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Ausgabe:

1876 Nr. 26

Spalte:

668-671

Autor/Hrsg.:

Land , J. P. N. (Hrsg.)

Titel/Untertitel:

Anecdota Syriaca. Tomus quartus 1876

Rezensent:

Nestle, Eberhard

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Theologifche Literaturzeitung. 1876. Nr. 26.

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congestum quicquid in Hebraeorum precibus erat laudabüe.
Und Wetftein meint: tota Iiaec oratio ex formulis
Hebraeonim concinnata est. Andere haben ähnlich ge-
urtheilt (f. d. Verzeichnifs bei Wolf Curae pliil. I, 125,
Tholuck Bergpredigt S. 355, Meyer zu Mt. 6, 13).
Obwohl nun diefe Uebertreibungen von neueren Auslegern
bereits auf ihr richtiges Mafs reducirt worden find
(Tholuck Bergpr. S. 354 ff., Kamphaufen Vater-Unfer
S. 47 f., Achelis Bergpredigt S. 238 f.), fo glaubt der
Verf. obiger Monographie fich dabei doch nicht beruhigen
zu können: er tritt vielmehr den Beweis an, dafs gar
nichts im Vater-Unfer aus jüdifcher Quelle ftamme. Wo
Berührungen vorliegen, da finde überall die Abhängigkeit
auf jüdifcher Seite ftatt. ,Nicht unfer hochgelobter
Heiland Bellte das Gebet, das feinen Namen trägt, aus
jüdifchen Stücken zufammen, fondern fpäterc jüdifche
Gebete-Verfertiger entlehnten Ideen und Gedanken aus
feinen göttlichen Dictaten' {front His Divine Dictations
S. 67). Dies gilt fchon von der Anrede ,Unfer Vater im
Himmel', die nach ihrer Promulgation {subsequcntly to its
Promulgation) für den liturgifchen Gebrauch der Synagogen
adoptirt worden ift (S. 12 ff.). Auch die erfte Bitte haben
die jüdifchen prayer-makcrs ftark benützt (S. 23 ff.) Noch
reichlicheren Gebrauch haben üe von der zweiten gemacht
(S. 46 ff.) Zu der dritten dagegen finden fich keine
Parallelen in den jüdifchen Liturgien (S. 63 ff). Auch
die vierte ift nirgends in die jüdifchen Liturgien aufgenommen
worden (S. 84 ff.). Ebenfowenig die fünfte
(S. 93;. Wohl aber finden fich wieder Parallelen zur
fechften (S. 98). Und hier wie überall gilt der Satz, dafs
,die Verfertiger der jüdifchen Liturgien von dem grofs-
artig fchönen Gebet des Herrn, und nicht der göttliche
Lehrer von rabbinifchen Rhapfodien geborgt hat' (S. 99).
Der Verf. ift in diefer Ueberzeugung fehr ficher. Man
wird aber nicht fagen können, dafs er irgend etwas gethan
hat, um fie zu beweifen. Denn die wiederholt ausge-
fprochene Behauptung, dafs die gegentheilige Anficht
widerfinnig {preposterous) fei, kann doch nicht die Stelle
des Beweifes vertreten. Es liegt auch auf der Hand, dafs
der Verf. weit über fein Ziel hinausfehiefst. Statt ruhig
zu erwägen, inwieweit etwa im Herrngebet bereits gangbare
Formeln verwendet find, geräth er fchon in Ekftafe
bei dem Gedanken, dafs überhaupt eine folche Anlehnung
ftattfinden folle. Er weift fie alfo rund ab. Indem er
aber dann doch nicht umhin kann, die ftarken Parallelen
hervorzuheben, giebt er dem Gegner fclbft das Heft in
die Hand. Denn die Anficht, dafs die jüdifchen Liturgen
aus dem Vater-Unfer gefchöpft haben, kann man jedenfalls
mit mehr Recht widerfinnig nennen, als die entgegengefetzte
. Gerade durch diefe feltfame Behauptung wird
der Schein erweckt, als ob die Vertheidiger des Vater-
Unfers für eine verlorene Sache kämpfen, die man nur
noch durch gewagte Kunftftücke aufrecht erhalten könne.
Eine verftändige Apologie dagegen, die weifs, wo ihre
wahren Intereffen liegen, wird die Gröfse des Vater-
Unfers überhaupt nicht in feiner Neuheit, fondern in
feiner grofsartigen Einfachheit, in der Befchränkung des
Gebetes auf die wirklich centralen religiöfen Ideen zu
fuchen haben. Sie kann es dann ruhig hinnehmen, wenn
fich zeigt, dafs diefe Ideen oder einzelne davon auch
fchon in jüdifchen Gebeten jener Zeit in ähnlicher Weife
zum Ausdruck gekommen waren. Und fie wird nicht
umhin können, zuzugeftehen, dafs in folchen Fällen eine
Anlehnung an bereits gangbare Fortnein vorliegt. Diefes
Zugeffändnifs beeinträchtigt aber den Werth des Vatcr-
Unfers deshalb nicht, weil es fich wirklich nur um centrale
religiöfe Ideen handelt und um folche, die auf echt
altteftamentlicher Grundlage ruhen.

Am feltfamften ift es, wenn der Verfaffer fogar die
Anrede ,Unfer Vater im Plimmel' erft von Chrifto pro-
mulgirt und dann von den Juden adoptirt werden läfst.
Sie bringt ja nur altteftamentliche Gedanken auf einen
kurzen Ausdruck. Die Anrede ,Unfer Vater' findet fich

fchon in der 5. und 6. Beracha des Schmone Efre, jenes
Gebetes, das bereits in der Mifchna von Autoritäten aus
dem erften Drittheil des zweiten Jahrhunderts n. Chr.
citirt wird {Berachoth IV, 3; Taanith II, 2; vgl. auch m.
Neuteftamentl. Zeitgefch. S. 499)1 und in feinen Grundlagen
gewifs über die Zeit Chrifti hinaufreicht. Und die
Bezeichnung Gottes als unferes ,Vaters im Himmel'
(o^aiDaus 38) findet fich ebenfalls in der Mifchna vom
Anfang des zweiten Jahrhunderts an (Kilaßm IX, 8. Joma
VIII, 9. Rosch Iiasdiana III, 8. Sota IX, 15. Aboth
V, 20 — Ich erwähne noch, dafs zur fünften Bitte fich
allerdings, wie Tholuck und auch Margoliouth angeben,
keine vollftändige Parallele findet, dafs aber doch die
Bitte .Vergib uns' (i:b nbo) einen Beftandtheil des Schmone
Efre bildet (6. Beracha).

Obwohl der Verf. infolge des Uebermafses feines
apologetifchen Eifers fein eigentliches Ziel verfehlt, ift
fein Buch doch eine dankenswerthe Gabe wegen des
Materiales, das es enthält. Der Verf. ift offenbar in der
jüdifch-liturgifchen Literatur wohlbewandert und bringt
eine anfehnliche Reihe fehr intcreffanter Parallelen bei
(im hebräifchen Text und in Ueberfetzung). Dies macht
das Buch auch für denjenigen werthvoll, der fich erlaubt,
in der Deutung des Materiales von dem Verf. abzuweichen
. — Der etwas feltfame Zufatz auf dem Titel
des Buches explained by the light qf ,the Day of the
Lord1 ift dahin zu verliehen, dafs nach der Anficht des
Verfaffers das Vater-Unfer in all' feinen Theilen im
Wefentlichen nichts anderes ift als eine Bitte um Aufrichtung
des Reiches Gottes auf Erden (S. 102), fo dafs alfo
fämmtliche Bitten fich auf den ,Tag des Herrn' beziehen.
Dem vernichten Nachweis, dafs dies die eigentliche Tendenz
aller Bitten fei, ift ein guter Theil des Inhaltes
gewidmet, der aber nicht zu demjenigen gehört, was das
Buch werthvoll macht.

Leipzig. E. Schüren

Anecdota Syriaca collegit edidit explieuit J. P. N. Land.
Tomas quartus. Insunt Tabulae VIII. Auch mit dem
zweiten Titel: Otia Syriaca edidit J. P. N. L.
Lugduni Batavorum 1875, Brill. (XV. 233. 224 S. 4.)
M. 18. 50.

Drei Stücke von dem verfchiedenartigften Intereffe
find uns hier im fyrifchen Original, in lateinifcher
Ueberfetzung, und von Einleitung und Scholien begleitet,
zum erften Male geboten. Das erfte, kleinfte (fyr. Text
S. 1—32, Versio Latina S. 1—30, Sclwlia S. 99—118; ift
l'aitli Persae Logica ad Regem Chosroem, von Werth
insbefondere für denjenigen, der die Gefchichte der Phi-
lofophic auf ihrem Uebergang von Griechenland zu den
Arabern ftudieren will: die neftorianifchen Syrer des
V. und VI. Jahrhunderts haben durch ihre Ueberfetzun-
gen der Werke des Ariftoteles und feiner Nachfolger
Siefen Uebergang vermittelt. Die Abfaffungszeit des
vorliegenden Stücks ift durch die Widmung desfelben an
Chosroes den Grofsen, Nusirwan, den Gönner griechi-
fcher Philofophen ungefähr beftimmt; von feinem Verf.,
lagt Land, hören wir nur aus Barhebraeus (XIII. Jahrb.),
der diefe Logik ein ausgezeichnetes Werk nennt, und
Land giebt es nur als Vermuthung, dafs Paul nach der
489 erfolgten Aufhebung der perfifchen Schule in Edeffa,
entweder in Nifibis oder Gandifapor (oder von Privatlehrern
) die Elemente der griechifchen Philofophie gelernt
habe. Vielleicht haben wir aber doch in einer fchon
von Affemani {Bibl. Or. III, 2, 927), dann von Möller
(Herzog's Realencyklopädie VII, 175) citirten Stelle
eines gleichzeitigen abendländifchcn Kirchenlehrers eine
Erwähnung des Mannes und des Orts feiner Studien.
Junilius Africanus fagt nämlich in dem feiner biblifchen
Einleitung De partibus divinae legis libri II (M/gne, Tom.