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Ausgabe:

1876

Spalte:

485-489

Autor/Hrsg.:

Braunsberger, Otto

Titel/Untertitel:

Der Apostel Barnabas. Sein Leben und der ihm beigelegte Brief wissenschaftlich gewürdigt 1876

Rezensent:

Harnack, Adolf

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ift (Taf. 8, aus dem Berliner Fragment eines Evangeliars).
Den Uebergang 7.ur Minuskel veranfehaulichen zwei Bei-
fpiele, deren eines (Taf. 9) uns einen Thcil der Untcr-
fehriften unter den Acten des fechsten ökumenifchen,
i. J. 680 zu Conftantinopel abgehaltenen Concils vorführt,
wefche abgefehen von dem rein paläographifchen Intereffe,
das fic gewähren, auch noch dadurch merkwürdig find,
dafs fic, ohne Zweifel autograph, uns mit der Hand-
fchrift von zehn Bifchöfen jener Zeit bekannt machen;
das andere ift eine in verkleinertem Mafsftabe ausgeführte
Nachbildung des aus Montfaucon und Mabillon
bekannten Beifpiels alter kaiferlicher Kanzleifchrift, des
einzigen, das uns erhalten ift (Taf. 10 u. Ii, vielleicht das
Bruchftück eines von Conftantin V. an Pippin gerichteten
Schreibens).

Die Originale der erften 11 Schriftproben find, mit
einer einzigen Ausnahme (Taf. 8), in England, Frankreich,
Italien und Rufsland zerftreut. Es mufste daher, wenn
nicht die Hcrftcllungskoften bedeutend erhöht werden
foIlten, hier überall aus zweiter Hand gefchöpft werden,
und diefem Umftande, verbunden mit der Schwierigkeit
wo nicht Unmöglichkeit abfolut treuer Wiedergabe, welche
in der Befchafienheit jener alten Urkunden felbft ihren
Grund hat, ift es zuzufchreiben, dafs uns nicht überall
die gleiche Klarheit der Schriftzüge entgegentritt (vgl.
Taf. 2, 3 u. 4). Für die Minuskel dagegen ftanden die
Originale der Berliner Bibliothek zur Verfügung, fo dafs
die Tafeln 12—20 hinfichtlich der Genauigkeit bis ins
kleinfte Detail nichts zu wünfehen übrig laffen: ein An-
fpruch, welchen die zwölf der .Anleitung' beigegebenen
Schrifttafeln fchon deshalb nicht erheben konnten, weil
fic, wenn auch mit grofsem Gefchick, aus freier Hand
nachgezeichnet waren. — Dafs auf neun Tafeln ein auch
nur annähernd vollftändiges Bild der Minuskelfchrift
nicht geboten werden konnte, verfteht fich bei der
grofsen Mannigfaltigkeit des Schriftcharakters von felbft.
Es ift daher dringend zu wünfehen, dafs die Bedingung,
an welche das Erfcheinen eines zweiten Heftes mit Ergänzungen
geknüpft wird, dafs es nämlich dem begonnenen
Unternehmen an Beifall und Unterftützung nicht
fehle, in reichem Mafsc wahr werden möge. Wenn wir
uns aber für diefe Fortfctzung einen Wunfeh geftatten
dürfen, fo ift es der, dafs der Hrsg. in Bezug auf die
Zeitbcftimmung der Handfchriften aus der im erften
Heft beobachteten Zurückhaltung heraustreten möge.
Ob der Codex Sinaiticus mit Tifchendorf in die Mitte
des 4. Jahrhunderts verfetzt oder mit Anderen für erheblich
jünger gehalten wird, erfahren wir nicht, und von
den Minuskelhandfchriften der Berliner Bibliothek, die
fämmtlich undatirt find, wird nur eine einzige als vielleicht
dem 13. Jahrhundert angehörig bezeichnet; bei den übrigen
entfpricht auch die Reihenfolge, in welcher fie mit-
getheilt find, nicht der Zeitfolge ihrer Entftehung. Das
Günftigfte wäre freilich, wenn dem in Ausficht geftellten
Ergänzungsheft eine Reihe datirter Handfchriften zu
Grunde gelegt werden könnte. Ob dies aber gelingt
oder nicht: in jedem Falle ift der Herr Herausgeber
des Beifalls und Dankes aller derer ficher, welche die
griechifchc Paläographie in den Kreis ihrer Studien gezogen
haben, wie er uns fchon durch die vorliegende
werthvolle Gabe aufs neue zu aufrichtigem Dank verpflichtet
hat.

Leipzig. O. Gebhardt.

Braunsberger, Prieft. Dr. Otto, Der Apostel Barnabas.

Sein Leben und der ihm beigelegte Brief wiffen-
fchaftlich gewürdigt. Gekrönte Prcisfchrift. Mainz
1876, Kupferberg. (VIII, 278 S. gr. 8.) M. 3- r*>-
Diefe von der Theol. Facultät der Univ. München
gekrönte Arbeit zerfällt in zwei Thcile: 1) Untcrfuchungen
über das Leben des Apoftel Barnabas (S. 1—135).

2) Der Barnabasbrief (S. 136—278). Die Abfchnittc über
,den Apoftolat des h. Barnabas' (S. 35—50) und über
,die ältere Gefchichte des Barn.-Briefes' (S. 144—171)
find bereits früher in der Ztfchr. ,dcr Katholik' (1875
Sept. u. Octob.) von dem Verf. veröffentlicht worden.
Es mufs anerkannt werden, dafs die Schrift mit grofsem
Fleifse gearbeitet ift: der Verf. hat mit Ausnahme der
neueren proteftantifchen Untcrfuchungen über die Apo-
ftelgefchichte Alles herbeigezogen und behandelt, was
irgend hier in Betracht kommen kann. Das Buch ift formt
jedenfalls die eingehendfte Arbeit, die wir über Barnabas
oder richtiger über den B. der kirchlichen Tradition
befitzen. Es ift zudem mit grofsem Gefchicke gefchrieben.
Der Stoff ift fchr überfichtlich und zweckmäfsig geordnet
und die Darftellung intereffant und fpannend. Aber damit
ift auch die Hauptfache von dem gefagt, was fich zu
Lob des Verf.'s anführen läfst. Von einer wirklich kri-
tifchen Behandlung der Barnabas-Legenden gerade in den
Hauptpunkten ift nicht die Rede; vielmehr wird fo ziemlich
Alles, was an Sagen über die Perfon und die Lebcns-
fchickfale des B. vorhanden ift, foweit es nicht der
römifchen Tradition direet widerfpricht, gläubig von dem
Verf. aeeeptirt und zur Glorification feines Helden ver-
werthet. Auf letztere hat es der Verf. befonders abgefehen
; denn als vollbürtigcr, allgemein anerkannter Apo-
j ftel foll B. neben die Anderen treten (S. 37—52), und um
dies zu erreichen, entledigt fich Braunsberger auch noch
des Minimums von Kritik, welches ausreicht, um die
fpäteren Nachrichten über B. fammt und fonders, vor
allem fchon die acta Barnabac auetore Marco, als das zu
erkennen, was fie find, nämlich wie Baronius richtig
urtheilte: multis et apertissimis coagmentala mendaeiis, ab
aliquo nebulone scripta. Es ift diefes kritiklofe Verfahren
aber um fo auffallender, als Braunsberger bei Behandlung
einzelner Probleme fich nicht feiten als einen be-
fonnen prüfenden Hiftorikcr erweift: fo ift neben untergeordneten
Partieen aus der Legendengefchichte befonders
der 2. Abfchnitt, der von dem Barnabasbrief handelt,
wenn er auch nichts Neues enthält, doch durchaus ver-
ftändig und kritifch gearbeitet. Allein leider mufs man
vermuthen, dafs von S. 136 an die Kritik deshalb erwacht
ift, weil hier einmal die Dogmatik derfelben bedarf,
um eine unbequeme Tradition abzuweifen. Die Refultate
der Untcrfuchungen des 1. Theiles nämlich, welche uns
den Apoftel und Märtyrer Barnabas, den Stifter der
mailändifchen Kirche, gefchenkt haben, laffen es nicht
zu, dafs derfelbe Mann der Verfaffer eines Briefes ge-
wefen fein foll, an deffen Inhalt ein katholifcher Clerikcr
des 19. Jahrhunderts allerdings vieles tadclnswerth finden
mufs. Diefer Brief mufs darum vogelfrei fein, darf zum
minderten nicht durch einen Namen gedeckt erfcheinen,
deffen Träger in die Reihe folcher Männer gehört, deren
Gefchichte lediglich eine monumentale Behandlungsweife
zuläfst. Dem Briefe kommt das natürlich nur zu Gute:
der Zweck desfelbcn wird wefentlich richtig erkannt, die
Lefer als Heidenchriften beftimmt, die Intcrpolations-
hypothefe — auch in der neueften Gcftalt, die ihr
Heydecke gegeben — abgelehnt, die Abfaffungszeit
zu vorfichtig dahin beftimmt, dafs der ganze Zeitraum
von 70 bis 137 offen gelaffen werden müffe, wenn auch
die Jahre c. 110—133 entfehieden den Vorzug verdienten.
Weder aus dem 4. noch aus dem 16. Capitel feien Schlüffe
auf die Abfaffungszeit zuläffig. Mit Grund hält B. den
Verf. für einen Heidenchriften, der früher perfönlich
unter feinen Lefern gewirkt habe; diefe, fowie er felbft,
feien wohl in Alexandrien und Umgebung zu fuchen.
Speciellere Untcrfuchungen über die eigenthümliche Lehrbildung
, wie fie im Briefe vorliegt, anzuflehen, hat B.
unterlaffen. Hier freilich hätte es fich erft ausreichend
gezeigt, ob dem Verf. eine haltbare hiftorifche Anfchauung
von dem Charakter des nachapoftolifchen Zeitalters zu
Gebote fleht. Ref. mufs nach Andeutungen, welche fich
hie und da verftreut finden, daran zweifeln, und kann

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