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Ausgabe:

1876 Nr. 19

Spalte:

483-484

Autor/Hrsg.:

Jatho, Geo. Friedr.

Titel/Untertitel:

Blicke in die Bedeutung des mosaischen Cultus, zugleich ein Beitrag zum Verständnisse des Hebräerbriefes 1876

Rezensent:

Diestel, Ludwig

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483

Theologifche Literaturzeitung. 1876. Nr. 19.

484

der nicht ausgerottet wird;; es ift derjenige, den die
Pforten der Hölle nicht überwinden u. f. w.' In c. 57,
9—13 findet der Verf. ausgefprochen, dafs ,die Kirche
von dem türkifchen Reiche, von Rufsland und dem pro-
teftantifchen Nordweften Europa's lange Zeit gleichfam
umfchloffcn und belagert worden' ift. Zu c. 59, 9—15a:
,Viclc Chriften werden den fogenannten Liberalismus
wohl nicht eher aufgeben, als fie deffen wirkliche Ab-
fichten erkennen'. In c. 59, 21 ,fcheint ein Concil angedeutet
zu fein, das bei der Wiedervereinigung der
Chriftenheit die bisherigen Streitfragen entfeheiden wird'.
Zu c. 66, 22 (,wie . . . fo beftehet euer Same und euer
Name'): ,Wer nicht von einem Bifchofe geweiht in, kann
weder abfolviren noch confecriren; der Episkopat ift der
Träger der göttlichen Vollmachten'.

Der Verf. erkennt neben folchen Weiffagungen auf
die chriftliche Kirche auch zeitgefchichtliche Beziehungen
an; aber Eörderliches hat er darin fo wenig wie in
irgendwelchen anderen Partieen feines Buches geleiftet.

Leipzig. Wolf Baudiffin.

Jatho, Conrect. Geo. Frdr., Blicke in die Bedeutung des
mosaischen Cultus, zugleich ein Beitrag zum Verftänd-
nifse des Hebräerbriefes. Hildesheim 1876, Gerften-
berg. (XIV, 103 S. 8.) M. 2. 25.

Im Vorworte unternimmt es der Verf., den Brief an
die Hebräer auf Paulus zurückzuführen ; weshalb er dies j
eigentlich thut, ift nicht abzufehen. In Befprcchung der
Gegengründe hält er fich ausfchliefslich an Lünemann.
Was in den Zeugnifsen des Alterthums gegen P. fpricht,
ift ,nur Vermuthung'. ,Nach Clemens Alexandrinus und
Origines {sie! kein Druckfehler; denn fo ift der Name i
dreimal auf Einer Seite gefchrieben!) ift der Stil unpau- ■
linifch. Indeffen verftanden die Alten (d. h. eben diefe !
Alexandriner, welche Griechifch als ihre Mutterfprache
redeten) fo wenig von dem Briefe und können deshalb J
über den Stil nicht urtheilen'. ,Kann es auffallend fein, |
wenn Paulus in den Briefen an die Heidcnchriften freier |
zu Werke geht, dagegen in einem Schreiben, welches j
an die Hebräer gerichtet ift, die an den Wortlaut der
LXX gewöhnt (!!) waren, fich enger an die bekannten j
Worte anfchliefst?' Der umgekehrte Schlufs wäre ebenfo
berechtigt. Wefentlich Neues bringt der Verf. nicht vor;
felbft I lofmann's parallele Anficht wird nicht berührt.

In der Schrift felbft deutet der Verf. den altteftam.
Cultus durchweg typifch. ,Die chriftliche Heilsordnung
mufs fich im altteft. Cultus wiederfinden; nicht in Worten,
fondern in Bildern. Denn diefe Zeit hatte eine ganz
andere Anfchauungsweife als wir'. Als ob nicht im
Pentateuch z. B. die Wirkung der Sündopfer oder die
Bedeutung der Stiftshütte in klaren Worten dargelegt
wäre! Oder redet etwa der Dekalog in Bildern? ,Wie
das ganze A. T. eine Weiffagung auf Chriftum ift, fo
mufs auch Alles im Cultus auf ihn und feinen Leib d. i.
die Gemeinde hinweifen. Bei den einzelnen bildlichen
Darftellungen und deren Deutung darf man nicht zu
ängftlich fein'. Nein, eine zu grofse Aengftlichkeit in
der Deutung kann man Herrn Jatho ficher nicht fchuld
geben. Ob er freilich nicht auch, wie fein Vorgänger
Coccejus, ,das Kind mit dem Bade ausfehüttet?' Man
höre etliche Pröbchen! Das Sittimholz (S. 7) ftellt die
menfehliche Natur dar, die der göttlichen Natur theil-
haftig geworden ift. Das Silber ift nach Prov. 10, 20
,das Wort Gottes in feiner Herrlichkeit'. Die Leinewand
ift als Stoff das Symbol des fanften Joches, als Earbe
das der Heiligkeit. ,Blau ift die Earbe des Zeugnifses
und Bekenntnifscs, wodurch die Zeugung Qsic!) zu Stande
kommt'. ,Die Zahl Vier bezeichnet die Zeugungsftätte.
Es zeigt dies die Ableitung von — zeugen'. Die

Zahl Zehn fteht in engfter Beziehung zum Knechte Gottes
und zwar ,infofern er fich in feiner Gröfse als der vollendete
Knecht Gottes zeigt, indem fein ganzes Erlöfungs-
werk durch den leidenden und durch den thätigen Ge-
horfam zur Anfchauung gebracht wird'. Die vier Säulen
find Symbol Eines Menfchen, weil ihnen Kopf und Fufs
beigelegt wird, nämlich eines folchen, der von der göttlichen
Natur durchdrungen ift. Das Erz bezeichnet (nach
S. 8) ,dic Offenbarung der Herrlichkeit in unvollkommener
Weife'. S. 13 heifst es: ,Das Erz ift die Herrlichkeit
des ftellvertretcnden Todes Chrifti'. Der Altar
ftellt Chriftum sv oagxi dar als Opfer, weil er Hörner
hat. Die eingefchloffene Erde ftellt die Menfchheit dar,
j aber die unfichtbare, die vom Opfer bedeckte Gemeinde.
Am Altar ift aber auch ,das Machwerk eines Netzes'
(darum hervorgehoben, ,weil man dem Gitterwerke die-
fes nicht anfehen konnte'); denn ,Chriftus und feine
Kirche ift das Netz, worin Fifche gefangen werden . . .
der füfse (!) Geruch der verbrannten Fetttheile und des
gebratenen (?) Fleifchcs lockt die Fifche heran'. Sonderbarer
Schwärmer! Alfo den Fifchnafen riecht verbranntes
Fett ,füfs'? — Doch genug der Proben. Wir fürchten
die Lefer zu beleidigen, wenn wir nur Ein Wort der
Kritik hinzufügen. Diefe Sorte von Typologie hat heute
im beften Falle nur pathologifches Intereffe. Die Augenfalbe
nach Apok. 3, 18 ift es wahrlich nicht gewefen,
welche Herrn Jatho zu diefen ,Blicken' befähigt hat.
Traurig genug, dafs es noch Menfchen giebt, die lür
ihre willkürlichften crudeften Einfälle die Werthfehätzung
wirklicher Plinficht und Erkenntnifs in Anfpruch nehmen,
nur deshalb, weil fie möglichft oft den Namen Chrifti
dabei mifsbrauchen.

Tübingen. L. Dicftel.

Wattenbach, Wilh., Schrifttafeln zur Geschichte der griechischen
Schrift und zum Studium der griechifchen
Palacographic. Berlin 1876, Weidmann in Comm.
(4 S. u. 20 photolith. Taf. Fol.) M. 10. —

Wenn die fo oft gehörte Klage über den Mangel
an Hilfsmitteln zum Studium des griechifchen Schriftthums
bald völlig verftummt fein wird, fo gebührt der
Dank dafür in erfter Reihe dem Flerausgeber diefer
Schrifttafeln, dem Meifter auf dem Gebiet der Paläogra-
phie, Wattenbach. Zwar fehlte es auch bisher keineswegs
an Schriftproben, welche dem genannten Zweck
dienen konnten; aber theils finden fie fich zerftreut und
vereinzelt an verfchiedenen Orten, theils in gröfscrer
Zahl in Werken vereinigt, die ihrer Koftbarkeit wegen
nicht überall und leicht zugänglich find, theils endlich
gebrach es überhaupt an einer Sammlung, welche bei
mäfsigem Umfang ein möglichft vollftändiges Bild von
der Entwickelung der Schrift durch die verfchiedenen
Stadien, welche fie von der älteften Zeit bis an den
Ausgang des Mittelalters durchlaufen, gewährt hätte.
In Sabas' verdienftlichem Werk ,Specimina palaeogra-
phha1 (Moskau 1863) ift die Uncialfchrift nur durch Proben
aus dem 5. (6.) bis 9. Jahrhundert vertreten, und die
zwölf Schrifttafeln, welche Wattenbach feiner Anleitung
zur griechifchen Paläographie' beifügte, befchränken
fich lediglich auf die Minuskel. Es ift daher mit der
Zufammenftellung einer Anzahl von Proben der beiden
Haupt-Schriftgattungen fowohl als des Uebcrgangs von
der einen zur anderen, wie fie uns hier vorliegt, einem
dringenden Bedürfnifs entfprochen.

Die Reichhaltigkeit der Beifpiele älteftcr Schrift fallt
alsbald in's Auge, wenn man ficht, dafs der Codex Sina-
iticus erft an fünfter Stelle auftritt; voraus gehen Papyrusfragmente
von der Zeit der Ptolemäcr an (Taf. 1,
j Mas Blankcsiana) bis etwa ins erftc Jahrhundert u. Z.
(Taf. 4, aus einer Hcrkulanenfifchen Rolle, ficher vor
79 n. Chr. gefchrieben), und den Befchlufs bildet eine
Probe der jüngeren entarteten Uncialfchrift, wie fie litur-
gifchen Büchern des 8.(?) 10. Jahrhunderts eigenthümlich