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Ausgabe:

1876 Nr. 17

Spalte:

441-446

Autor/Hrsg.:

Aubè, Barth.

Titel/Untertitel:

Saint Justin Philosophe et Martyr 1876

Rezensent:

Zahn, Theodor

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Theologifche Literaturzeitung. 1876. Nr. 17.

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als eine ,sectio caesarea' zu bezeichnen, welche Jefus mit
der Schärfe feines Worts an feiner Mutter unternimmt!
Veranlafst ward die Schrift durch die Bewegungen der
.Sydow'fchen Härefic', der auch das votum im Eingangs-
abfehnitt gilt. Eingehender als hier (unbenutzt blieb
z. B. die wichtige Stelle Rom. 1, 3) verfährt der Verf.
wo er feinem eigentlichen, biblifch-gefchichtlichen Thema
fich zuwendet. Das philologifche Element ift nirgends
vernachläffigt und die Gefchichte der Exegefe vielleicht
reichlicher benutzt, als nöthig war. Entbehrlich dünkt's
uns wenigftens zu wiffen, wie Mantuanus, Barradius u.
A. eine Stelle verftanden haben. Der Verf. fclbft hat
die Gefchichte der Auslegung um eine neue Deutung
noch bereichert. Luc. 2, 35 fafst er QO^iyctla als prä-
dicativifchen Begriff und fleht darin die Rede, welche
Jefus an Maria ergehen laffen wird. Er überfetzt unter
Tilgung der Parenthefe: ,und auch durch deine Seele
wird Er hindurchgehen als ein Schwert, damit offenbar
werden aus vielen Herzen die Gedanken'. Diefe Deutung
fcheint uns künftlich und gezwungen zu fein. Wenn
oi'Toc v. 34 auf die Perfon Jefu geht, kann uoucpuia v. 35
füglich nicht auf die Rede Jefu, ,den Herrn felbft in
feinem Wort' bezogen werden. Der Vorwurf der In-
congruenz bleibt trotz der Gegenrede des Verfaffers
flehen.

Leipzig. Wold. Schmidt.

Aube, Barth., Saint Justin Philosophe et Martyr. Etüde
critique sur l'apologetique chretienne au He siecle.
Paris 1875, Didier et Cie. (LXXVI, 362 S. 8.).

Verfaffer und Verleger diefes Werks haben es nicht
zu erkennen gegeben, dafs nur das Titelblatt nebft
Druckfehlerverzeichnifs dem Jahre 1875 angehört, das
Buch felbft aber fchon im Jahre 1861 erfchienen ift.
Daraus ergiebt fich vor allem der Uebelftand, dafs in
einem Werk desfelben Verfaffers, welches die Zahl 1875
mit befferem Rechte trägt (Histoire des persecutions de
feg/ise etc.), nun eine anfeheinend gleichzeitige, aber fachlich
vielfach abweichende Darftellung nicht weniger
Gegenftände vorliegt, welche fchon in dem älteren Werke
behandelt wurden. Vorliegende Arbeit zerfällt in drei
Stücke, welche ohne Rückficht auf die Vereinigung in
einem Bande entftanden zu fein fcheinen. Die Introdue-
tion (p. VII—LXXVI) giebt eine flüchtige Ueberflcht über
die Chriftenverfolgungen bis auf Antoninus und über den
moralifchen Zuftand des römifchen Reichs, durch welche
für die in dem mittleren Stück (S. r —266) verhandelten
Gegenftände nichts gewonnen wird, und zwar nicht in
Folge der mangelhaften Ausführung, fondern wegen des
in der Anlage beider Stücke begründeten Mifsverhält-
nifses. Es wird nämlich in dem Werke felbft nicht, wie
Aube in dem Avant-propos ankündigt, ,die Haltung, welche
das Chriftenthum während des 2. Jahrhunderts angefichts
der Verfolgungen einnahm' gefchildcrt. Es wird auch
keineswegs Juftin oder ein andrer Apologet als Rechtsanwalt
der verfolgten Chriften oder als Verkündiger einer
neuen Moral für das römifche Reich dargeftellt, fondern
es wird an dem Beifpiel Juftin's gezeigt, wie innig die
Verwandtfchaft zwifchen dem philofophifch geläuterten
Heidenthum und dem Chriftenthum der Apologeten fei.
So wenig nun hiefür die für den Forfcher wcrthlofe, für
den Laien vielfach irreführende Einleitung austrägt, fo
überflüffig ift das 3. Stück, die Conclusion (S. 267—352).
Neben vielen Wiederholungen des vorher Gefagten und
aufscr einem langen Kapitel über die Urfachen der Verfolgungen
(S. 328—352), welches offenbar in die Einleitung
gehören würde, wenn es überhaupt gefchrieben
werden mufste, lieft man dort Mittheilungen aus den
Apologien des 2. Jahrhunderts bald in fehr ungenauen
Ueberfetzungen, bald in breiten Paraphrafen, derenvZwcck
ebenfowenig erfichtlich ift als das Princip der Auswahl.

Warum z. B. Hermias diefer Epoche zugewiefen (S. 316),
Minucius Felix dagegen davon ausgcfchloffen wird; was
die fehr äufserlich gehaltenen Bemerkungen über die
Logos- und Trinitätslehre eines Tatian, Athenagoras
und Theophilus (S. 285—298) in diefem Buche bedeuten
follen, bleibt unerklärt. Es war in der That nicht überflüffig
, dafs der Verf. S. IV ausdrücklich verficherte, es
fei nicht feine Abficht, beiläufig auch noch die ganze
antignoftifche Polemik des 2. Jahrhunderts darzuftellen.
Das mittlere Hauptftück, von welchem das ganze
1 Buch den Titel hat, foll in feinem 1. Theil Juftin als
I Apologeten, im 2. Juftin als Philofophen, und im 3. weit-
I aus umfangreichften (S. 119—'266) die Beziehungen und
Analogien zwifchen chriftlicher Lehre und Heidenthum
nach Juftin' darfteilen. In der That giebt der 1. Theil
aufser einem Kapitel über Juftin's Leben, deffen wichtigere
Behauptungen erft im folgenden Kapitel bei Gelegenheit
I der Unterfuchungen über die Entftehungszeit der Apo-
I logien einige Begründung finden, ein Referat über den
Inhalt der beiden Apologien; nicht etwa einen Nachweis
! des bekanntlich nicht immer deutlichen Gedankengangs
derfclben, fondern Ueberfetzungen und Paraphrafen willkürlich
zufammengcftellter Stücke mit einigen Reflexionen
j über die Triftigkeit des juftinifchen Beweisverfahrens.
I Da für die Darfteilung fowohl des Lebens als der Lehre
Juftin's der Dialog mit Trypho felbftverftändlich vielfach
als Quelle benutzt, die Coliortatio dagegen von der Benutzung
ausgcfchloffen wird (S. 9. 131 f. 150), fo ver-
mifst man hier eine Unterfuchung über beide Schriften.
Der 2. Theil entfpricht feinem Titel noch weniger. Nachdem
nämlich die ablehnende Stellung des Chriftenthums
gegenüber der heidnifchen Philofophie vor Juftin gefchildcrt
ift (S. 82 — 97), folgt eme Auslaffung nur über
die Logoslehre Juftin's, worin weder über den Urfprung
noch über die befondere Geftalt derfelben irgend etwas
Beachtenswerthes gefügt wird. Dafs der johanneifchc
i Prolog verfchiedener Auffaffung zugänglich ift, fcheint
dem Verf. unbekannt zu fein. Ob Juftin den Philo ge-
lefen hat, wird nicht unterfucht. In Bezug auf das Ver-
hältnifs zur ftoifchen Lehre bleibt es bei der vagen und
nicht gerade neuen Vcrmuthung einer Abhängigkeit
Juftin's von derfelben. Der ,fehr befcheidene Zweck'
(S. 122) des 3. Theils ift, die von Juftin fclbft angegebenen
Analogien zwifchen feiner chriftlichen Lehre
und der heidnifchen Philofophie zu Unteraichen. In
Wirklichkeit möchte Aube vielmehr zeigen, dafs die
edelftcn Stimmen des Alterthums mit dem Wenigen,
was ihm felbft bei aller Verwahrung gegen den Schein
deftruetiver Tendenzen (S. 130. 193. 211. 222. 284) das
Wefentliche am Chriftenthum ift, übereinftimmen. Daher
wird z. B. willig zugeftanden, dafs Juftin's Behauptung
von Plato's trinitarifcher Uebcrzeugung [apol. I, 60) auf
Illufion beruhe (S. 146 ff.), dafs überhaupt die meiften
von Juftin vorgebrachten Parallelen zu chriftlichen Lehren
und Bräuchen auf Aeufserlichkeiten hinauslaufen, und
dafs insbefondere die Meinungen von dämonifcher Nachäffung
oder vom Dicbftahl an Mofes und Propheten unhaltbar
feien (S. 214—223 vgl. 302 ff.). Dagegen foll
Juftin, obwohl er felbft nur das Gegentheil behauptet
{äial. 1.), in feiner Anfchauung von Vorfehung und Gebet
mit Plato und Cicero, Seneca und Epictet im beften
Einvernehmen ftehen (S. 149—166). Juftin hatte eine zu
hohe und wahrhaft philofophifchc Vorftcllung von Gott,
um die Providenz anders zu verftehen, als fein erfter
Meiner Plato' (S. 165). Wozu dann noch eine umftänd-
liche Beweisführung? Im Grunde ift es auch nicht mehr
( Juftin's Anfchauung von dielen Punkten, fondern die des
Herrn Aube (f. befonders S. 160 ff. 2c») welche zumal
in den Aeufserungen ftoifcher Refignation wiedererkannt
I wird. Nicht einmal Epictet's Kritik des xvgie llerjaov
j (S. 165) macht den Verf. darauf aufmerkfam, dafs diefe
1 Anfchauung eben nicht die im hiftorifchen Sinne des
Worts chriftliche und nicht die der chriftlichen, Märtyrer