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Ausgabe:

1876 Nr. 18

Spalte:

466-469

Autor/Hrsg.:

Rothe, Richard

Titel/Untertitel:

Rothe’s Vorlesungen über Kirchengeschichte und Geschichte des christlich-kirchlichen Lebens 1876

Rezensent:

Weizsäcker, Carl

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Theologifche Literaturzeitung. 1876. Nr. 18.

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lieh freuen, dafs katholifchen Studirenden und Geiftlichen
fortan die Möglichkeit geboten ift, ein approbirtes Werk
für das Studium derOffenbarung zu benutzen, in welchem
,die Berge von Willkürlichkeiten, welche die kirchenge-
fchichtliche Auslegung zufammengehäuft hatte', gröfsten-
theils abgetragen find. Anders freilich mufs das Urtheil
über den vorliegenden Commentar ausfallen, wenn man
die relative Schätzung feines Wcrthcs bei Seite läfst;
denn weder in Conftituirung des Textes, noch in exaeter
grammatifcher Worterklärung, noch in Unterfuchung und
Bcftimmung der theologifchen Eigentümlichkeiten und
Enträthfelung der hiftorifchen Beziehungen des Buches
ift in dem Commentare irgend etwas Nennenswertes
geleiftct. Referent hat nirgendwo aus dem Buche den
Eindruck gewonnen, dafs der Verfaffer gründlich und
felbftändig wenigftens einen Theil der Vorarbeiten,
welche zur Erklärung der joh. Offenbarung notwendig
find, abfolvirt hat; dagegen ift ihm Seite für Seite
die Abhängigkeit aufgefallen, in welcher das Handbuch
zu den Arbeiten von Düfterdieck, Klicfoth
und Auberlen fteht. Diefc Abhängigkeit zeigt fich
vor allen Dingen in dem, was man das exegetifche
Material zu nennen pflegt. Ref. glaubt behaupten zu
können, dafs mit ganz geringfügigen Ausnahmen das
gefammte Material, welches B. beigebracht hat, in dem
Düff crdieck'fchen Commentare zu finden ift; jedenfalls
geht aus dem Werke felbft nicht hervor, dals der Verf.
clie Kirchenväter und alten Ausleger, die er hie und da
citirt, dafs er Schöttge n's und Wetftcin's Sammlungen
— von den jüdifchen Apokalypfen und der rabbinifchen
Literatur zu fehweigen — durchgearbeitet hat. Sobald
dies conftatirt ift, hat es wenig Intcrcffe, das Urtheil des
Verf.'s betreffs der einzelnen Hauptfragen hier verzeichnet
zu fchen. Der Verf. bezeichnet feinen AuslegungsTtand-
punkt felbft als den endgefchichtlichen im Gegenfatz zu
der kirchen-, reichs- und zeitgefchichtlichen Auslegung;
letztere nennt er auch die ,rationaliftifche' und rechnet
Düfterdieck mit unter ihre Vertreter, ohne zu vermerken,
dafs nach D. c. 13 u. 17 Offenbarungen enthalten, welche
nicht aus der Anfchauung der Gegenwart dem Propheten
geworden fein können. Unter den neueren proteftanti-
fchen Auslegern berührt fleh B. alfo am meiften mitKlie-
foth, dem er jedenfalls fehr viel zu verdanken hat, wie
fchon ein Blick auf die von B. vorgcfchlagene Gliederung
der Apokalypfe zeigt. Mit Kliefoth aber verfällt auch
B. demfelben Gefchick, dem alle Ausleger noch verfallen
find, welche die hiftorifche Erklärung der Apokal. als
die rationaliftifche ablehnen und einfichtsvoll genug find,
die kirchengefchichtliche Deutung im Princip preiszugeben
: es dringt trotz Reichsgefchichtc und Endgefchichte
die gefchmähte kirchengefchichtliche Auslegung zur
Hinterthür wieder ein; denn die Apokalypfe fordert eben
eine wirkliche Gefchichte zu ihrer Grundlage, fei es
nun die vor, fei es die nach ihrer Abfaffung wirklich
vergangene. Im letzten Grunde heifst das Dilemma:
zeitgcfchichtliche oder kirchengefchichtliche Auslegung:
möge man das doch aus der Gefchichte der Auslegung
der Offenbarung lernen. Ganz dürftig ift die hiftorifche
Einleitung (S. 3—10), welche B. feinem Commentare
vorangeftellt hat. Dafs an der Abfaffung durch
den Apoftel Johannes z. Z. feines Exils auf Patmos unter
Domitian nicht gezweifelt wird, ift noch das geringfte;
die wichtigften Eragen werden hier theils ganz überfehen,
thcils völlig falfch beantwortet. So lieft man S. 8:
,Wenn nach der Mitte des 3. Jahrh. mehrere Kirchen-
fchriftfteller, wie Dionyflus v. Alex., Eufebius, Hieronymus
u. A. in ihrem Urtheil über die Echtheit der Apok.
fchwankend wurden . . . ., fo läfst fleh diefes aus dem
damals (!) mächtig fich erhebenden rohen Chiliasmus
erklären'. Hierauf fährt der Verf. fort: ,Am Ende des
4. Jahrh. wurde aber diefe Schrift förmlich als eine
apoftolifch-johanneifche von den Synoden zu Hippo und
Karthago in den Kanon des N. T. aufgenommen. Von

da an verfchwinden die Zweifel an der Echtheit der
Apok. bis Erasmus und Luther'. Alfo von der griechi-
fchen Kirche kein Wort: der Unkundige mufs nothwen-
dig den Eindruck gewinnen, als hätten die Synoden zu
Hippo und Karthago auch für die gricchifche Kirche die
Frage zum Abfchlufs gebracht. — Anzuerkennen ift, dafs
der Verf. fehr vorfichtig gewefen ift in Empfehlung
fpeeififeh römifchcr Erklärungen, wie fein Urtheil im
Einzelnen überhaupt befonnen und nüchtern zu nennen
ift. Nur zu c. 12, 1 f. konnte er, obgleich er die Deutung
auf die Mutter Jcfu abweift, nicht umhin zu bemerken:
,Nur das ift zuzugeftehen, dafs der idealen Anfchauung
des Apokalyptikers die hiftorifche Perfon der Jungfrau
Maria einen Anhaltspunkt bot. Sofern Maria als Mutter
des Herrn die Repräfentantin des wahren Ifracl war,
und in der Endgefchichte der Kirche fich der Anfang
wieder abfpiegclt, kann das Geficht auch auf fie angewendet
werden'.

Leipzig. Ad. Harnack.

Rothe's, Rieh., Vorlesungen über Kirchengeschichte und
Geschichte des christlich-kirchlichen Lebens. Herausgegeben
von Prof. D. H. Weingarten. 1. Theil. Die
katholifche oder kirchliche Zeit. — 2. Thl. Die katho-
lifche und die proteftantifche Zeit. Heidelberg 1875,
J. C. B. Mohr. (XII, 492 u. XX, 555 S. gr. 8.) M. 13. —

Der Herr Herausgeber erklärt in feiner Vorrede zu
dem erften Bande, woraus diefc Mittheilungen gefchöpft
find. Diefelben geben zunächft das Manufcript Rothe's
zu feinen Vorlefungen über die Kirchengefchichte,
welche er vom Hcrblt 1854 an in Heidelberg entworfen
und achtmal vorgetragen hat. Sie ergänzen diefes aber
auch aus den Wittenberger kirchengefchichtlichcn Vorlefungen
, aus der Zeit von 1828 —1837, welche fich in
Rothe's Nachlafs vorgefunden haben, und deren es drei
waren: t. über die Gefchichte des chriitlich-kirchlichen
Lebens (in den erften drei Jahrhunderten). 2. Gefchichte
der chriftlichen Kirche als folcher. 3. Gefchichte des reli-
giöfen Gciftes und Lebens (bis zur Reformation). Aus
dem Manufcript Nr. 2 find Rothe's .Anfänge' hervorgegangen
. Der Herausgeber hat diefc Materialien in der
Weife mit verwendet, dafs er einzelne Abfchnitte aus
denfelben, wo es ihm zweckmäfsig fchien, cingefchaltet
hat; es kommen hiebei für die ältere Zeit Nr. 1 und 2,
fodann für das fpätere Alterthum und das Mittelalter
Nr. 3 in Betracht. Aufscrdem lagen die Vorträge vor,
welche Rothe als Gefandtfchaftsprediger in Rom über
Materien der älteften Kirchengefchichte gehalten hat,
und welche zum Theil den Fortfehritt feiner Entwicklung
lehrreich beleuchten. Was die hinterlaffenen Papiere
Rothe's von befonderen gefchichtlichen Studien
enthalten, fowie von unausgeführten literarifchen Abheilten
auf diefem Gebiete, hat der Herausgeber in der Vorrede
zum zweiten Bande berichtet. Sein Verfahren war
nicht blofs, dafs er das Beachtenswerthe aus früheren
Zeiten mit dem eigentlichen Texte des Werkes verband,
fondern es beftand auch zweitens darin, dafs er alles
dasjenige vom Drucke ausfchlofs, was für die kirchen-
gefchichtlichen Vorlefungen aus anderen Darftellungen,
vorzüglich aus Giefeler, aber auch aus Baur, Neander,
Hafe entnommen war. Endlich hat der Herausgeber
die von ihm aufgenommenen Stücke mit ergänzenden
und berichtigenden Bemerkungen fowohl in Anfehung
der Literatur als der Sache verfehen, die zwar meift
ganz kurz und anfpruchslos find, aber gar manche treffende
Winke und über den nächften Zweck hinausführende
Orientirungen für den gegenwärtigen Stand enthalten
.

Rothe's Eintheilung der Kirchengefchichte ift charak-
I teriftifch. Sie kennt zwei Zeitalter, das erfte nennt er