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Ausgabe:

1876 Nr. 3

Spalte:

86-90

Autor/Hrsg.:

Vilmar, A. F. C.

Titel/Untertitel:

Dogmatik. Akademische Vorlesgn. Nach dessen Tode hrsg. v. K. W. Piderit. 2 Thle 1876

Rezensent:

Schultz, Hermann

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Theologifche Literaturzeitung. 1876. Nr. 3.

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auf, dafs diefe feine künftlerifch hochftehende Arbeit
gegen die rohen und unfchönen Werke jener Periode
grell abfticht. Eingehende Forfchungen haben es de
Roffi erwiefen, dafs diefe Mofaik weit älter ift, und das
kunftluftorifche Urtheil berechtigt ift, diefelbe in das 4.
oder 5. Jahrhundert, d. h. in die Zeit der Erbauung des
Baptifteriums felbft zu verlegen. Die Mofaik in S. demente
fcheint nach dem Vorbilde diefer lateranifchen
gefertigt zu fein.

Eine andere Tafel behandelt die Mofaik des Triumphbogens
aus der Kirche S. Lorenzo fnori le tnura, die, wie
die Neugeftaltung der Kirche, die bekanntlich gänzlich
umgebaut wurde und an der Stelle, wo früher die Apfis
lag, das neue Schiff erhielt, von Pelagius IL 578—590
herrührt. Auch hier thront Chriftus im finftern mön-
chifchen Typus in der Mitte, links und rechts daneben
Petrus und Paulus, dann rechts neben Paulus Laurentius,
den Papft Pelagius mit dem Kirchenmodell umarmend,
links neben Petrus Stephanus und weiterhin der heilige
Hippolytus, ebenfalls aufgenommen, weil hier fein Grab
verehrt wurde. Intereffant find die archäologifchen Bemerkungen
, die de Roffi an den Umftand knüpft, dafs
Laurentius aufser dem Evangelienbuche, das er wie Stephanus
als Zeichen ihres Diakonenberufs aufgefchlagen
in der Hand hält, noch ein Kreuz an langer liaßa trägt,
wie Chriftus und die Apoftel, das aber dem Stephanus
fehlt. De Roffi erklärt es daraus, dafs Laurentius durch
fein Martyrium ein grofser Einflufs auf die Bekehrung
Roms zugefchrieben wurde.

Noch ift zu erwähnen eine Wandmofaik über dem
Portal der Kirche £. Sabina in Rom. Es ift eine Infchrift,
die fich auf die Gründung der Kirche bezieht, in fehr
fchönen Charakteren, links und rechts zwei weibliche Geftal-
ten, die Kirche des Judenthums [ecclesia ex circumeifwne) und
des Heidenthums (ecclesia exgentibus) darfteilend und zwar
in reinftem und edelftem Gefchmack, fo dafs de Rossi
nicht anfleht, fie der beften Zeit des altchriftlichen Kunft- |
fchaffens zuzufchreiben. Ciampini hat noch die Gehalten
des Petrus uud Paulus dabei gefehen.

In jeder Lieferung findet fich aufserdem eine Tafel,
das mufivifche Pflafter in der Kirche Sta Maria Maggiore
in verfchiedenen Theilen darfteilend. Auch in der Wiedergabe
diefer anmuthig verfchlungenen, in harmonifcher
Farbenzufammenftellung ausgeführten Mufter hat die
Chromolithographie Triumphe gefeiert.

Das Gegebene läfst uns das Verfprochene mit um
fogrüfserer Spannung erwarten. Wir können nurwünfehen,
dafs der hone Preis des Werkes kein Hindernifs fei,
daffelbe zu allgemeinfter Kenntnifs, namentlich auch in
theologifchen Kreifen gelangen zu laffen, und find überzeugt
, dafs daffelbe nur die Ueberzeugung fettigen wird,
dafs die theologifchen und künftlerifchen Studien fich
näher berühren, als man anzunehmen gewohnt ift, und
der Theolog aus den letzteren nicht nur ein Vergnügen,
fondern eine wefentliche geiftige Bereicherung zu gewinnen
im Stande fei.

Leipzig. Cl. Brockhaus.

Dreydorff, Paft. Dr. Joh. Geo., Pascal's Gedanken über

die Religion. Eine hiftor. u. religionsphilofoph. Unter-
fuchg. Leipzig 1875, Hirzel. (171 S. gr. 8.) M. 2. 40.

Das vorliegende Buch bleibt jedenfalls hinter den
Erwartungen zurück, welche fein Titel erweckt, denn wir
erfahren durch dasfelbc verhältnifsmäfsig wenig von den
.Gedanken' des berühmten Apologeten, dagegen allerdings
umfoviel mehr von den Reflexionen, mit welchen der
fcharffinnige und gelehrte Hr. Verf. jene begleitet. Ob
derfelbe aber wohl gethan habe, die Unterfuchung über
Entftehung, Plan und Tendenz der pensees — und diefe
Unterfuchung macht den Inhalt des Buches aus — von
Pascal's Biographie zu trennen, mufs uns auch nachKennt-
nifsnahme ihrer Refultate fraglich fcheinen. Es dürfte

doch kaum möglich fein, aus den ungeordneten und an
Widerfprüchen fo reichen ,Gedankentrümmern' allein
den Plan, welchen Pascal mit feiner Apologie verfolgte
und die Methoden, durch welche er ihn auszuführen gedachte
, mit Sicherheit feftzuftellen, wie denn auch der
Verf. überall auf biographifche Anhaltspunkte zurückzugreifen
genöthigt ift. Die fcharffinnige Unterfcheidung
eines ,dreifachen Verfuchs' Pascal's läfst aber um fo
mehr diefe biographifche Rechtfertigung vermiffen, als
unfer Apologet ganz der Mann dazu ift, Widerfprüche
in feiner Perfönlichkeit zu vereinigen, die logifch unvereinbar
, feine Kritiker nur zu leicht verleiten, fofort ver-
fchiedene philofophifche oder dogmatifcheEntwickelungs-
ftadien bei ihm zu conftatir.en. So ift es z. B. hiftorifch
ebenfo unmöglich wie pfychologifch überflüffig eine
Periode des Skepticismus von einer folchen des Dogmatismus
für Pascal genau zu fcheiden. Denn Skepticismus
findet fich auch noch in feinem fpäteften chrift-
lichen Dogmatismus. Und er mufste fich dort finden;
oder welchen triftigeren Beweis konnte denn überhaupt
ein Apologet im Stile Pascals für feinen religiöfen Sup-
ranaturalismus führen, als den, welchen er der Voraus-
fetzung der moralifchen Depravation des menfehlichen
Intellects entnimmt?

Dafs Pascal mit der Widerlegung des Atheismus
zugleich eine Apologie des Chriftenthums fchreiben wollte
und dafs ihm zu dem Ende die äfthetifch - praktifche
Methode {,echauffer, non instruirc!') am nächften lag, ift
auch des Verf. Meinung. Ob derfelbe aber mit der Behauptung
, dass Pascal im Unterfchiede von den modernen
Apologeten, für welche Hr. Dreydorff manches abfällige
Wort hat, bereits die anthropologifche Begründung der
Religion in's Auge gefafst habe, nicht über das dem
geiftvollen Franzofen gefleckte Ziel hinausfehiefst, laffen
wir hier dahingeftellt

Worms a. Rh. Wilh. Bender.

Vilmar, weil. Prof. Dr. A. F. C., Dogmatik. Akademifche
Vorlefgn. Nach deffen Tode hrsg. v. Dir. Dr. K. W.
Piderit. 2 Thle. Gütersloh 1874 u. 75. Bertelsmann.
(VIII, 392 u. 384 S. gr. 8.) ä M. 6. —

Die theologifchen Leferkreife fchulden dem inzwifchen
auch verdorbenen Herausgeber diefer Vorlefungen, Dr.
K. W. Piderit, aufrichtigen Dank. Denn in diefem Buche,
wie es die Moral- und die Paftoraltheologie Vilmars ergänzt
, tritt uns der Gedankenkreis eines merkwürdigen
und bedeutenden Mannes zufammenhängend entgegen,
eines Mannes, welcher es verftanden hat, in feiner Dar-
ftellung der deutfehen Nationallitcratur ein Liebling der
Gebildeten zu werden, während er zugleich einer der
entfchloffenften Gegner der modernen Lebensanfchauung
war, — und welcher dabei eine durchaus einheitliche und
gefchloffene Perfönlichkeit geblieben ift, — eines Mannes,
deffen mächtige Perfönlichkeit auch nach feinem Tode
kämpfend und leitend in dem heffifchen Kirchenftreite
fortwirkt. Und Niemand wird das Buch aus der Hand
legen, ohne von der Wucht und Folgerichtigkeit der Gedanken
, von der markigen und einfachen Sprache und
von der ernfthaften und furchtlofen Gefinnung darin be-
deutfam berührt zu werden, und zu verliehen, dafs der
Inhalt diefer Vorlefungen auf die empfänglichen Gemüther
der Jugend einen mächtigen und entfeheidenden Eindruck
machen mufste.

Wiffenfchaftlich allerdings ift der Werth diefer Vorlefungen
fehr unbedeutend. Sie fchliefsen fich in der
Anlage an den Hutterns redivivus an, gehen in dem gelehrten
Material feiten über das dort Gegebene hinaus,
und fetzen fich mit den Gegnern der als kirchlich feilgehaltenen
Anfchauung kaum anders als durch Macht-
fprüche auseinander. Von wiffenfehaftlicher Exegefe und
Kritik des biblifchen Stoffs ift keine Rede, und die fym-
bolifche und dogmengefchichtlichc Begründung wird auf