Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1876 Nr. 20

Spalte:

521-523

Autor/Hrsg.:

Pfaff, Friedrich

Titel/Untertitel:

Ueber die Entstehung der Welt und die Naturgesetze 1876

Rezensent:

Pfleiderer, Edmund

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

521

Theologifche Literaturzeitung. 1876. Nr. 20.

522

eigenthümlichen, auch in diefer 2. Aufl. kaum gemilderten
Subordinatianismus zufammen. Denn ,Gott' ift ihm
im Grunde nur ,der Vater'. Ja der Verf. verfteigt fleh
(I, 361) bis zu dem gewagten Ausfpruch: ,die von der
Vernunft (welcher?) geforderte göttliche Urperfönlich-
keit, welche unendlicher Geift ift, ift der Vater'. Der
,Sohn' (und ebenfo der Geift) ift nur ,Gott' in ,des Wortes
zweitem Sinn' — d. h. von beiden gilt mit der Abhängigkeit
vom Vater auch das capaxfiniti, während der
.Vater' als der Ungezeugte und allein ,Unveränderliche'
niemals ,die Endlichkeit in fich aufnehmen kann'
(I, 362 ff.; 400 f. II, 8 ff.)! Gilt das vom eigentlichen
Wefen Gottes, fo mufs confequenter Mafsen dem Sohne
und Geilte mit der Behauptung ihrer ,Veränderlichkeit'
auch die Gottheit abgefprochen werden. Und in dem
.Vater' hätten wir den deiftifch-reformirten ,Gott', der mit
jenem ,in Ifrael wohnenden', im ,Flcifch offenbar' werdenden
, dem Menfchenherzen durch die nnio mystica real
einwohnenden Gott der Heilsgefchichte nicht recht zu-
fammenftimmen will.

Kahnis i(t aber keineswegs confequenter Subordi-
natianer, ebenfowenig wie er in der Abendmahlslehre
als confequenter Spiritualift erfcheint Er bekennt fich
nachher (I, 380) wieder zur ,Homoufie', die er freilich
nicht als Koordination' gefafst fehen will, während jene
doch factifch noch mehr ausfagt, nämlich wirkliche We-
fenseinheit (Immanenz, Inexiftenz, Perichorefis). Und an
einer anderen Stelle (II, 1 ff.) wird wiederum von Chri-
ftus gefagt, dafs er fich felblt ,Gott glei chftellt', fo dafs
die früher betonte Unterordnung (I, 362 f.) doch nur als
eine hcilsgefchichtlich (durch den Stand der Erniedrigung)
motivirte verftanden werden kann.

Ebenfo ift es in der vielbefprochenen Kahnis'fchen
Sacramentslehre. Der von dem Verf. zuerft fo energifch
betonte ,tropifche' oder ,fymbolifche Charakter des ganzen
Mahles' ^II, 339 ff.), in welchem ,die Aneignung des
Leibes und Blutes Chrilti im Glauben verfinnbild-
licht' werde, fo dafs das Abendmahl als ein .gottge-
fpendetes Wort' zu faffen fei, welches ,die Zueignung
des Leibes und Blutes Chrifti bedeutet'; — diefe echt
reformirten Aeufserungen gehen friedlich Hand in Hand
mit der Behauptung, dafs das Brot das ,Medium' fei, durch
welches .uns der Leib, das Blut Chrifti wird'. Daher
auch .Unwürdige' den Leib Chrifti .empfangen'. Im
Abendmahl wird allen Empfängern der Leib Chrifti
gefpendet, die .Heils- und Lebenskraft desfclben' allerdings
,nur den würdigen Empfängern". Das ift wieder
die orthodox-lutherifche Lehre bis zur vianducatio oralis
infidelium II —

Noch manche andre Unklarheiten und Selbftwider-
fprüche könnten wir in diefer .Glaubenslehre nach hifto-
rifch-genetifcher Methode' — aufweifen. Das Hervorgehobene
möge als Beweis dafür genügen, dafs das fon-
derliche Charisma des Verf.'s mehr auf dem hiftorifchen
als auf dem fyftematifchen Gebiete liegt. Trotz Alledem
wirkt aber diefe Dogmatik befruchtend und das
Nachdenken anregend auf Jeden, der fie mit Hingebung
ftudirt. Und an hiftorifch reichem Material wie an geift- j
vollen Apergüs wüfste ich ihr kaum eine zweite unter
den neueren Arbeiten in diefer Disciplin an die Seite zu
ftellen.

Dorpat. • üettingen.

Pfaff. Dr. Friedr., Ueber die Entstehung der Welt und die
Naturgesetze. [Zeitfragen des chriftlichen Volkslebens,
f. Bd. 3. Hft] Frankfurt ■ M. 1876, Zimmer. (37 S.
gr. 8.) M. 1. —

Eine mit mafsvollfter Ruhe und anregender Klarheit
gefchriebene FTörterung eines echten Zeitproblems, bei
welcher wir nur im Intereffe der von ihr gewifs er-
ftrebten gröfseren Popularität die aftronomifch-mathe-

matifchen Paffagen etwas leichter für das gewöhnliche
■ Publicum gehalten wünfehten. Pfaff will vor Allem
! zeigen, dafs jede naturwiffenfehaftliche, fpeciell aftrono-
I mifch-phyfikalifche Betrachtung der rückwärts liegenden
! Frage nach der Weltentftehung an einen Punkt' führe,
; wo fie ihre totale Infufficicnz zur Löfung dcrfelbcn offen
| eingeftehen müffe. Die letzte erreichbare Station auf
diefem Weg ift nämlich das Kant-Laplace'fche Stadium
eines völlig gleichmäfsigen gasförmigen Zuftands des
vernunftnothwendig unendlich zu denkenden Univerfums.
Das ift nun aber ,eine Löwenhöhle, aus der wir auf rein
phyfikalifchem Weg durch die Kräfte der Materie allein
nicht zur Entftehung einer Welt gelangen'. Denn eine
! Veränderung jenes Gas-Alls ift durch keine der wiffen-
fchaftlich in Betracht kommenden Kräfte denkbar: nicht
durch Druck von Aufsen; woher follte ein folcher
natürlicher Weife dem unendlichem All angethan wer-
j den? — nicht durch Gravitation bei vollkommen gleicher
Stoffverthcilung; nicht durch chemifchc Affociation, da
J jenes unendlich dünne Gas fich gerade im Stand der
gröfsten chemiewidrigen Disfociation oder Verbindungsfeheue
befindet; und endlich nicht durch Tcmperatur-
I erniedrigung, denn wohin im All follte die Wärme aus
dem All entfehwinden? So flehen wir alfo lediglich
1 phyfikalifch betrachtend an einer fchlechthinigcn Grenze
und wiffen die Entftehung der Welt aus jener letzten
Uns erreichbaren Phafe nicht zu erklären!

Auch die nach vorwärts gerichtete phyfikalifche
Betrachtung der nun einmal irgendwie gewordenen Welt
führt uns an einen ähnlichen bedeutfamen Grenzpunkt.
Das Ende unferes jetzigen Weltfyftems ift früher oder
fpäter ficher zu erwarten. Achten wir auf das mecha-
nifche Gefetz der Bewegung, fo verurfacht der Aether-
widerftand eine fteigernde Minderung der Tangentialkraft
der rotirenden Körper und läfst demnach ,als Entwick-
lungsgefchichte der Welt kurz den Uebergang von dem
Zuftand der Vielheit und möglichften Ausdehnung zu
dem der Einheit und möglichften Verdichtung oder Zu-
fammenballung bezeichnen' (cf. den Empedokleifchen
(j(f>Ltioog ftatt y.ndfioc). Reflcctiren wir auf die andere
Hauptweltfeder, die Wärme, und denken an den beftän-
digen, nur unzulänglich erfetzten Wärmeverluft z. B.
unferer Sonne, fo ergiebt fich diefelbe Perfpcctive eines
Schluffes aller Entwicklung. Ueberhaupt, wie der Verf.
freilich etwas rafch und kurz, jedoch im Einklang mit
den bedeutfamften naturwiffenfehaftlichen Stimmen fagt,
bemerken wir als Tendenz unferes jetzigen Weltlaüfs
das Streben zur abfoluten Ruhe und completen Indifferenz
oder Spannungslofigkcit aller phyfikalifchen Kräfte. Ift
fomit das Ende ficher, fo folgt daraus eben fo gewifs
der Anfang unferer Welt im Gegenfatz zur materiafiftifch
gedachten in fich ruhenden Ewigkeit derfelben. Diefen
Schliffs kann ich allerdings nicht für ganz fcharf oder
wenigftens noch nicht für zureichend halten. Denn
eigentlich leugnet auch keine befonnenene Naturwiffen-
fchaft einen folchen, durch Aftronomie, Geologie u. f. w.
klar bewiefenen Anfang unferer Weltphafc. Wohl aber
bliebe dem Gegner, um den damaligen Anfang dennoch
nicht als einen göttlich gefetzten zugeben zu müffen,
noch derAusweg übrig, auf einen beftändig fich wiederholenden
Kreislauf der einzelnen Weltphafen zu recur-
riren, deren jede endlich wäre, während ihre Zahl ins
Unendliche fliege. Bekanntlich hat fchon Ariftoteles
eine folche, etwa mit dem unendlichen periodifchen Deci-
malbruch illultrirbare Anfchauung gehabt. Gerade aber
gegen diefe naidiä Jiog nach Heraklit wendet fich nun
zugleich noch eine andere kürzlich erfchienenc Schrift,
Hertlings .Grenzen der mechanifchen Naturerklärung',
welche fich überhaupt mit der vorliegenden Unterfuchung
fchr nahe berührt. Ich erlaube mir, auf meine Be-
fprechung und warme Empfehlung diefer trefflichen
Schrift in der Jenaer Literaturzeitung 1876 Nr. 19 hiermit
der Kürze halber zu verweifen. Uebrigens auch aus