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Ausgabe:

1876

Spalte:

28-30

Autor/Hrsg.:

Brugsch-Bey, Heinr.

Titel/Untertitel:

Neue Bruchstücke des Codex Sinaiticus, aufgefunden in der Bibliothek des Sinai-Klosters und veröffentlicht 1876

Rezensent:

Gebhardt, Oscar

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27

Theologifche Literaturzeitung. 1876. No. I.

2S

chriftliche Erziehung ,unmöglich' fein. Weitere Beifpiele
B. 1 S. 510 Z. 26 f. 18 v. u., S. 506 Z. 6 v. o., S. 505
Z. 6 f. v. u. S. 501 find die ,drei' Factoren fittlicher
Lebensbewegung ,der göttliche und perfönliche'!

Erwägen wir fchliefslich den fachlichen Werth der
Zufätze zu den fyftematifchen Partieen des Buches, fo
war es fchwer hier die Aufgabe klar zu beftimmen, und
demgemäfs läfst fich auch nicht leicht ein Mafsftab für
das Urtheil finden. Dankenswerth erfcheint auch hier
die Emfigkeit in der literarifchen Sammlung; W. hatte
hierauf keinen grofsen Werth gelegt; auch die Gefchichte
der kirchlichen und philofophifchen Meinungen über einzelne
Punkte, wie die Nothlüge, die Adiaphora, wird
Manchen willkommen fein. Zweifelhafter ift uns der
Werth etymologifcher Ausführungen, die W. nicht zu
geben pflegte; die Erörterung, welche in diefer Richtung
I S. 509 in lockerem Anfchluffe an Vilmars irreführende
Abhandlungen der Begriff des Gewiffens findet, verftöfst
fogar nachweislich gegen die Etymologie und den Sprachgebrauch
. — Die Grenze zwifchen Ethik und Cafuiftik
ift immer fchwer einzuhalten, und auch W. geht oft
fehr ins einzelne; doch bleibt z. B. feine Behandlung der
Berührungen zwifchen Staat und Kirche in einer Allgemeinheit
, der gegenüber die Ausführungen in den Anmerkungen
fich wie Auszüge aus einer Streitliteratur des
Tages ausnehmen und 2 A. 144 zu einem förmlichen
Programm der Kirchenpolitik anfchwillt. Noch bedenklicher
endlich ift es, wenn hier und da der grundfätzliche
Standpunkt des Werkes in der Anmerkung umgebogen
wird. Dahin zählt die Einführung der ,drei fog. Prin-
cipien des Proteftantismus' I A. 64, welche doch eben
erft durch Kahnis ,fog.' wurden, und weder von W.
noch anderen als folche angenommen find; dahin die
fchielende Berufung auf ,mündliche Zeugniffe der Apoftel'
als Grundlage für die wiffenfchaftliche Behandlung der
chriftlichen Sittlichkeit I A. 40; dahin die Stellung der
Sacramente neben die Schrift als Offenbarung Gottes,
während W. fie offenbar S. 359 unter die Cultmittel
geordnet hatte.

Doch es mag fchwer fein, als Herausgeber mit folchen
Verbefferungen an fich zu halten; und um fo fchwerer,
je mehr man fich im Grunde mit feinem Verfaffer eins
weifs. Den Beweis hierfür hat D. Sch. noch in dem
,Lebensabrifs' geliefert, der diefem Hauptwerke des feiigen
Verf. vorangeftellt feinen Freunden nicht nur fein Bild
zeichnet, fondern auch Gelegenheit gibt, fich dasfelbe
durch die bisher ohne feinen Namen erfchienenen und hier
aufgezählten kleineren theologifchen und kirchenpolitifchen
Arbeiten in Zeitfchriften vollftändiger zu vergegenwärtigen
.

Halle. Lic. M. Kühler.

Baedeker, Karl, Palaestina und Syrien. Handbuch für
Reifende. Leipzig 1875, Baedeker. (XIV, 585 S. 8.)
geb. M. 15. —

Diefes von Prof. Socin in Bafel ausgearbeitete Reifehandbuch
, das mit 17 Karten von der Meifterhand Kieperts,
41 Plänen, einem Panorama von Jerufalem und acht
Anflehten ausgeftattet ift, hat für den Theologen, auch
wenn er keine Pilgerfahrt nach Jerufalem machen kann,
hohen Werth. Der Verfaffer ift ein gründlicher Kenner
des Landes und der arabifchen Sprache und hat zudem
das grofse wiffenfchaftliche Material, das im letzten De-
cennium fich angefammelt, in trefflicher Weife verarbeitet,
fo dafs fein Buch ein getreues Bild bietet vom gegenwärtigen
Stand der wiffenfehaftlichen Paläftinakunde.
Das Studium der biblifchen Geographie wurde in Deutfch-
land feit einer Reihe von Jahren vielfach vernachläfsigt
und man ift fchmerzlich berührt von den zahlreichen
diefsfälligen Irrthümern auch in den Werken kritifcher
EVrfcher. Manche fchwören auf Robinfon, als ob nach

diefem grofsen Bibelgeographen nichts mehr zu entdecken
gewefen wäre, und Manche, die fonft in chrono-
logifchen und textkritifchen Fragen fehr genau find,
geben fich gar keine Mühe, eine lebensvolle Vorftellung
der Bibelländer zu gewinnen, obgleich die Gefchichte
Jefu, wie die feines ganzen Volkes, fo tief und allfeitig
die Localfarbe trägt. Möge die Landfchaft, deren Züge
unauflöslich in die theuerften Erinnerungen der Menfch-
heit verwoben find, wieder die volle Liebe deutfeher
Wiffenfchaft gewinnen.

Ein reichhaltiges Regifter erhöht den Werth des
Buches von Socin, und überall erfreut daffelbe durch
J mafsvolles Urtheil und durch objective Stellung in con-
j troverfen Fragen. Da es die Länderflrecke vom Libanon
bis nach Petra, und vom Mittelmeer bis zum Haurangebirge
umfafst, fo bringt es die meiften biblifchen Orte
in Erwähnung. Für den Archäologen hat die Darflel-
lung der Gefchichte und Topographie Jerufalems ein
befonderes Intereffe. Man hat jetzt an dem genauen
Terrainbild des alten Jerufalem einen fichern Anhalt;
1 aber darüber hinaus giebt's feiten einen unbeftrittenen
Punkt. Die Lage von Zion, Davidspalaft, von den
Königsgräbern, von Golgatha, von den drei Stadtmauern,
wenigftens von der 2. und 3., wird fehr verfchieden
angegeben; doch Rheinen fich die Forfcher mehr und
mehr für die von Prof. Socin angenommenen Anflehten
zu entfeheiden. Letzterer hat auch die phyfifchen Ver-
hältniffe eingehend berückfichtigt und ebenfo enthält
fein Buch manchen werthvollen Beitrag zur Gefchichte
der jüdifchen, chriftlichen und arabifchen Kunft. Kein
deutfeher Gelehrter, der Paläftinaftudieren will, darfSocin's
Buch übergehen. Im Intereffe einer gediegenen Paläftinakunde
wünfehen wir diefem Werke eine weite Verbreitung
.

Ufter (Canton Zürich). K. Furrer.

Brugsch-Bey, Prof. Dr. Heinr., Neue Bruchstücke des
Codex Sinaiticus, aufgefunden in der Bibliothek des
Sinai-Klofters und veröffentlicht. Leipzig 1875, Hin-
richs' Verl. (III, 4 S. qu. gr. Fol.) M. 10. -

Bei einem Befuch des Sinaiklofters am 5. April 1875
fand der berühmte Aegyptolog, dem wir diefe (ittü-
i ßaöig ee's füUo ytvog verdanken, unter einem Haufen von
Pergament- und Papyrusblättern zwei Stücke, welche
ihm unzweifelhaft dem Codex Sinaiticus anzugehören
leinenen. Leider follte fich bald zeigen, dafs eine un-
wiffende Hand, um für ein kleineres Buch die Unterlagen
des Einbanddeckels zu gewinnen, die koftbaren Reliquien
durch Befchneiden an drei Seiten arg verftümmelt hatte.
Nur der untere Rand blieb, wenigftens fofern er befchrie-
ben war, verfchont; am oberen wurden fämmtliche
Schriftcolumnen, deren jede Seite ein Paar aufwies, um
zwei oder mehr Zeilen verkürzt, und bald am rechten
oder entfprechend am linken Rande erfcheinen mehr oder
minder beträchtliche Defecte. Stark gelitten haben von
den vorhandenen acht Columnen namentlich die zweite,
dritte, fechste und fiebente, indem von dreien derfelben
je ungefähr die Hälfte, von einer gar etwa zwei Drittel
ganz fortgefchnitten find. Beide EVagmente hingen ur-
fprünglich zufammen und bildeten, wie fich aus dem nur
durch eine Lücke von etwa fünf Zeilen unterbrochenen
Zufammenhang des Inhalts ergiebt, das innere Blätterpaar
einer Lage. Erhalten find uns darauf Bruchftücke
aus Lev. 22, 3 — 23, 22 in der Ueberfetzung der LXX.
Was davon jetzt noch übrig ift liefs der Hrsg. durch
fchwarz gedruckte, die zur leichtern Ueberficht nach dem
gedruckten Text hinzugefügten Ergänzungen durch rothe
Buchftaben darftellen, das Ganze aber mit den zur Her-
ftellung der bekannten Tifchendorffchen Facfimileausgabe
des Sinaicodex verwandten Typen. In einem kurzen
Vorwort berichtet der Hrsg. die näheren Umflände der