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Ausgabe:

1876

Spalte:

568-571

Autor/Hrsg.:

Hoffmann, Christoph

Titel/Untertitel:

Occident und Orient. Eine culturgeschichtliche Betrachtung vom Standpunkte der Tempelgemeinden in Palästina 1876

Rezensent:

Meyer, Ernst Julius

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Theologifche Literaturzeituijg. 1876. Nr. 22.

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(ich felbft, zum Theil wörtlich, excerpirt hat (zu S. 147
vgl. Ztfch. S. 6; zu 148 S. 7; zu 149 S. 7; zu 170 S. 16;
zu 173 S. 16; zu 174 S. 17 u. f. w.).

Der compendiarifche Anhang über die quietiftifche
Myftik in der prot. Kirche ift nach einem inhaltlich fo
ausgezeichneten Werke wie Göbel, ,Gefch. d. chriftl.
Lebens in d. rhein.-weflph. K.' überflüffig, trifft auch
nicht einmal immer die Hauptfache; von Peter Poiret
z. B. führt der H. Verf. nur einen von ihm blofs herausgegebenen
erbaulichen Tractat an; feine wiffenfchaftlichen
Hauptwerke 1) cogitationes de dco u. f. w.; 2) oeconomie
divine; 3) de eruditione solida find nicht erwähnt. Unrichtig
ift auch, dafs derfelbe der eifrigfte Verbreiter der
Guyon'fchen Schriften in deutfcher Sprache war
(S. 452); er felbft hat (als Franzofe!) meines Wiffens
keine Zeile deutfch edirt. — Woher weifs der H. Verf.
überhaupt, dafs die quietiftifche Myftik, während fie in
der katholifchen Kirche erftarb, in der evangelifchen
,als ein geheimnifsvollcs Raufchen der Geifter — anfangs
vereinzelt — fich erhob'? Ein Mann wie Poiret, der am
meiften fpeculative Kopf unter den proteftantifchen Myfti-
kern nach Böhme, ift ohne jeden Einflufs von Seiten des
von dem H. Verf. gefchilderten franzöfifchcn Quietismus
Myftiker geworden; erft als er fich in Thomas von Kempen
eingelebt, fuchte er die Bourignon auf.

Auch unfer Befremden über die Methode des H.
Verf. können wir nicht verbergen; jeder Hiftoriker hat
doch für feine Behauptungen Beweife beizubringen; zum
Schaden für fein Buch hat H. diefen Grundfatz gröfsten-
theils nicht befolgt, fondern uns zugemuthet, ganze
Partieen einfach auf Treu und Glauben hinzunehmen.
(Vgl. S. 145—180; 190—227; 282—331 u. a. m.) Damit
ift aber die Controle unmöglich gemacht und der H.
Verf. hat es felbft verfchuldet, dafs wiffenfchaftliche
Arbeiter fich auf viele Abfchnitte feines Werkes nicht
verlaffen dürfen.

Einzelne Gedankenbildungen, Stil und Sprache laffen
die letzte Feile vermiffen: ,in Genf entwickelt fich die
Myftik ganz felbftändig — unter Einwirkung der
Schrift der Therefia von Jefus' (S. 43); es ,tratcn fortwährend
immer wieder Schwankungen ein' S. 170;
da ,eine Klofterjungfrau von Thonon ... (drei Zeilen
weiter) fie (die Guyon) erfuchen liefs, zur Wartung (ihres)
Kindes für einige Zeit nach Thonon zu kommen, fo
erklärte fie mit Vorzeigung des ihr von Thonon zugegangenen
Briefes, dafs fie nach Thonon gehen würde'
(S. 209) — folche ftiliftifche Nachläffigkeiten könnte
Ref. eine grofse Anzahl anführen. In einigen unfehönen
/Ausdrucksweifen (S. 187 ,genothwendigt'; aufserdem 370.
413. 414), welche hie und da durch die Polemik gegen die
Ultramontanen veranlafst find, fällt der H. Verf. unter
das genus dicendi medium hinab (321. Jemandem fchön
heimleuchten' u. a.)

Zu tadeln ift noch die Ungleichmäfsigkeit in der
Orthographie; auf den erften 100 Seiten fehlen faft alle
nicht anlautenden hj nachher find fie gefetzt.

Zu S. 104 fei bemerkt, dafs das vermifste Buch
Lacombe's ,analysis orationis mentalis cd. 171T auf der
Breslauer Univerfitätsbibliothek vorhanden ift.

Trotz der weitläufig dargelegten Mängel bleibt H.'s
Buch lehrreich; wir würden Unrecht thun, wenn wir feiner
bewunderungswürdigen Arbeitskraft und reichen Belefen-
heit die ihnen gebührende Anerkennung vertagen wollten;
aber wir bedauern herzlich, nicht den Nutzen daraus j
ziehen zu können, welchen man billig erwarten dürfte.

Sinnftörende Druckfehler: S. 19 Z. 5. ,irgend eine'
ftatt einer; 48 Z. 19 ,ihren' ft. ihrem; 59 Z. 30 ift etwas
ausgefallen; 84 Z. 8 ,dcm' ft. den; 93 Z. 28 ift etwas
ausgefallen; 94 1. Z. und 65—Z. 2 ficht in einem Satze
,in mir' zuviel; 96 Z. 17 ,Selbfterlierung' ft. Selbftverlie-
rung; 142 Z. 24 ,verftellbar' ft. vorftellbar; 152 Z. 27
,betete' ft. bettete; 153 Z. 33 ,gefefst' ft. gefetzt; 11. f. w.
135 Z. 29. 30. zweimal ,fich'; S. 170. 181. 183. 185. 188

,Stück' ft. Stock; 199 ,col/eratereaux' (??). 208 ,veromcht'
ft. vermocht; 219 ,Gehäbigkeit'; 236 .begründete' ft.
begründende; 238 Z. 7 ,den' Bifchof ft. der; aufserdem
249.J 433; 442; 446 (2 Fehl.); 449; 480—482 ,Porachianen'
ft. Parochianen; 494 ,Labeadismus'; 500—504 ,politifche'
ft. poetifche; 509 ,gereifte' ft. gereifte.

Breslau. Paul Tfchackert.

Hoff mann, Chrph., Occident und Orient. Eine culturge-
fchichtliche Betrachtung vom Standpunkte der Tempelgemeinden
in Paläftina. Stuttgart 1875, J. F.
Steinkopf. (274 S. gr. 8.) M. 3. —

Abgefehen von der Bedeutung, welche im gegenwärtigen
Augenblicke die orientalifche Frage hat, die in
vorliegender Schrift eine eigenthümliche Beleuchtung
erfährt, bietet diefelbe nach verfchiedenen Seiten ein
nicht geringes Intereffe. Die Energie, mit welcher der
Verf. den Grundgedanken feiner Schrift, zugleich den
Grundgedanken feines Lebens verfolgt: das Chriftenthum
als die höchfte geiftige und fittliche Culturmacht der
Völker in den Mittelpunkt zu ftellen, und die Kühnheit,
mit welcher er bei dem troft- und hoffnungslofen Re-
fultat feiner Beleuchtung der gegenwärtigen Zuftände in
der ganzen chriftlichen Welt an den regeneriren ien Einflufs
glaubt, den das Reich Gottes von dem kleinen
Mittelpunkt einer chriftlichen Gefellfchaft aus über die
Menfchheit üben foll, hat etwas Imponirendes. Es ift
ein bis zur fchroffften Einfeitigkeit durchgeführter Standpunkt
, von welchem aus der Verf. Alles unter den Ge-
fichtspunkt des .Tempels' ftellt mit der rückfichtslofen
lfntfchiedenheit und Befangenheit eines religiöfen Agitators
; feine Urtheile über die Kirche und ihre Lcift-
ungen, wie überhaupt ihre Befähigung zur geiftigen und
fittlichen Hebung der Menfchheit find in hohem Grade
ungerecht und nicht ohne ftarkes Selbftgefühl; dazu
verkennt der Verf. durchweg, dafs das Chriftenthum in
erfter Linie eine feelenrettende und erlöfende Macht für
die Einzelnen ift und nur im Zufammenhang mit der
Erfüllung diefer Aufgabe auch den höheren Cultur-
zwecken genügen kann. Aber immerhin verdient die
Schrift eine entfehiedene Beachtung; auch in ihrer höchft
parteiifchen Kritik enthält fie viele treffende Urtheile
und ernfte Wahrheiten, die von einem weitfehauenden,
gefchichtlichen Blick zeugen, der an dem Studium der
Propheten gefchärft ift, und von einem weltklugen,
praktifchen Verftand, der fich bei H. mit einer chilia-
ftifchen Phantafie eigenthümlich verträgt.

Es liegt fchon ein Verdienft in der entfehiedenen
Hervorhebung des religiöfen und fittlichen Gefichts-
punktes, unter welchem die orientalifche Frage zu behandeln
ift, und es wäre infonderheit unfern Staatsmännern
zu empfehlen, den hier entwickelten Gedanken
ernftlich nachzudenken. Denn diefe Frage ift, wie der
Verf. mit überzeugender Klarheit ausführt, gar nicht
allein, auch nicht vorwiegend eine politifche Frage.
.Wenn heute Rufsland die Türkei in Befitz nähme, oder
die europäifchen Mächte fie unter fich thcilten, fo wäre
damit die Frage nicht im Minderten gelöft, fondern es
würde fich nach wie vor fragen, zu was für einem gefelligen
Culturzuftand die Bewohner des Morgenlandes
erzogen werden follen'. Die orientalifche Frage ift
eine Frage der geiftigen und materiellen Zuftände, des
Wohls der Menfchen und der Völker, im höheren Sinne
eine religiöfe und fociale Frage. Die Aufgabe ift, die
Völker des Orients aus ihrer Verkommenheit emporzuheben
und für die chriftlichc Cultur zu gewinnen, refp.
wiederzugewinnen. Der Grundctiarakter des Orients ift
ein religiöfcr, darum kann auch, wenn überhaupt bei
allen Völkern, fo zumal bei den orientalifchen nur auf
religiöfem Wege gründlich geholfen werden. Wie aber
und von wo aus foll die Hülfe gebracht werden? Die