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Ausgabe:

1876 Nr. 26

Spalte:

676-679

Autor/Hrsg.:

Kattenbusch, Ferd.

Titel/Untertitel:

Luther’s Lehre vom unfreien Willen und von der Prädestination nach ihren Entstehungsgründen untersucht 1876

Rezensent:

Möller, Wilhelm

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Theologifche Literaturzeitung. 1876. Nr. 26.

676

dafs die hervorgehobenen Worte eine Ueberfetzung von
in quodlibeiis fein foll? Und doch giebt Böcking die erforderliche
Auskunft über die disputationes quodlibeticae.
Ein einziger Brief S. 123—128 (Bö. 69 sqq.) enthält eine
ganze Reihe von Schnitzern: complere ad gradum ma-
gistri: ,es bis zum Grad eines Magifters bringen', obwohl
Böcking wieder die Erklärung von complere giebt; soluit
mihi in venire (ji, 8) ,befiel mich Bauchweh' ftatt, wie
Böcking wörtlich an die Hand giebt: that es mir im Leibe
weh, als Bezeichnung des Grimmes. Ebd. (71, 12) nisi
quodetc.: ,obgleich er' ftatt: nur dafs er etc. Ebd. (71, 19)
ganz finnlos: ,da ja fchon ein blofser Magifter genug
mit ihm zu thun gehabt' ftatt: da ein einfacher Magifter
fchon mit einem (sc. Refpondenten) Genüge gehabt
hätte — auch hier gab Böck. das Richtige. Doch wir
brechen 'ab. Wenn der Ueberfetzer für manche Mängel
feiner Ueberfetzung fich damit entfchuldigt, dafs er auf
dem Gebiete der Kirchengefchichte und fcholaft. Philo-
fophic nicht zu Haufe fei, fo ift um fo unverzeihlicher,
dafs er den vorzüglichen Commentar Böcking's zwar viel,
aber nur höchft oberflächlich benutzt hat.

Kiel. Möller.

Kattenbusch, Repetent Lic. Ferd., Luther's Lehre vom
unfreien Willen und von der Prädestination nach ihren
Entftehungsgründen unterfucht. Göttingen 1875,
Deuerlich. (95 S. gr. 8.) M. 2. —

Eine anziehende Schrift, welche tüchtige Methode
und ein feines dogmatifches Senforium des Verfaffers
offenbart. Nach ihren Entftehungsgründen will K. Luther's
Lehre vom unfreien Willen und von der Prädeftination
unterfuchen, d. h. zunächft nach den inneren Beftimmungs-
gründen praktifcher oder theoretifcher, religiöfer oder
fpeculativer Art, weiterhin nach den gefchichtlich zu
conftatirenden Einflüffen, welche dabei auf die Bildung
feiner Anfchauungen gewirkt haben. Er geht aus von
einer Analyfe der Schrift de servo arbitrio, welche die
beiden Hauptgedanken, Unfreiheit des Willens und Prädeftination
, auseinanderhält und jeden für fleh nach
feiner religiöfen Bedeutung f. L. wie nach den beftimmen-
den theoretifchen Begriffen unterfucht, und greift dann
zurück auf die gefchichtliche Bildung und Entwickelung
diefer Lehren in den frühern Schriften Luther's bis 1525
hin, um dann drittens ,andeutungs- und verfuchsweife'
die hiftorifchen Beziehungen d. h. die in Luther's theolo-
gifcher Schulbildung wahrnehmbaren hlinflüffe aufzudecken
.

Der Verfaffer hebt mit Recht hervor, dafs bei der
religiöfen Abzweckung der Schrift de s. arb. es Luther
zwar vor Allem auf die Behauptung der flttlichen Gebundenheit
des Willens ankomme, mehr als auf den
abfoluten Determinismus aller Action, alles Gefchehens,
dafs er aber doch auch auf letztern durchaus nicht verzichte
. Luther brauche nur an den Gottesbegriff zu
denken, aus welchem er in einer Reihe von Stellen die
(Böck. 66, 32 ff.), fo dafs der Witz verloren geht. Der j Lehre vom serv. arb. ausdrücklich herleite, um feiner

Lateinifchen Unkundigen wenigftens ein Einblick in den
Ideenkreis des Buches gegeben werde. In diefem Sinne
hat es ja feine Geltung, wenn der Verf. fleh darauf
beruft, dafs er Solchen wenigftens Etwas gebe, während
fie zuvor Nichts hatten. Pathetifch ruft er dabei aus:
,Exoriare aliquis!1 meint aber damit nicht einen Rächer,
der einft aus feinen Gebeinen erflehen foll (etwa um ihn
an den unzufriedenen Recenfenten zu rächen), fondern
Einen, der das an feinem erften Verfuche noch Mangelhafte
verbeffern werde. Allerdings würde ein folcher,
auch wenn er das Unmögliche nicht möglich machen
kann, noch recht viel wohl Mögliches auszuführen finden.
Wenn auch der koftbare Jargon unüberfetzbar ift, fo
hätte doch der Verf. den rohen und holprigen Stil in
feiner behaglichen Trivialität wenigftens zu einem erheblichen
Theil noch fpüren laffen können. Dazu aber hält
er, wie es fcheint, viel zu viel auf feinen ,fliefsenden
Stil', obgleich er doch einfehen follte, dafs es dem Lefer
hier auf den fliefsenden Stil des Dr. Binder, fo fchätzbar
derfelbe auch fonft fein mag, nicht eben fonderlich ankommen
kann. Er glättet gewiffenhaft alle holprigen Sätze,
verbeffert alle Incorrectheiten in der consecutio tempornm,
umfehreibt fo manchen unbeholfenen Ausdruck auf eine
fo gebildete Weife, dafs es — mit den Obfcuren zu
reden — tarnen est unum verum scandalum. Wenn
Magifter Hipp fagt: et auditorcs sui fecerunt multa verba
et dixerunt etc., fo giebt das Herr Dr. B. wieder: feine
Zuhörer aber ergingen fleh in vielfachen Aeufserungen
hierüber; jener fagt kurz und gut: et summa summarum
ipsi concluserunt, quod vcllent relegare vel excludere istum
poetam; hier heifst's, nicht einmal ganz richtig, wenn
auch fehr manierlich: und als gemeinfames Refultat wurde
der Befchlufs gefafst, diefen Poeten zu relegieren oder
auszufchliefsen. Herr Mellilambius fchreibt: sed scribatis
quomodo est, der transferirte Herr Honiglecker weifs fleh
fchon viel beffer auszudrücken: fchreibet mir daher, wie
es fleh verhält; multi homines intrant eins praedicationes
wird überfetzt: feine Predigten find ftark befucht u. f. w.
Auch an die Schulfprache erinnernde Wendungen gehen
ganz ohne Noth im ,fliefsenden Stile' unter: prout de-
terminat magister de Villa dei in tertia sui — wie Magifter
(Alexander) von Villedieu fie Thl. III feines Werks
beftimmt u. dergl. — Zu Allem dem, was uns diefe
Ueberfetzung unfehmackhaft macht, kommt nun aber
noch hinzu, dafs uns gar häufig Verftöfse gegen den
Sinn begegnen. S. 227 überfetzt er et Caesareae maiestatis
perfidum consultorem (Böck. 234, 12) ohne Rückficht auf
'.ieWortftellung: und ein treulofer Rathgeber Kaiferlicher
Majeftät. Dadurch wird aber die dann folgende Gegenrede
vollkommen unverftändlich, in welcher der Anti-
reuchlinift durch eine kühne Interpunction, für welche
es ganz auf die Wortftellung ankommt, Pfefferkorn vor
dem Vorwurf der Majeftätsbeleidigung retten will. Mit
einfacher Umftellung: und Kaiferlicher Majeftät ein treulofer
Rathgeber, wäre geholfen gewefen. Das fleht
etwas nach Fabrikarbeit aus. Geradezu falfch ift S. 118
,in jenen Jahren, als wir einander perfönlich fahen

Herr Magifter thut fich etwas zu Gute darauf, dafs er
nicht fo faul im Brieffchreiben fei, wie fein Freund,
fondern in den Jahren, in welchen fie beide fich nicht
gefehen (das find aber beiläufig etwa 50 Jahre), ganzer
20 Briefe an gelehrte Männer gefchrieben. S. 254: ich
weifs in der That nicht, wie ich mir ein Verdienft um
E. Ehrw. erwerben follte, ftatt: wie ich das von E. E.
verdient habe (Bö. 250, 30f.) S. 255 wird Tetragrammaton
mit: ,vieT Worte' überfetzt! S. 97 (Bö. 55, 6) überfetzt

Sache ftets von Neuem gewifs zu werden. An dem hier
vorherrfchenden Gottesbegriff hebt K. nicht nur die
Seite hervor, wonach alle endlichen Caufalitäten zum
blofsen Schein oder doch zur blofsen Erfcheinungsform
herabfinken gegenüber der Alles umfaffenden und direct
in allem Einzelnen Alles wirkenden abfoluten Caufalität,
die zugleich als unabänderlicher ewiger und infallibler
Wille und als immer actuofe Allmacht gedacht ift,
fondern auch die Kehrfeite diefer fo zu fagen phyfifch

er, durch Mifsverftand einer Bemerkung in Böcking's | gedachten Allmacht, nämlich die fouveraine Willkür
Comm. verleitet: ,wic wir in den »Autcntica«. (des Petrus diefes göttlichen Willens. Knüpft fich hieran der Gedanke
Lomb.) lefen', als gäbe es ein Werk des Lombarden der doppelten Prädeftination und ihre Rechtfertigung
unter diefem Namen. S. 99 (Bö. 56, 19): ,Es ift zu Erfurt , gegenüber dem Evangelium vom allgemeinen Gnadenunter
allerlei andern eine gar fpitzfindige Frage bei willen durch Rückgang auf den vom Offenbaren zu unter-
zwei Facultäten . . . aufgeworfen worden.' Wer ahnt, fcheidenden verborgenen Willen des Gottes, der erhaben