren ausgemalt wird, die Thürhüterin
einer andern ihre Entdeckung mitgetheilt, mit
ihr zufammen den Petrus aufgefucht und ihn vor dem
übrigen Gefinde in Verlegenheit zu bringen getrachtet
habe. Auch der Einklang zwifchen dem Gtat Matth. 27,
9 und Jeremias 08, 2 fg.) wird S. 200 fg. energifch feilgehalten
; denn die Grundweiffagung, die fich nach Matthäus
rcalifirte, hat, wie behauptet wird, dem Jeremias
angehört und ift von Sacharja (Ii, 1?.. 13) einfach wieder
aufgenommen und mehr individualiflrt worden. Und faft
noch fchneller als hier verfährt der Verfaffer S. 195, wo
es gilt den Bericht des Matthäus (27, 5; und Petrus
(Apftlgefch. I, 18) über das Schickfal des Judas in Einen
Ton zu flammen, wie S. 272 ff., wo die Erzählung der
vier Evangeliften über Chrifti Auferftehung in Eine Dar-
ftcllung vereinigt werden. Hier überall tritt jene Befangenheit
hervor, die er felbft wiederholt (S. 3. 5) an Anderen
rügt. Dafs bei alle dem auf die neueren Leiftun

Weber in Comm. (42 S. gr. 4.) M. 1. 20.

Die Actenftücke find die zuerft von Papirius Maffon
au« einer Handfchrift der Colbertina herausgegebenen,
vorzüglich durch die Dupin'fche Ausgabe des Optatus
und die Benedictinerausgabe des Auguftinus bekannten,
und zwar in erfter Linie die Gesta purgationis Felkis epi-
scopi Aptungitani. Herr Deutfch verfolgt den doppelten
Zweck, den Text derfelben richtiger zu ftellen, fodann
aber auch aus dem Inhalt ein Urtheil über die wirklichen
Anläffe des donatiftifchen Streites und den Charakter der
Parteien zu gewinnen. In erfterer Beziehung hat er, fo-
weit es ohne neue Vergleichung der Handfchrift möglich
ift, die Sache wefentlich gefördert, namentlich durch
die genaue Unterfcheidung der Stücke, aus welchen die
Gcsta purgationis beliehen, und man kann nur etwa aus-
ftellen, dafs er in der Verbefferung des Textes zu vor-
fichtig geblieben ift. Auch zur Erklärung im einzelnen
ift viel treffendes beigebracht, z. B. über die Worte si
in eis cerapossit inveniri, S. IO, Anm. 12. Dagegen möchte
ich nicht annehmen, mit Anm. 18, S. 12, dafs epistolas
salutatorias corrumpirt fei aus ep. salutarcs, letzteres im
Sinne der heiligen Schriften. Diefer Gebrauch von saiu-
taris ift nicht nachgewiefen, dagegen dürften epistolac
salutaloriac Begrüfsungs- und Glückwunfch-Schreiben von
einer Kirche zur andern fein, und die Ausfage des Alfius
Caecilianus damit befagen wollen, dafs eben nicht die
heiligen Schriften, fondern nur folche Briefe zur Vernichtung
gekommen feien. Die Acten find dadurch erwachten
, dafs Conftantin nach der Römifchen Verhandlung
über die Klage der Donatiften, während er das
Urtheil noch einmal einer Synode, der in Arles, übergab,
zugleich in Afrika Unterfuchung über den Leumund des
weihenden Bifchofs Felix von Aptunga anftellen liefs.
Die Verhandlung führte an Stelle des kranken Vicarius
Verus der Proconful Aelianus. Was wir davon haben,
beginnt mit dem Protokoll über eine vorbereitende Verhandlung
in Aptunga, das zur Verlefung kam, und welchem
gleich darauf ein weiteres, ebenfalls verlefenes Protokoll
über eine Vorunterfuchung in Carthago folgt. Aus
diefer ergibt fich als Hauptbeweismittel der Donatiften
gegen Felix und daher auch als I Iauptgegenftand der
folgenden Unterfuchung ein Brief des gewesenen Duum-
virs von Aptunga, Cäcilian an Felix, aus welchem be-
wiefen werden follte, dafs Felix Traditor gewefen fei.
Gegen die Beweiskraft deffelben aber wird von der anderen
Seite eingewendet, dafs der Brief überhaupt dem
Cäcilian durch die Intrigue eines gewiffen Ingentius abgelockt
, und dafs er dann überdies von diefem noch
mit einem gefälfehten Zufatz verfehen worden fei. Ingentius
gefleht dies ein, nachdem er mit der Folter bedroht
ift, und Aelian läfst die Angaben des Cäcilian