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Ausgabe:

1876 Nr. 2

Spalte:

55-58

Autor/Hrsg.:

Hölemann, Herm. Gust.

Titel/Untertitel:

Die Reden des Satan in der h. Schrift. Eine exegetisch-historische Analyse und ethische Zeitspiegelung. Neueste Bibelstudie 1876

Rezensent:

Kähler, Martin

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Theologifche Literaturzeitung. 1876. Nr. 2.

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durchziehen, braucht kaum bemerkt zu werden. Nur
vorläufig, meint E., fürchte man ,von oben her' Todes-
ftrafen anzuwenden gegen die Bekenner des Chriften-
thums (S. 113), und wo er vom Selbftmorde aus Verzweiflung
fpricht, verfteigt er fich bis zu der myfteriöfen
Bemerkung: ,wie z. B. wenn ein englifcher Minifter (darin
kühner und aufrichtiger als ein deutfcher) fich den Hals
abfchneidet' (S. 134).

Gegen diefen Band, wie gegen die Anlage des ganzen
Werkes ift einzuwenden, dafs eine Verfchmelzung ATI.
und NT1. Theologie in der hier verfuchten Weife kaum
thunlich ift. Wenigftens müfste dann mehr Ernft gemacht

B. lob flehe und der Verfuchung Mtth. 4, 8 erlegen fei;
dahinter erhob fich für den, der fich zur Kritik, der ,dem
Verdiener fchlechthin abfolut zuftehenden', anfehickte,
das bedenkliche Bild des brüllenden Löwen I. Petr. 5, 8
S. 197 f. Ueber diefe rein perfönliche Schwierigkeit
hinaus aber trat mir ein Dilemma entgegen, welches wohl
die meiilen evangelifchen Exegeten unferer Tage in peinliche
Verlegenheit fetzen wird — das Dilemma, die
Bibel anzuerkennen als ein ,Dictat' Gottes des heiligen
Geiftes im eigentlichen und ausdrücklichften Sinne oder
als ,ein raffinirtes Kunftwerk des übermenfehlichen Lügners
und Mörders von Anfang' S. 8 Anm. S. 254 f. Die

werden mit der hiftorifchen Gruppirung der einzelnen | felbftverftändlich für das erfte Glied der Alternative aus
Abfchnitte, als es hier gefchieht. Dagegen kann man fallende Entfcheidung des H. Verf. bildet die Vorauswohl
fehr zweifelhaft fein, ob diefe Gliederung nach ein- fetzung, von der aus er die Reden des Satan behandelt,
zelnen Locis für die Darfiellung der ATI. Theologie für | So alt die kirchliche Auslegung ift, hat fie eine Unficher-
fich allein nicht vorzuziehen wäre den bisherigen Ver- [ heit über das Verhältnifs der Stellen, in denen Worte
fuchen einer Gliederung des Gefammtftoffes nach hifto- | des Satan zu lefen flehen, zu der nackten Gefchichtlich-
rifchen Gefichtspunkten, welche fich bei dem dermaligen 1 keit gezeigt. Die Verfluchungen des erften und anderen
Stande der ATI. Kritik doch immer nur relativ durch- ! Adam und die Prüfungen des lob gelten dagegen dem
führen läfst. Sicher ift wenigftens die bisher beliebte j Verf. als Thatfachen, deren Darfteilung fchlechterdings
Eintheilung in Mofaismus, Prophetismus und Levitismus I nichts mit Dichtung, Sage, Symbolik oder dergl. zu thun
oder wie man die letzte Periode fonft benennt, nicht J hat, und darum die eingeflochtenen Reden des-Satan
mehr haltbar. In wirklich gefchichtlicher Weife kann für fo authentifch, dafs ihm kaum noch eine Frage

einftweilen nur die Theologie der Propheten dargeftellt
werden. — Dagegen hat die Art, wie Ewald ATI., NT1.
und perfönliche Anfchauungen durcheinandermifcht, ein
wunderliches Mittelding zwifchen einer Ewald'fchen Dog-
matik und einer halb ATI., halb NT1. Theologie zu Tage
gefördert. Uebrigens beruht andererfeits diefe Vermengung
beider Teftamente auf einer tiefgehenden An- I erfindbarkeit wie fie u. a. Keim den Reden Jefu zu-
fchauung von ihrem unzertrennlichen Zufammenhang, j fchreibt, beizulegen,S.254A.,und trautfich darum auch zu,
mit welcher Ewald vielen ATI. Theologen ein leuchten- | fie von den ,feigen, flauen und faulen, jedenfalls ganz

bleibt, ob hier eine ,Uebertragung' aus fatanifcher in
menfehliche Zunge vorliege, S. 6 A. Indem er trium-
phirend diefe echten Aeufserungen des Satans den ab-
geblafsten Darftellungen menfehlicher Dichtung, eines
Göthe, Lenau, Milton, Klopftock gegenüberftellt, fcheut
er nicht ihnen ,in polarem Gegenfatze' eine gleiche Un-

des Vorbild fein könnte.

Haben wir den letzten Band als wenig ergiebig bezeichnet
für die Orientirung in den biblifchen Anfchauungen
, fo ift dagegen mit allem Nachdruck hervorzuheben
, dafs dies in den früheren Bänden durchaus anders
ift, und kaum Jemand fie aus der Hand legen wird, ohne
in vielen Einzelheiten Anregung oder Belehrung daraus
empfangen zu haben. Ganz befcheiden in den Anmerkungen
ift hier oft reiches Material verborgen. Wenn
dies bei dem letzten Bande nicht der Fall ift, fo hat

falz- und energielofen Reden' der Dämonen Mtth. 8, 28 f.
12, 44. zu unterfcheiden. Indem er feine Schrift daher
unbedenklich als Seitenftück zu Stier's Reden Jefu hin-
ftellt S. 8, will er den Satan aus feinen authentifchen
Reden charakterifiren. Man hat neuerdings aus Mifs-
trauen gegen die Unfehlbarkeit der apoftolifchen Schrift-
fteller wohl unternommen, den gefchichtlichen Jefus aus
feinen Reden zu conftruiren und dem dogmatifchen Bilde
gegenüberzuftellen, welches die Urkirche zumal aus den
Thaten des Heilandes gefchöpft hatte; liegt bei unferem

auch er doch feinen grofsen Werth, weil er uns einen 1 H. Verf. etwa ein ähnliches Mifstrauen gegen die doch

Blick thun läfst in den tiefen fittlichen Ernft des Verf.,
der ihn fein ganzes Leben lang geleitet hat und der
vielleicht allein auch zu der Schroffheit und Härte des
Urtheils geführt hat, da wo der Heimgegangene in feinen
oft fehr fubjectiven Anfchauungen befangen war. Dies
Buch ift als fein Schwanengefang ein Zeugnifs feines
geraden Sinnes, welches Jeder in Ehren halten mufs,
und nicht ohne Rührung wird der Lefer bei den Aus-
fprüchen des Verf. von der Hoffnung verweilen (S. 119),
da wo er, der — nicht ohne Schuld — Mancherlei ertragen
mufste, von dem Trotte redet, der in den Leiden
diefer Zeit aufrecht erhält, von dem winkenden Ziel einer
allen irdifchen Schmerz aufwiegenden Vollendung in
einer befferen Welt.

Leipzig. W olf Baudiffin.

Hole mann, Prof. Dr. Herrn. Gust., Die Reden des Satan

in der h. Schrift. Eine exegetifch-hiftorifche Analyse
und ethifche Zeitfpiegelung. Neuefte Bibelftudie.
Leipzig 1875, Hinrichs' Verl. (308 S. gr. 8.) M. 6. —

Die Grundfätze diefer Zeitfchrift verpflichten jeden
Mitarbeiter zu möglichfter Selbftverleugnung für rein
gegenftändliche Berichterftattung. Die bette Abflcht nach
diefer Richtung hin wurde mir inzwifchen felbft verdächtig
, da ich S. 285 erfuhr, dafs ich als irgendwohin mich
fetzender' Erholungsreifender in etwa unter dem vorbildlichen
Einflufs des gefährlichen Herumftreichers aus dem

häufigeren ntl. Auslagen über des Satans Sinn, Thun und
Treiben zu Grunde, wenn er fich behufs eines Einblickes
,in die Tiefen des Satans' S. 7. auf deffen eigene Reden
befchränkt, dem eigenen Urtheile mehr trauend als jenen
Berichten? Es wäre wohl eine unbillige Unterftellung.
Vielmehr hat ihn die Neigung beftimmt, der modernen
negativen Literatur ihr Urbild vorzuhalten; und das konnte
nur in jenen mündlichen Aeufserungen gefunden werden,
denn — wie der H. Verf. verfichern kann — ,Satan gibt
nun einmal nichts Schriftliches von fich' S. 6.

Hierbei verfährt er nun folgendermafsen. Etwa die
Plälfte des gegen 20 Bogen ftarken Buches bringt eine
genaue wörtliche Auslegung der Worte Satans refp. der
Schlange und des zu ihrem Verftändnifs unentbehrlichen
umgebenden Textes. Die Gründe für die Gefchichtlich-
keit werden unter Berufung auf die früheren Unter-
fuchungen des Verf. gelegentlich eingeflochten. Diefer
Theil hat bei der bekannten Gclehrfamkeit des H. Verf.
das Verdienft, den Stoff für die Gefchichte der Auslegung
und damit zugleich für die Wechfel dogmatifcher Auf-
faffung in reicher Fülle mitzutheilen; bei der Verfuchung
Jefu wird man vielleicht von Vollftändigkeit der Specialliteratur
reden können. Die Treue der Berichterftattung
eröffnet dem Lefer, zumal in den Noten, Ausblicke auf
die Ungereimtheiten, zu welchen eine gutgemeinte Pofi-
tivität gegenüber diefen Stoffen führen mag; wie wenn
Gräbner 1869 alles Ernftes lob zu einem zweiten Adam
aufbaufcht, mit einem zweiten Sündenfalle S. 160 A. —1
ift das noch Abwehr oder nicht vielmehr fchon Vor-