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Ausgabe: | 1876 |
Spalte: | 493 |
Autor/Hrsg.: | Plitt, Gust. L. |
Titel/Untertitel: | Die vier ersten Luther-Biographien. Vortrag 1876 |
Rezensent: | Möller, Wilhelm |
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eben in der hiftorifchen Auffaffung, und ich würde in ; gefügt, welches geeignet ift, den Gebildeten unferer Tage
diefer Beziehung in manchen Stücken noch weiter gehen
Die ganze Lehre von Gott ift in der That von vorne
herein gar nicht eigene und freie Spcculation, fondern
Einblicke zu gewähren in einige Seiten des Culturftandcs
des Reformationsjahrhunderts. Hinfichtlich der Paftoren
werden die grofsen Schwierigkeiten anfehaulich gemacht,
nichts als eine fpeculative Rechtfertigung der Trinitäts- welche fich der Heranbildung eines fittlich achtbaren
lehre, die fich überall bis auf die Formel wiederfindet, , Paftorenftandes entgegenftellten, das niedere geiftige und
fobald man den überrafchenden deutfehen Ausdruck auf | fittliche Niveau ebenfo wie die ökonomifche Miföre des
die lateinifche und griechifche Terminologie zurückführt, ,Paftorenproletariats auf dem Lande'; und die immerhin
und Eckhart nimmt mit feiner Speculation zum Dogma ' anzuerkennende Anbahnung befferer Zuftände durch eingenau
die Stellung des Meiftcrs Thomas ein. Sodann
zeigt der Verfaffer namentlich in der Anthropologie, wie
die abweichenden Lehren Eckhards ebenfalls aus der
philofophifchen Arbeit des dreizehnten Jahrhunderts
herausgewachfen find, und fich überall an den gefährlichen
Grenzen bewegen, die die Theologie mit Diony-
fius und Ariftoteles in fich felbft aufgenommen hatte.
zelne Obrigkeiten, wie durch den Einflufs der Paftoren-
ehe werden an einzelnen Beifpielcn vorgeführt. (Unter
Anderem findet hier auch Beneke's Auffatz über die
Amtseinkünftc der Hamb. Landpaftorcn in älterer Zeit,
Zeitfchr. des Vereins f. Hamb. Gefch. 1874, Verwerthung.)
Der Geift der Streittheologie wird dann befonders
nach der Seite der Grobheit, des Zelotismus und der
Epochemachend aber ift und bleibt er dabei fchon durch j fittlichen Rohheit gefchildert, wobei die kleinen Päpfte in
die deutfehe Sprache. Und mit diefer hängt das andere | Weimar und Jena natürlich eine Rolle fpielen. Der
zufammen, dafs diefe Lehren eben nicht in fcholaftifcher Verfaffer weifs die draftifchen Züge herauszuheben, um
Form, fondern zur Aneignung des Glaubens vorgetragen, diefe kleinliche proteftantifche Carricatur der Hierarchie
die Speculation fozufagen realifirt wird, und dies eben ins Licht zu ftellen. Uns dünkt freilich, es follte bei
ift die Myftik. Preger hat endlich über den fogenannten j der Aufweifung des unleugbar abfchreckcndcn Thatbe-
Widerruf und die Verurtheilung Eckhart's feine bekannte j ftands nicht fein Bewenden haben, fondern etwas ein-
gegen Pfeiffer gerichtete Auffaffung hier weiter ausge- I gehender auf die hiftorifchen Wurzeln hingewiefen wer-
führt und fchlagend begründet, auch das urkundliche ! den, durch welche diefe Nachtfeite der Reformations-
Material beigegeben. Eckhart's Erklärung in Cöln war kirche mit der durch den gefchichtlichen Verlauf der
kein Widerruf, und die päpftliche Bulle, welche diefen Reformation unvermeidlichen Wendung und mit den
behauptet, Hellt eine Fiction auf, dies dürfen wir be- 1 eigenthümlichen Schwierigkeiten zufammenhängt, in
haupten, fo lange nicht ganz andere Beweife beigebracht welchen fich das aus dem alten kirchlichen Organismus
werden. Die Verdammung des Dominikaners aber fällt losgeriffene Paftorenthum unter dem Nothftand unbefrie-
in der Zeit zufammen mit der Wiedergewinnung der , digender Verfaffungsverhältnifse befand. Die lutherifchen
Franziskaner für Johann,XXII. Darin liegt der Schlüffel. J Päpftlein würden dabei nicht liebenswürdiger aber in
Tübingen. C. Weizfäckcr.
F litt, Prof. Dr. Guft. L., Die vier ersten Luther-Biographien
. Ein Vortrag, geh. im Decbr. 1875. Erlangen
1876, Deichcrt. (34 S. gr. 16.) M. — 40.
Zurückblickend von Köftlin's Werk auf die Anfänge
der Lutherbiographien charakterifirt der kundige Verf.
in eben fo anziehender als fchlichter Weife 1) Melanch- j Weife zur Anfchauung gebracht. — Für den 2. Ab-
manchen Beziehungen begreiflicher erfcheinen. Was der
Verfaffer über die Predigtweife mittheilt, verräth doch
auch feine Vorliebe, in draftifcher Weife eben nur die
Schattenfeiten, das zelotifche Poltern, den roh populären
Ton, die geiftige Befchränktheit hervorzuheben; die Lichtfeite
, welche doch wahrlich auch in culturhiftorifcher
Beziehung an der proteftantifchen Kanzel des 16. Jahrhunderts
bei allen ihren handgreiflichen Schwächen hervorgehoben
zu werden verdient, wird mit einigen allgemeinen
Bemerkungen berührt, aber nicht in gleicher
thon'sOT/h mit ihrer apologetifchen Tendenz, deren bio- fchnitt hat der Verfaffer vor Allem den von Kluckhohn
graphifcher Werth trotz der Zuverläffigkcit ihres Verf.
an dem Zweck und Plan derfelben feine Befchränkung
findet, 2) die umfaffende aber von feindfcligem Geifte
beherrfchte Darfteilung des Cochlaeus, 3) Ratze-
bergcr's Aufzeichnungen, deren Werth, foweit fie
Luther's Leben betreffen, auf dem vertrauten Verhältnifs
des Schreibers zu Luther in deffen fpäteren Jahren beruhen
; endlich 4) mit befonderer Vorliebe die Hiftorien
des Mathefius. Wer wollte fich dem am Schlufse ge-
äufserten Wunfche nicht anfchliefsen, dafs auf Grund der
tieferen und umfaffenderen Forfchungen unferer Zeit eine
herausgeg. Briefwechfel Friedrich's von der Pfalz ftark
ausgenutzt und damit für feinen Zweck in der That
einen glücklichen Griff gethan; Albrecht Alcibiades
von Brandenburg (nach J. Voigt) ift als Contraft gegenüber
geftellt. Auch das fonft zur Veranfchaulichung
Vorgebrachte hat den Werth einer guten Auswahl aus
der biographifchen Literatur über die Reformationszeit.
Ebenfo werden Manchem die Mittheilungen über die
Prefszuftände willkommen fein, welche der Verfaffer
aus dem Codex Nundinarins (Schwetfchke), dem von
Kelchner und Wülcker herausgegebenen Hardcr'fchen
Lutherbiographie erwachfen möchte, die auch durch eine Mefsmemonal, den Schriften von Sachfe und Wiedemann
den Forderungen des jetzigen Gefchmacks entfprechende 1 über die Büchercenfur u. a. zufammengeftellt hat. Am
Darfteilung geeignet wäre, fo ein Volksbuch für die dürftigften find die Mittheilungen über das peinliche
evangelifche Chriftenheit Deutfchlands in unferen Tagen ' Recht. — Der Verfaffer hätte wohl nicht Urfache, wieder
zu werden, wie des Mathefius Predigten für die vorigen 1
Jahrhunderte es gewefen find!
Kiel. Möller.
holt auf die Illufionen ,von der guten alten Zeit' zurückzukommen
, um ihnen mit der nackten Wirklichkeit auf
den Leib zu rücken. Der Realismus unferer Tage und
das darin wurzelnde lebhafte Intereffc, deffen fich alle
____- { culturgefchichtliche Aufhellungen und Vergegenwärtig-
, , . , ! ungen der Vergangenheit zu erfreuen haben, beforgen
Calinich, Rob., Aus dem 16. Jahrhundert. Culturgefchicht- 1 fchon die Zerftörung folcher Illufionen, wo fie etwa noch
liehe Skizzen. Hamburg 1876, Mauke Söhne. (X, i beftehen, und es thäte vielleicht bei Skizzen wie den
301 S. 8) M 4 _ | n'er besprochenen eher Noth, auch einmal daran zu er-
1 hinern, dafs man in allen diefen grofsentheils fo wenig
Unter den Rubriken 1) die Paftoren, 2) Fürftcn und : liebenswürdigen Wirklichkeiten den Geift der Gefchichte
luirftinnen, 3) die Preffe, 4) das peinliche Recht, wird in
diefen aus Vorträgen des Verfaffers erwachfenen Skizzen
allerlei culturhiftorifches Material etwas locker zufammen-
doch noch nicht hat.
Kiel. Möller.