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Ausgabe:

1876 Nr. 2

Spalte:

45-49

Autor/Hrsg.:

Hilgenfeld, Adf.

Titel/Untertitel:

Historisch-kritische Einleitung in das Neue Testament 1876

Rezensent:

Mangold, Wilhelm

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Theologifche Literaturzeitung. 1876. Nr. 2.

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fultat wird für die Textkritik des lateinifchen Efra eine
völlig neue Grundlage gefchaffen. Es werden in Zukunft
nur A und 5 überhaupt in Betracht kommen.
Alle übrigen kommen in Wegfall, namentlich auch der
Turicensis und Dresdatsis, die bei Hilgen fei d und
Fritzfche ftolz neben 5 einherfchreiten und doch nicht
mehr Werth haben als Dutzende von Anderen: nämlich
keinen.

Aufser diefen Hauptrefultaten giebt der Herausgeber
noch eine Reihe dankenswerther Einzelheiten. So weift
er (S. 35—40) darauf hin, dafs in Cap. 15—16 die Abweichungen
des A von S beträchtlicher find als fonft.
Mit dem Texte von A ftimmen vorwiegend die ziemlich
umfangreichen, von den bisherigen Bearbeitern des 4.
Efra völlig überfehenen Anführungen in dem fog. Briefe
des Gildas, Mitte des 6. Jahrhunderts. —1 S. 42 und
82—85 giebt B. ein Verzeichnifs fämmtlicher ihm bekannt
gewordener Handfchriften des lateinifchen Efra. Es find
deren mehr als 60. Da noch nicht alle unterfucht find,
verdienten fie wohl daraufhin geprüft zu werden, ob auf
Tie Alle das Urtheil Gildemeifters Anwendung findet.
Freilich find fie fämmtlich bedeutend jünger als A und
'S. — S. 85 f. erhalten wir eine Reihe von Beobachtungen
über Stellung und Zählung des 4. Efra in den
Handfchriften; S. 1—2 und 77 —78 Notizen über Handfchriften
der äthiopifchen und arabifchen Ueberfetzung
und des arabifchen Auszuges. — Ueber das räthfelhafte
Arzarctli 13, 45 theilt Bensly S. 23 eine Erklärung von
Dr. Schiller-Szineffy mit. Es ift nach ihm = mne* y*iN,
terra alia 13, 40; vgl. Deut. 29, 27.

Nach einer Notiz auf der Rückfeite des Titels ift
von Bensly eine Ausgabe des 4. Makkabäerbuches
unter der Preffe und eine Ausgabe des ganzen lateinifchen
4. Efra in Vorbereitung. Möchte das Erfcheinen beider
nicht mehr lange auf fich warten laffen.

Leipzig. E. Schür er.

Hilgenfeld, Kirchen-R. Prof. Dr. Adf., Historisch-kritische
Einleitung in das Neue Testament. Leipzig 1875, Fues.
(VIII, 828 S. gr. 8.) M. 13. —

Adolf Hilgenfeld hat nun fchon während eines
Zeitraums von 25 Jahren die kritifchen Probleme, welche
die Literärgefchichte der neuteftamentlichen Schriften
bietet, in zahlreichen Specialunterfuchungen mit unermüdlichem
Fleifse, reichem Wiffen, eindringendem Scharffinn
und felbftändigem Urtheil bearbeitet. Wenn ein Gelehrter,
der folche Leiftungen auf dem Gebiete der neuteftamentlichen
Kritik aufzuweifen hat, endlich die Früchte
feiner bisherigen Lebensarbeit fammelt und flehtet, und
fie in einer hiftorifch-kritifchen Einleitung in das N. T.
den weiteften Kreifen der Forfchenden und Lernenden
zugänglich macht, fo ift das ein Unternehmen, welches
aufrichtigen Dank verdient. Ganz abgefehen davon, dafs
es von Intereffe ift, die disjeda niembra der Anflehten
Hilgenfeld's über die Entftehung des N. T.'s in diefer
Einleitung zu einem wohlgefügten Ganzen verbunden zu
fehen, und davon abgefehen, dafs durch dasfelbe die zeitraubende
Mühe der Vergleichung einer langen Reihe einzelner
Publicationen erfpart wird: der Forfcher, auch
wenn ihm meiftens nur fchon aus Hilgenfeld's Specialunterfuchungen
Bekanntes in dem vorliegenden Buche
entgegentritt, wird die beffernde Hand nicht verkennen
, welche bald zufammenfäffend, bald limitirend,
bald auch neue Momente der Untcrfuchung einfügend,
die neuteftamentliche Kritik in der Richtung, die ihr
Hilgenfeld felbft gegeben, wenigftens zu einem vorläufigen
Abfchlufs führt; der Lernende dagegen, dem meift die
Gelegenheit fehlt, fich in ausreichender Weife mit den
zahlreichen Publicationen Hilgenfeld's bekannt zu machen,
wird erft durch diefe Einleitung in den Stand gefetzt,
fich eingehender mit den Refultaten der Hilgenfeld'fchen

neuteftamentlichen Forfchung und den Unterfuchungen,
durch welche diefe erreicht find, zu befchäftigen. Ueb-
rigens hätte die Rückfichtnahme gerade auf Studirende
Hilgenfeld wohl veranlaffen können, auf Grund reichlicherer
Mittheilung und eingehenderer Würdigung der
einfchlagenden Literatur etwas weiter in die Gefchichte
der Löfungsverfuche der einzelnen kritifchen Probleme
der Einleitung auszufchreiten; es hätte das gefchehen
können, ohne dem einheitlichen Charakter des Buches
Eintrag zu thun; auf keinen Fall erfetzt die von Hilgenfeld
gegebene gefchichtliche Entwicklung der neuteftamentlichen
Schrift-Kritik (S. 173—210), fo dankenswerth
fie ift, diefe Lücke vollftändig.

Trotzdem find die methodologifchen Vorzüge der
Behandlung der neuteftamentlichen Einleitung von Seiten
Hilgenfeld's unleugbar; er hat fie mit Recht als
kritifche Gefchichte des N. T.'s fchreiben wollen
(S. 25), und diefen Grundgedanken in feiner Darfteilung
in voller Confequenz durchgeführt. Zu dem Ende giebt
er im erften Theil die Gefchichte der Entftehung des
neuteftamentlichen Schrift-Kanons und der Kritik des-

•felben (S. 27—210), eine Reproduction der älteren Schrift
Hilgenfeld's: ,Der Kanon und die Kritik des N. T.'s
u. f. w. Halle 1863' in theilweife verkürzender, theilweife
erweiternder Ueberarbeitung; dann läfst er im zweiten
Theil die kritifche Gefchichte der einzelnen Schriften
des neuteftamentlichen Kanons folgen, das eigentliche
Corpus des Buches (S. 211—770); den dritten und Schlufs-
theil desfelben bildet die kritifche Gefchichte des neuteftamentlichen
Textes (S. 771—813). Zwar darüber wird
fich mit dem Verfaffer rechten laffen, ob es nach feinem
Ausfpruch: ,Den Anfang mufs die Sammlung oder das
Ganze machen' (S. 26) wirklich in der Natur der Sache
begründet ift, die Einleitung mit der Gefchichte des
Kanons zu beginnen; nach der Anficht des Referenten
wird der Ifagogiker rationeller verfahren, wenn er, einfach
von dem Factum ausgehend, dafs die Kirche die im N. T.
vorliegenden Schriften als kanonifch anerkannt hat, zunächft
diefe Schriften kritifch unterfucht und darauf die Gefchichte
der Sammlung derfelben zum Kanon als zweiten
Theil der Einleitung folgen läfst; denn erft auf Grund
der Unterfuchungen des erften Theils wird fich diefe Gefchichte
als lebensvolles Glied des Organismus dem Ganzen

1 einfügen, weil man allein bei diefer Folge der Materien
vollftändig zu erkennen vermag, warum das Urtheil über
die kanonifche Dignität der einfchlagenden Schriften in
der Kirche zu verfchiedenen Zeiten ein verfchiedenes
war, warum alfo die Sammlung des Kanons überhaupt

I eine Gefchichte hat; felbftverftändlich mufs bei diefer
Anordnung des Stoffes die Gefchichte der Kritik des neu-

] teftamentlichen Schrift-Kanons zum Theil in den einleitenden
Ausführungen über die Entwicklung der Isa-
gogik abgehandelt werden, namentlich fo weit fie die
neueren Phafen der Kritik des N. T.'s mitzutheilen hat,

| deren Vertreter bei einer weiteren Faffung des Begriffes
des Kanonifchen die Kanonicität der zu unterfuchenden

i Schriften auf fich beruhen laffen und die Frage nach der

I Echtheit und Entftehung derfelben in den Vordergrund
ftellen. Volles Lob dagegen verdient es, dafs Hilgenfeld
die einzelnen Schriften des N. T.'s nicht mehr in der in

I unferem Kanon feftgefetzten Reihenfolge befpricht, fondern
dafs er jede derfelben mit glücklicher Combination

j der chronologifchen und der Sach-Ordnung in einer in

I fcharfen Urnriffen fkizzirten Gefchichte der Entwicklung

1 des apoftolifchen zum altkatholifchen Chriftenthum an
ihrem gefchichtlichen Ortgleichfam vor unferen Augen entliehen
läfst; dabei mag es hier, wo es fich um die An-

I erkennung eines methodologifchen Vorzugs handelt, ganz
dahingeftellt bleiben, ob Hilgenfeld's Zeichnung diefes
Entwicklungsganges correct ift, und ob er die einzelnen

S Schriften des N. T.'s als deffen Exponenten richtig gewürdigt
hat.

Die kritifche Grundanfchauung Hilgenfeld's und