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Ausgabe:

1876 Nr. 18

Spalte:

475

Autor/Hrsg.:

Maier, F.

Titel/Untertitel:

Versuch einer ‘monistischen’ Begründung der Sittlichkeitsidee 1876

Rezensent:

Pünjer, Bernhard

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475

Theologifche Literaturzeitung. 1876. Nr. 18.

476

an rechter Durcharbeitung fehlt, braucht fchliefslich kaum
noch getagt zu werden. Auch der Stil, die Bildung der
Uebcrgänge und ähnliches ift thcilweife unerträglich.
Wir können nur bedauern, dafs die fehr ehrenwerthe
Verlagshandlung durch den Ruf ihrer Firma einem folchcn
Werke Abnehmer verfchaffen wird; noch mehr aber bedauern
wir, dafs der Verfaffer den Muth hatte, diefe
Arbeit zu veröffentlichen.

Mamburg. Carl Bertheau.

Maier, Prof. Dr. F., Versuch einer ,monistischen* Begründung
der Sittlichkeitsidee. Stuttgart 1876, Wittwer.
(22 S. gr. 8.) M. — 60.

DerVerfuch, vom Standpunkt des fog.,Monismus' aus
die Sittlichkeitsidee zu begründen, mufs Jedem von hohem
Intereffe fein, mag dcrfelbe nunvon dicferNaturphilofophie
eine Umgeftaltung auch der Geifteswiffenfchaften und des
praktifchen Lebens erhoffen, oder in diefem Verfuch
eine der vielen Klippen fehen, an welcher die neue Welt-
anfehauung nothwendig fcheitern mufs. Das ift auch
der Grund, weshalb wir diefen Verfuch voll Erwartung
zur Hand nahmen. Leider ward diefelbe getäufcht.
Zunächft ift es zu tadeln, dafs von entgegenftehenden
Anflehten nur die Verknüpfung des fittlichen Gefetzes
mit übernatürlicher Offenbarung und der auf das Jcn-
feits gerichteten Furcht und Hoffnung befprochen wird,
überdies oft in unwürdiger Form. Doch, was giebt
Verf. fclbft? Die Sittlichkeit ift ihm im weiteften Sinn
die innerhalb eines Lebenskreifes durch Gewohnheit geheiligte
Sitte, im engern Sinn das uneigennützige Handeln
für Andere, zu oberft ein Handeln nach klaren Principicn,
die geeignet wären, als allgemeine Maximen aufgeftcllt
zu werden. Diefen 3 Stufen entfprechend wird darauf
hingewiefen, dafs Ordnung als Mafs in der Verbindung,
Ausfcheidung des Unzweckmäfsigen, Vereinigung in
der Arbeitstheilung auf den verfchiedenen Gebieten
der Natur beobachtet werde, dafs ein Aufgeben
der Individualität zum Wohl Anderer fchon
bei Thieren fich finde, dafs die höchftc Stufe der
Sittlichkeit beim Menfchen beruhe auf dem Mitgefühl
, einem ,Zug von Unbefriedigtfein mit dem finnlichen
Genuffe, einem unbeftimmten, mächtigen Sehnen
nach einem unbekannten Höheren, aus dem nur der
Gedanke, Anderer Glück zu machen, erlöfen kann'.
Demfelbcn kommt von theoretifcher Seite die Erkcnnt-
nifs entgegen, dafs die Individualität eine Schranke fei
und alles Leben miteinander zufammenhänge, verpflichtet
zu gegenfeitiger Hülfeleiftung im Kampfe ums Dafein.

Jedermann erkennt, dafs die eigentlich in Betracht
kommenden Fragen: wie aus einer Natur ohne Zweck als
letztes Glied der nach Zwecken handelnde Menfch hervorgehen
könne? wie in einem Ganzen, das auf dem Kampf ums
Dafein, dem höchften Egoismus beruhe, Aufopferung für
Andere Gefetz fein könne? wie der Monismus die fittlichen
Phänomene der Verbindlichkeit und Zurechnung
erkläre? ja, wie Erziehung, auf die der Verf. ftets zurückkommt
, überhaupt möglich fei? u. v. a. m. — dafs diefe
Fragen gar nicht aufgeworfen find, dafs alfo die erfte
Bedingung zur Löfung eines Problems fehlt, nämlich die
klare und richtige Fällung desfelben. Dafs der Verfuch
zur Löfung diefer wichtigen Frage nicht das Geringfte
beiträgt, ift nach dem Gefagten felbftrcdend.

Jena. Bernhard Pünjer.

Evertsbusch, Pfr. St. Friedr., Lebensweihe für Jungfrauen.

2. Aufl. Elberfeld 1875, Friderichs. (X, 323 S. gr. 8.)
M. 6. —; geb. m. Goldfehn. M. 7. 50.

Die Literatur der Andachts- und Erbauungsbücher
unferer Zeit ift nicht reich an gediegenen Erzeugnifsen;
namentlich fehlt es an folchen für das jugendliche Alter.

Ein nicht geringer Theil diefer Literatur leidet entweder
an trockner Lehrhaftigkeit, die in abftractem Schulton
redet, während die Jugend in Anfchauungen denkt, oder,
was noch fchlimmer ift, an matter, geiftlofer Sentimentalität
, die denGefchmack für Religion gründlich verdirbt,
und erfchlaffend wirkt, ftatt durch kräftige Impulfe den
Willen zu wecken. Und doch ifts ein Bedürfnifs, dafs
nicht immer blofs die Andachts- und Erbauungsbüchcr
einer vergangenen Periode uns als Nahrung geboten
werden, fo bewährt diefe auch find, einzelne von claffifcher
Bedeutung mit dem Gepräge ewiger Jugend; die Andacht
mufs auch im Ton der Gegenwart reden, aus unferer
unmittelbaren Ifmpfindung und Sprache heraus. Die
Schwierigkeit, den rechten Ton der freien religiöfcn Meditation
zu finden, wie ihn die Andachtsbücher fordern,
ift nicht gering, zumal gegenüber der chriftlichen Jugend,
die nicht mehr auf der Stufe des unmündigen Alters
j fleht, aber auch ein fo entwickeltes inneres Leben, eine
[ folche Reife der Einficht und des Charakters noch nicht
befitzt, um als mündig behandelt zu werden. Ein fchätzens-
werther Verfuch in diefer Richtung ift das vorliegende
Erbauungsbuch, das nicht fpeciell an Confirmanden fich
wendet, auch nicht gerade als Mitgabe für folche fich
eignet, da es Situationen und Lebensaufgaben ins Auge
fafst, für welche auf diefem Standpunkt noch kein Ver-
ftändnifs vorhanden ift, das vielmehr im Allgemeinen an
die weibliche Jugend fich richtet, auch gereiften Jungfrauen
ein Freund und Führer fein will, Vielen, wie das Vorwort
zur zweiten Auflage dankbar bekennt, bereits geworden
ift.

Die Anlage des Buches ift finnig und anfprechend.
In zwei Abtheilungen wird der reiche Stoff behandelt,
und zwar in der erften Abtheilung die Frage beantwortet:
wie fleht das Leben vor dir? (1. was bringt dir das Leben?
2. was fordert das Leben?), in der zweiten Abtheilung die
Frage: wie ftchft du vor dem Leben? (1. deine Schwäche,
2. deine Kraft). Der erfte Theil entwirft ein Bild des
Lebens mit feinen Leiden und Freuden, wie mit den
Aufgaben und Pflichten, die es an den Chriften, fpeciell
im weiblichen Beruf ftellt, der andere Theil handelt
hauptfächlich von der Perfon und dem Werke Chrifti
als dem Grund der Kraft des Glaubens, der Liebe und
der Hoffnung, in welcher Wort, Sacrament und Gebet
beftärken, die als ,Förderungsmittcl' der Kraft empfohlen
werden.

Das für eine Erbauungsfchrift ungewöhnlich umfängliche
Buch ift mit fubjectiver Wärme und Innigkeit ge-
fchrieben; der Verfaffer fucht überall an die edleren,
natürlichen Regungen anzuknüpfen, um fie chriftlich zu
verklären, geht mit liebevollem Verftändnifs möglichft auf
den Bildungsftandpunkt feiner Lcferinnen und auf die
befonderen Situationen und Bedürfnifsc derfelben ein.
Aber es fehlt der Schrift an dem feften Grund und der
klaren Geftalt einer ausgeprägten chriftlichen Lehre und
Erkenntnifs, die das Ganze tragen mufs, fo wenig auch
eine folche Schrift eine einfeitig doctrinäre Haltung verträgt
; es ift eine fehwankende Haltung und fchwebende
Unbeftimmtheit, die dem Buche eignet; der pofitiv-chrift-
liche und der humaniftifche Zug gehen ohne rechte Vermittlung
durch einander. Dies tritt befonders hervor in
den Ausführungen über die Perfon und das Werk Chrifti,
in denen der Verföhnungsglaubc der Kirche, der Chriftus
für uns, nicht genügend zu feinem Rechte kommt, und
in der Partie über die Sacramente, fpeciell über das
heilige Abendmahl, die das Myfterium desfelben nicht
gebührend anerkennt; auch ift, was der Verfaffer über
die Stellung zur chriftlichen Lehre, zu den Anfchauungen
über ,religiöfc Dinge' fagt, mindeftens mifsverftändlich
und geeignet in der herrfchenden Anficht zu beftärken,
welche den Werth der chriftlichen Erkenntnifs für das
chriftliche Leben unterfchätzt. Dem entfpricht, dafs der
Verfaffer nur fehr fporadifch an die Schrift anknüpft,
während doch eine Hauptaufgabe der religiöfen Erbauung