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1876 Nr. 26

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679

Titel/Untertitel:

Jaraczewski, Zur Geschichte der Hexenprocesse in Erfurt und Umgegend. Ein Beitrag zur Culturgeschichte des 17. Jahrhunderts. Vortrag 1876

Rezensent:

Möller, Wilhelm

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Theologifche Literaturzeitung. 1876. Nr. 26.

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Beftätigung, indem fie zeigt, wie diefe Lehre zwar in
erfter Linie hervorgerufen ift durch religiöfe Intereffen,
fich aber zu der mechanifchen Form, die fie immer mehr
annimmt (vergl. dazu die Bern. S. 32 f.) erft unter Mitwirkung
theoretifcherMomente, nämlich des Gottesbegriffs
und des mit diefem zufammenhängenden, aber unter den
Einwirkungen der Myftik flehenden Begriffs der Sünde
(S. 47 ff.), ausgebildet hat. In den beiden erften Ab-
fchnitten hat fich dem Verf. wiederholt die Aufgabe aufgedrängt
, folchentheoretifchenEinflüffennachzufpüren, aus
deren Zufammenwirken mit den religiöfen Stimmungen
und Erfahrungen L.'s fich erft die beftimmte Geftalt der
hier erörterten Lehren erklärt. Indem er nun im dritten
Abfchnitt den von Ritfehl gegebenen Anregungen in
felbltändiger Weife weiter nachgeht, verweilt er auf die
fcholaftifche, und zwar beltimmt nominaliftifche Schulbildung
L.'s, deren Nachwirkung er u. E. in der hier in
Betracht kommenden Seite von L.'s Gottesbegriff überzeugend
nachweilt. Die Fäden laufen hier allerdings zum
Theil fehr verwickelt in einander und das um fo mehr,
als auf Grund des nominaliltifchen Gottesbegriffs fowohl
die Prädeftinationslehre Biel's, an welchen K. fich zu-
nächlt hält, als die nominaliftifche Werthfchätzung des
Menfchen und menfehlichen Verdienltes von einem tiefen
innern Widerfpruch durchzogen ilt. Aber der Verf. zeigt
auch gut, wie ganz verfchiedene ja entgegengefetzte
religiöfe Auffaffungen des Heilswegs ihre theoretifche
Anknüpfung hier finden konnten, und wie ebendeshalb
die entfehiedene Abwendung L.'s von dem kirchlichen
Geilte der Schultheologie die Fefthaltung eines bedeutenden
Einfluffes auf feine theologifchen Begriffe keineswegs
ausfchliefst, wie ja dies auch hinfichtlich anderer
Punkte, namentlich der Abendmahlslehre, anerkannt ilt.
Auch darin dürfte der Verf. Recht haben, dafs zwifchen
den Nachwirkungen der nominaliltifchen Schule und den
bedeutenden Einwirkungen der Myftik eine innere Verbindung
ftattfindet. Natürlich will der Verf. damit allgemeinere
Einflüffe wie die der paulinifchen Theologie und
Auguftin's nicht ausfchliefsen, fie erklären aber für fich
allein allerdings nicht die fpeeififche Form der Sätze
Luther's. Wir glauben die Schrift der Beachtung der
Fachgenoffen entfehieden empfehlen zu müffen, und ver-
fprechen uns nach diefem erften Verfuche Tüchtiges
von ihrem Verfaffer.

Kiel. Möller.

Jaraezewski, Dr., Zur Geschichte der Hexenprocesse in
Erfurt und Umgegend. Ein Beitrag zur Culturgefchichte
des 17. Jahrhunderts. Vortrag, gehalten im Verein für
Gefchichte und Alterthumskunde in Erfurt. Erfurt
1876, Villaret. (28 S. gr. 8.) M. — 80.

Den Kern diefes Vortrags bilden Mittheilungen aus
den Acten eines vor dem Amtsgerichte zu Langenfalza
1678 geführten Hexenproceffes gegen Eva Henneberger
aus Grofsgottern, Acten, von denen wir nur erfahren,
dafs fie das Eigenthum des Herrn Regierungsfecretairs
Anderfon (vermuthlich zu Erfurt) find. Dafs der Verf.
darin mehrfach ,paptiftifch' ftatt papiftifch, und dafs er
in der Eidesformel S. 14 ,fo viel wir davon wiffend'
ftatt mir drucken läfst, erweckt kein günftiges Vorurtheil,
mag aber entfchuldigt werden. Was der Verf. aber fonft
noch zu den Auszügen aus den Acten hinzuthut, um
einen Vortrag daraus zu geftalten, eine Einleitung, welche
Einiges aus Soldan in recht fchülerhafter Weife aufgreift,
und dürftige Schlufsbemerkungen, welche in dem geilt -
reichen Satze enden, dafs Licht niemals Finfternifs und
die Wahrheit niemals Lug wird, kann nur als vollftändig
werthlos bezeichnet werden.

Kiel. Möller.

Biedermann, A. E., Heinrich Lang. Zürich 1876, Schmidt.
(136 S. gr. 8. m. Portr. in Lichtdr.) M. 2. 80.

Am 13. Jan. d. J. ftarb völlig unerwartet nach kurzer
Krankheit, mitten in dem rüftigften Schaffen ein fchlich-
ter und doch wieder ein gewaltiger Mann: Heinrich
Lang, Prediger am St. Peter in Zürich. Ein fchlichter
Mann, denn wie fein Leben ziemlich einförmig und regel-
mäfsig verlaufen ift, wie äufsere Ehren und Würden dem-
felben wenig zu Theil wurden, fo erfchien auch in der
Perfönlichkeit einzig der einfache Mann: einzig ausgezeichnet
durch den Adel des Geiftes; — und doch ein ganzer
Mann, ein Mann, der feine ganze, volle Perfönlichkeit hingab
an die Idee, und für fie alles einfetzte, der mit fel-
tener Begciftcrung die Verföhnung des Glaubens mit
unfrer heutigen Wiffcnfchaft vertrat und mit einem Feuer
der Rede wie wenige, feine Ideen hineintrug in die wei-
teften Kreife. Ueber feine Beftrebungcn find natürlich
die Anflehten getheilt: Lang war eben Parteimann, — wie
könnte er da dem Schickfal aller Parteimänner entgehen,
dafs die Gegner der Sache auch feine Perfon zu niedrig
werthen, und wieder die Freunde der Sache auch ihn
zu hoch fchätzen. Für Freunde zunächft ift von einem
Freunde, einem vertrauten Genoffen des Verdorbenen
vorliegende Schrift verfafst, — wie diefelbe aber nicht
blofs in knappen Zügen das Leben desfelben fchildert,
fondern vor allem fein Streben und Wirken in den
Kämpfen der Gegenwart darfteilt, verbreitet fie auch
über diefe, für Freund und Feind gleich lehrreich, neues
Licht.

Nach einem kurzen Vorwort geben Cap. 2—7 eine
kurze Darftellung von Lang's Leben, in fehr knappen
Umriffen, foweit feine eigene Schilderung in der Gartenlaube
reicht, nämlich feineLaufbahn als württembergifcher
Theolog auf den 3 Stufen der Lateinfchule, des Seminars
und des Stiftes umfaffend, etwas ausführlicher von feinem
unfreiwillig-freiwilligen Ucbertritt in die Schweiz wegen
Bctheiligung an der revolutionären Bewegung von 1848,
bis zu feinem Lebensende, die Wirkfamkeit als Prediger
in dem einfamen, kleinen Bergdorf Wartau, in der halb-
ftädtifchen Landgemeinde Meilen und am St. Peter zu
Zürich. Hier fleht Lang auf der Höhe feines Wirkens,

— was während der ganzen früheren Wirkfamkeit innere
Arbeit in ihm zur Reife gebracht, hier trat es hervor,
und der erlangten innern Reife entfprach denn auch der
erweiterte Wirkungskreis als Prediger einer grofsen
Stadtgemeinde, als Führer des Schweizerifchen Vereins
für freies Chriftenthum. Als Prediger hatte er von Anfang
bis zu Ende eine gedrängt volle Kirche, wenn auch
feine Vorträge, überhaupt nur für Gefinnungsgenoffcn
berechnet, auch für diefe oft zu negativ gehalten waren,

— als Parteiführer hat er an den wichtigften Orten der
Schweiz und weit darüber hinaus, in Deutfchland und
Holland, durch feine zündende Rede der von ihm vertretenen
Sache immer neue Anhänger gewonnen. Natürlich
wird hier die Darftellung feines Lebens mehr zu
einer Darlegung feines Strebens und Wirkens. So ftellt
denn der Verf. Lang Cap. 8 dar als ,Reformpfarrer'.
Was ift denn dies Schreckgefpenft? Vor allem ein
Pfarrer, d. h. ein Mann, der die Pflege des religiöfen
Lebens durch das kirchliche Amt fich zum Lebensberuf
erwählt hat; aber Reformpfarrer, d. h. ein Mann, der
ftatt der natürlichen Stabilität der Kirche eine ftets fortgehende
Reformation derfelben erftrebt, der auf Grund
wiffenfehaftlich errungener Einficht ftete Erneuerung der
chriftlichen Lchrform will, entfprechend der fich ändernden
Weltanfchauung, oder: chriftliche Erbauung in derjenigen
Form und Sprache, in der die Gemeinde ihrem
Bildungszuftande nach fie fich aneignen kann. Lang war
einMufter eines Reformpfarrers fchon nach feiner ,Geiftes-
art' (Cap. 9), weil nämlich durch und durch Idealift, und
doch kein Schwärmer, da fein Idealismus auf einer durchaus
gefunden realiftifchen Naturbafis ruhte, dazu ein