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Ausgabe:

1876 Nr. 3

Spalte:

76-79

Autor/Hrsg.:

Volkmar, Gust.

Titel/Untertitel:

Die neutestamentlichen Briefe, geschichtlich im Zusammenhang erklärt. 1. Bd. Paulus’ Römerbrief 1876

Rezensent:

Weiß, Bernhard

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Theologifche Literaturzeitung. 1876. Nr. 3.

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in den beiden andern Göttern der oberften Triade, Anu
und Hea, andere Geftaltungen des Sonnen- oder Himmelsgottes
zu erkennen feien, und dafs endlich der oberfte Gott,
llu oder Afur, urfprünglich diefe verfchiedenen Indivi-
dualifirungen umfafste; Manche% weift auch für ihn noch
in der fpäteren Zeit auf eine folare Bedeutung hin.
Daraus aber, dafs in dem Belsthurm zu Babel das Grab
des Bel-Marduk gezeigt wurde, darf nicht mit Lenor-
mant (S. 121) gefolgert werden, dafs er ein erfterbender
Sonnengott war gleich dem Tammuz-Adonis; vielmehr
ift daraus zu entnehmen, dafs der Hauptgott
Babels fpäter als ein menfchlicher König aufgefafst
wurde, deffen Grab man zeigte wie das des Zeus auf
Kreta. Sehr zu beachten ift dagegen die Bemerkung
S. 115, welche die Präponderanz des Mondgottes Sin
vor dem Sonnengott Samas auf politifche Verhält-
niffe zurückführt. ■— Der achtftrahlige Stern als Gottheitsdeterminativ
im Akkadifch-Babylonifchen ift nicht
etwa gegen urfprünglichen Sonnendienft geltend zu
machen; denn dies Zeichen kann ebenfowohl die
Sonne als einen Stern bedeutet haben. Bei diefer Re-
duction des ausgebildeten babylonifchen Pantheon's
auf eine ältere, die einzelnen Gottheiten weniger benimmt
unterfcheidende, Form wird die babylonifche
Religion der fyro-phönicifchen bedeutend näher gerückt,
und Ref. ftimmt durchaus dem Verf. darin bei, dafs die
fyro-phönicifche Religion nicht eine die Unterfchiede
der einzelnen Gottheiten verwifchende Depravation des
babylonifch-affyrifchen Syftemes fei, fondern die ältere
von den Speculationen und Claflificationen der babylonifch
-affyrifchen Priefterfchaft noch unberührte Religionsform
darfteile. In den uns fpärlich erhaltenen Nachrichten
von der fyro-phönicifchen Religion findet fich
für die ältere Zeit — in den älteften altteftamentlichen
Nachrichten — nichts von Verehrung der Planeten
neben Sonne und Mond; wichtig aber wäre es, von
Neuem und mit weniger Kühnheit in Combinationen, als
es z. B. von Brandis gefchehen, zu unterfuchen, ob nicht
aus griechifchen Nachrichten Reite uralten Planeten-
dienftes in den phönicifchen Colonieen zu erweifen
find.

Als ganz verfchieden von dem Religionsfyitem der
Nordfemiten, welches auf Zergliederung der in der ganzen !
Natur, fpeciell in den Himmelskräften verehrten Gottheit j
in ihre einzelnen Manifeftationen beruht (Lenormant läfst
fich in feiner Beftimmung der älteften Gottesvorftellung
als des unum et bonum zu fehr von den Neuplatonikern
leiten), ftellt fich das Religionsfyitem der akkadifchen
Bücher der Magie dar. Es beruht auf der Verehrung der
Elementargeifter, welche ohne Rangordnung, nur nach
ihrer wohlthätigen oder fchädlichen Wirkung unterfchie-
den, neben einander geftellt find. Von diefen niederen
Geiftern unterfcheidet fich jedoch eine ihnen überge- |
ordnete Triade: Anna, Hea, Mul-ge, d. i. Himmel, Erde
und Unterwelt, welche die Semiten mit ihrer erften Triade
identificirten. Eine hervorragende Stelle unter den gött- j
lieh verehrten Elementen nimmt das Feuer ein. — Mit j
diefem akkadifchen Religionsfyitem haben die Religion I
der Meder, von den fpäteren zoroaftrifchen Elementen j
gefondert, und die der Finnen am meiften Verwandtfchaft
: ebenderfelbe Magismus, beruhend auf Verehrung
der Elementarkräfte, unter welchen auch hier dem Feuer
ein hervorragender Platz eingeräumt ift. So zeigt fich
dem Verf. auf religonsgefchichtlichem Wege, dafs das
ältefte Culturvolk im unteren Euphratlande zu dem tu*
ranifchen oder uralaltaifchen Stamme gehört, näher dem
ugrifch-finnifchen Zweige als dem tatarifchen verwandt.— |
Die Parallelen, welche geltend gemacht werden zwifchen
den akkadifchen Religionsvorftellungen einerfeits und den
proto-medifchen und finnifchen andererfeits, find durchaus
treffend; aber dennoch fcheint uns auf diefem
Wege die Verwandtfchaft der Akkader mit jenen tura- j
nifchen Völkern nicht geradezu bewiefen werden zu j

können. Der Verf. fcheidet in den babylonifchen Religionsvorftellungen
als femitifch aus was Verwandtfchaft
mit den Culten der übrigen Semiten zeigt. Allein dieWeft-
femiten können doch fehr wohl fich zu einer Zeit von
den Semiten Babyloniens getrennt haben, als deren Religion
fchon mit akkadifchen Elementen verfetzt war, fo dafs
auch jene folche hinübernahmen. Das einzige Kriterium
für die Ausfcheidung könnte der alten Religion der Araber
entnommen werden, da diefe nach der fehr wahrfchein-
lichen, neuerdings von Schräder geltend gemachten Annahme
Arabiens als des Urfitzes der Semiten von dem
Einflufs des älteren Culturvolkes in Babylonien unberührt
blieben. Der Verf. hat nun zwar in Bd. II feiner
Lettres assyriologiguex 1872 die Religion der alten Araber
als nahezu identifch mit derjenigen der Syro-Phönicier
darzuftellen fich bemüht; allein Wenige werden den gewagten
Combinationen des Verf. ganz folgen können;
wir wiffen zu wenig von dem altarabifchen Heidenthum,
dazu aus einer zu fpäten Zeit, um diefes zum Kriterium
der echtfemitifchen Religionsvorftellungen zu machen.
Wir glauben, dafs fich auf religionsgefchichtlichem Wege
nicht, fondern nur durch die vereinte philologifche Arbeit
der Affyriologen und der Kenner turanifcher Sprachen
die ethnologifche Stellung der Akkader ermitteln läfst.
Wenn wir dies Bedenken gegen die hier gewählte Beweisführung
nicht verhehlen können, fo ift dagegen
dem Verf. fachlich vollftändig beizuftimmen, wenn er in
nachdrücklicher Weife ausfpricht, dafs der Einflufs der
Akkader auf das Semitenthum von den Affyriologen
überfchätzt worden fei. Sicher find nicht alle Vorftel-
lungen, welche in akkadifchen Texten niedergelegt find,
darum den Akkadern zuzufprechen. Die babylonifchen
Semiten behielten lange die Sprache diefes Volkes neben
der eigenen, befonders als heilige Sprache, in Gebrauch
und können darum ihre eigenften und echtfemitifchen
Gedanken in diefem Idiom ausgefprochen haben.

Wenn wir den Beweis, dafs die Akkader den Proto-
Medern und Finnen nächftverwandt feien, als auf philo-
logifchem Wege erbracht gelten laffen — worüber zu ur-
theilen dem Ref. nicht zufteht — fo hat der Verf. zum
erften Male in genialer Weife und mit voller Ver-
werthung feiner feltenen und bewundernswerthen Ge-
lehrfamkeit gezeigt, wie auf dem Gebiete der Religion
die Verfchmelzung turanifcher und femitifcher Elemente
vollzogen zu denken fei.

Leipzig. Wol f Baudi ff in.

Volkmar, Guft., Die neutestamentlichen Briefe, gefchicht- -

lieh im Zufammenhang erklärt. I. Bd. Paulus' Römerbrief
. Der ältefte Text deutfeh und im Zufammenhang
erklärt. Mit dem Wortabdruck der Vatican. Urkunde.
Zürich 1875, Schabelitz. (XXIII, 188 S. gr. 8.) M. 4. 80.

Nachdem uns der Verfaffer im Vorwort an die
Reihenfolge, die Bedeutung und den Einflufs feiner bisherigen
Schriften erinnert, macht er uns damit bekannt,
dafs er die fchon feit längerer Zeit verbreitete Herausgabe
der ,urchriftlichen Lehrfchriften in epiftolarer Form'
mit dem Römerbriefe des Paulus beginne. Doch ift feine
Abficht nicht, einen neuen Commentar den fchon fo
zahlreich vorhandenen hinzuzufügen, fondern möglichft
alle zu ergänzen durch eine auf ,ebenfoviel Wörtlichkeit als
Verftändlichkeit abzielende Uebertragung' des gereinigten
Textes und durch eine Darlegung feiner Gliederung nach
den eignen Andeutungen des Apoftels. Auf letztere Aufgabe
concentrirt fich fichtlich das Hauptintereffe des Ver-
faffers; denn gleich dieUeberfetzung wird auf's Sorgfältigfte
nach der von ihm angenommenen Dispofition gegliedert,
jeder gröfsere und kleinere Abfchnitt mit Summarien
und Ueberfchriften verfehen und durch mannigfache
Verfchiedenheiten des Drucks und parenthetifche Ein-
fchaltungen die Intention des Apoftels bei jedem Schritt