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Ausgabe:

1876 Nr. 17

Spalte:

439-440

Autor/Hrsg.:

Beyschlag, Willibald

Titel/Untertitel:

Die Offenbarung Johannis. Vortrag 1876

Rezensent:

Harnack, Adolf

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439

Theologifche Literaturzeitung. 1876. Nr. 17.

440

[de Apoflel Johannes in Klein-Azi'e. 1871) vorgetragen
worden ift. Damals ift fchon ein grofser Theil feines
Buches niedergefchrieben gewefen. Schölten freilich verwendet
jene Entdeckung blofs als Argument dagegen,
dafs der Zebedaide Johannes eine hervorragende Wirk-
famkeit in Kleinafien entwickelt habe; denn auch das
Evangelium, welches dem zweiten Jahrhundert angehöre,
fchiebe nicht jenen Mann, fondern einen andern unter
dem Jünger, den Jefus lieb hatte, als feinen Verfaffer
vor. Für Uechtritz handelt es fich jedoch um den gleichen
Beweis in dem Sinne, dafs zugleich die Abfaffung des
Evangeliums durch diefen Augenzeugen aufrecht erhalten
werden könne. Man wird von jenem Beweife Notiz
nehmen dürfen, zumal da bisher Scholten's Entdeckung
keine erhebliche Beachtung gefunden zu haben fcheint.
Nämlich wenn der Verf. des Evangeliums nicht der Zebedaide
war (oder fein foll), fondern ein Jerufalemit, fo wird
dadurch die Abweichung von den Synoptikern gerechtfertigt
, dafs der Schauplatz des Wirkens Jefu nicht fowohl
Galilaea, fondern hauptfächlich Jerufalem ift. Dafs Jefus
wiederholt hier auftritt, fteht zwar im Widerfpruch mit
der fynoptifchen Darftellung; aber der Plan des Marcus,
dem Lucas deutlich fich anfchliefst, und in den auch
Matthäus wieder einmündet, nachdem er erft von ihm
abgewichen war, ift nur indifferent gegen den gefchicht-
lichen Rahmen des vierten Evangeliums. Denn innerhalb
des öffentlichen Wirkens Jefu vor der Kataftrophe
in Jerufalem verfolgt Marcus nur die zwei Parallellinien,
erftens wie fich der Conflict Jefu mit den Schriftgelehrten
bis dahin fteigert, dafs fie mit den Herodianern auf
feinen Untergang finnen (1, 40—3, 12), zweitens wie das
Verhältnifs zwifchen Jefus und den zu feiner Umgebung
erwählten zwölf Jüngern fich entwickelt (3, 13-9, 50).
Hat man erkannt, dafs in den fynoptifchen Evangelien
das öffentliche Leben Jefu nur in diefem Plane verläuft,
fo kann man mit Recht nichts gegen die chronologifche
Anlage des vierten Evangeliums einwenden, wenn fie
insbefondere durch das Zeugnifs eines Jerufalemiten ge-
ftützt wird. Allerdings geht nun der Thatbeftand, welcher
erklärt werden foll, auch in diefer Anficht nicht ohne
Reft auf. Eine Menge der Schwierigkeiten, welche die
Augenzeugenfchaft des Evangeliften überhaupt verdächtig
machen, dauert auch bei der Anficht von Uechtritz fort.
Endlich wird deren Glaubwürdigkeit nicht empfohlen durch
den fehr ausführlichen Beweis, dafs der Jünger, den Jefus
lieb hatte, mit dem Presbyter Johannes identifch fei.
Wie dem nun fein mag, fo wird man dem vorliegenden
Buche das Zeugnifs ertheilen müffen, dafs in ihm ein
Mann fich um die Theologie bemüht hat, welcher den
anderen theologifirenden Juriften fehr unähnlich ift. Denn
er hat fich der technifchen Mittel zu feiner Aufgabe mit
Gewiffenhaftigkeit und mit nicht geringem Erfolge bemächtigt
, und fein Intereffe am Chriftenthum ift durch
keine parteiifche Rechthaberei getrübt.

Göttingen. A. Ritfchl.

Beyschlag, Prof. Dr. Willib., Die Offenbarung Johannis,

Vortrag gehalten zu Magdeburg und Plallc im Januar
1876. Berlin 1876, L. Rauh. (48 S. gr. 16.) M. — 75.

Man mufs fich freuen, dafs diefer Vortrag dem Druck
übergeben ift; denn er ift wohl geeignet, in das richtige
Verftändnifs der Apokalypfe einzuführen. Ref. hätte
nur gewünfeht, dafs die Schwierigkeiten, welche diefes
Buch auch nach Entdeckung des richtigen Schlüffels der
Auslegung noch immer bietet, ftärker betont worden
wären. Hörern und Lefern ift es gut, wenn ihnen das
recht deutlich gefagt wird. Auch fcheint dem Ref.
jenes Streben nicht unbedenklich, die Untcrfchiede der
apokalyptifch - chriftlichen Zukunftshoffnung von den
modernen, beifpielsweife von der des Verfaffers felbft,
durch die Einführung der an fich gewifs berechtigten

Methode, die apokalyptifchen Vorltellungen auf ihren
religiöfen Grundgehalt zurückzuführen, allzurafch aufzuheben
. Es sollte das wenigftens nicht gefchehen, ohne
dafs man zugleich energifch darauf aufmerkfam mache,
wie ernfthaft es jene Männer mit der ,Form' ihrer
Ausfagen gemeint haben, damit der Unerfahrene die ihm
dargebotene Unterfcheidung von ,Eorm' und Inhalt, Bild
und Sache nicht den Apokalyptikcrn felbft einfach im-
putire. Nur unter diefem Vorbehalte darf man fich einer
Methode ferner bedienen, die in Folge groben Mifsbrauchs
mit Recht verdächtig geworden ift. Es find nicht nur
pedantifche Geifter, die fich peinlich berührt fühlen,
wenn ihnen das 1000jährige Reich der Apokalypfe erklärt
wird als ,poetifche, prophetifche Ahnung einer
grofsen gefchichtichen Thatfache, die heute vor unferen
Augen liegt, die Ahnung, dafs innerhalb der Weltge-
fchichte felbft Chriftus über die heidnifch-römifche Weltmacht
triumphiren werde' u. f. w. (S. 43 f.) Diefelben
werden fich auch nicht fo fchnell davon überzeugen
können, dafs die Verheifsung Chrifti von feiner Wiederkunft
in des Himmels Wolken ein finnbildlicher Ausdruck
fei, in welchem Chriftus ,das ganze künftige Widerfpiel
feines Erdenlebens, feine ganze fiegreiche und trium-
phirende Rückkehr in die ihn ausftofsende Welt vom
Oftermorgen an u. f. w.' (S. 12 f.) zufammengefafst habe.
In allen wefentlichen Punkten der Auslegung ftimmt
Ref. mit dem Verf. überein; einzelnes, fo z. B. die Auslegung
von 6, 2 f. 7, 3 f. (mit Recht bezieht B. die 1440x30
nicht auf Judenchriften) 13, 11 f. wäre zu beanftanden.
Möge das Schriftchen dazu beitragen, das richtige Verftändnifs
des Buchs der Offenbarung der chriftlichen Gemeinde
näher zu bringen.

Leipzig. Ad. Harnack.

Kölling, Superint. Paft. Lic. Heinr., Jesus und Maria.

Verfuch einer fchriftgemäfsen Darftellung des Ver-
hältnifses zwifchen dem Herrn Jefu u. feiner Mutter.
Eine exegetifch-chriftologifche Studie. Gotha 1875,
F. A. Perthes. (155 S. gr. 8.) M. 2. 80.

In diefer ,exegetifch-chriftologifchen Studie' will der
Verfaffer auf Grund der neuteftamentlichen Angaben
das Verhältnifs Jefu zu feiner Mutter zu lebendiger An-
fchauung bringen. Er Hellt es mit Recht unter den Ge-
fichtspunkt eines wunderbaren Scheidungsproceffes und
führt den Nachweis, dafs derfelbe in den drei, wenn man
will den fünf Scenen fich vollzogen habe, die den Gegen-
ftand feiner Unterfuchung bilden. Zuerft verweilt er bei
dem weifsagenden Wort des Simeon (Luc. 2, 34. 35), in
welchem das Endrefultat der Pädagogik des Geiftes an
Maria fchon angedeutet fei, um weiterhin ,die Prophetie
der That' d. h. das bedeutungsvolle Verhalten des zwölfjährigen
Jefus im Tempel (Luc. 2, 49) zu betrachten und
im engen Anfchlufs daran zu zeigen, dafs Jefus mit dem
Wort auf der Hochzeit zu Cana (Joh. 2, 4) zwifchen fich
und feiner Mutter eine Scheidelinie zog. Gleichzeitig ift
nach Kölling hier Beides erfolgt, die völlige Auflöfung
des Sonderverhältnifses, in welchem Maria als Mutter zu
dem Sohne ftand und der Abfchlufs ihrer chriftlich-
gläubigen Entwickelung zur fides salvifica. Durch alle
fpäteren Notizen des N. T.'s über Maria läfst der Verf.
dies nur beftätigt werden. Die Scene Matth. 12,46—50
fieht er als öffentliche Proclamation jener Scheidung an,
und mit dem Wort vom Kreuz Joh. 19, 26 f. foll, wie
er betont, der Maria ein Erfatz gegeben werden für den,
der feit Cana ihr verloren war. — Diefe Grundgedanken,
die im Wefentlichen Zuftimmung verdienen, hat der Verf.
auf dem Wege einer an das Steinmeyer'fche Vorbild fich
anlehnenden Schriftauslegung gewonnen. Die gefchmack-
volle, edle Einfachheit des Meifters freilich ift in der
Darfteilung des Schülers vielfach nicht zu finden. Wie
feltfam ift's doch, jenen Scheidungsprocefs (S. 47. 117)