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Ausgabe:

1876 Nr. 16

Spalte:

417-421

Autor/Hrsg.:

Mühlbacher, E.

Titel/Untertitel:

Die streitige Papstwahl des Jahres 1130 1876

Rezensent:

Weizsäcker, Carl

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Theologifche Literaturzeitung. 1876. Nr. 16.

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ift das Bunfen'fche Buch diefer Verlockung in traurigfler
Weife zum Opfer gefallen. Es berührt förmlich unheimlich
. Man wird in einen wahren Strudel von dictatorifch
hingeworfenen Behauptungen, axiomhaft fich geberdenden
Annahmen und kühn ancinandergeknüpften Com-
binationen von Anfang bis zu Ende untergetaucht, fo dafs
man den Eindruck wirrer Traumbilder erhält und in der
wilden Ideenjagd faft fchwindlig wird. Dazu kommt die
eigenthümlich unruhige und hetzende Schreibweife, die
niemals zu Athcm kommen läfst, und in ihrer perfua-
direnden Zudringlichkeit faft den Verdacht der Abficht
erweckt, Einen auch nicht zu Verftande und zum klaren
Urtheil kommen zu laffen. Herr von Bunfen wird von ,
dem Triebe geleitet, überall Neues, Ungeahntes zu entdecken
und alles bisher einfach Angenommene durch
weit hergeholte Gedankenzufammenhänge und geheim-
nifsvolle Perfpectiven umzuftofsen. Dafs er dabei geift-
los und ohne Sachkenntnifs zu Werke gehe, wird niemand
rundweg behaupten können; aber die Planlofigkeit
und Hypothefenmanic feiner Ausführungen entwerthen
auch gründlichere Studien, von denen der Verfaffer Proben
giebt. Sein Grundgedanke, foweit ein folcher aufzufinden
und klarzuftellen ift, ift der, dafs das Kreuz ein
der Aftronomie entlehntes Symbol fei, und zwar ein
Symbol der Sonne, als folches fei es an Stelle der
Centrallampe am fiebenarmigen Tempelleuchter getreten,
der felbft ein Sinnbild des Planetenfyftems fei. In diefer
Bedeutung habe auch Chriftus das Kreuz erfafst und erft
Paulus diefelbe verrückt, indem er ausfchliefslich das
Leidens- und Todeswerkzeug Chrifti darin erblickte.
Diefe Sonnenfymbolik des Kreuzes wird nun durch die .
Deutung des Kreuzeszeichens bei andern Völkern unter-
ftützt, und dabei fchweift der Geift des Verfaffers hierund
dorthin auf dazu und nicht dazu gehörige Gebiete ab,
wobei der Faden des Zufammenhangs mit dem Hauptthema
oft völlig reifst. Von dem aftronomifchen Ge-
fichtspunkte aus, den er für das Kreuz einnimmt, fucht
er auch eine Erklärung für die biblifche Theologie,
namentlich für die Zahlencombinationen der Apokalypfe.
Es würde zu weit führen, die exegetifchen Abfonderlich-
keiten des Verfaffers, die er bald mit Zuziehung eines
umftändlichen Apparates zu erweifen fucht, bald mit
apodiktifchen Machtfprüchen hinftcllt, bald aus etymo-
logifchen, bald aus mythologifchen Argumenten heraus-
prefst, weiter zu erörtern. Noch unthunlichcr wäre es,
eine Widerlegung derfelben zu unternehmen. Trotz der
ausgefprochenen Abficht, im Kreuze das Symbol der
Sonne nachzuweifen, ift durch diefe Arbeit mehr Dunkelheit
als Licht über das Kreuzeszeichen verbreitet, und der
Beweis geliefert worden, dafs eine originell fich gebärdende
, von aller Tradition keck abftrahirende Pfeudo-
wiffenfchaftlichkeit in methodifcher Phantaftik zu Grunde
gehen kann.

Leipzig. C. Brockhaus.

Müh Ibach er, Dr. E., Die streitige Papstwahl des Jahres
1130. Innsbruck 1876, Wagner. (VII, 211 S. gr. 8.)
M. 5. 60.

Im Jahre 1871 erfchien die Schrift von R. Zoepffel
über die Papftwahlen, welche in einer Beilage S. 264
395 die Doppelwahl des Jahres 1130 einer eingehenden
Unterfuchung unterwarf. Kürzer war diefelbe 1870 bc-
fprochen von Grcgorovius, Gefchichte der Stadt Rom,
IV. Band, 2. Aufl. 1870 S. 398 ff., und ebenfo folgte eine
gedrängte Darftcllung 1875 in Giefcbrecht's Gefch. der
deutfehen Kaiferzeit, IV. S. 54 ff. Ferner darf ich noch
hinzufetzen, dafs ich auf Grundlage der Zoepffel'fchen
Arbeit, wiewohl in einigem abweichend, eine gedrängte
Darftcllung gegeben habe in der Abhandlung: die Papft-
wahl von 1059 —1130, in den Jahrbüchern für deutfehe
Theologie 1872, S. 543 ff. Die Arbeit von Zoepffel ift

fo gründlich und gediegen, dafs man fich wundern kann,
wenn jetzt nach fünf Jahren über diefen Gegenftand eine
neue weitläufige Monographie erfcheint, um fo mehr, als
Zoepffel die Quellen mit faft abfchliefsender Vollftändig-
keit ausgenutzt hat, und jeder mit der Sache Vertraute
weifs, dafs diefe Quellen fich doch in einem engen
Rahmen bewegen. Die Rechtfertigung der neuen Arbeit
könnte alfo nur darin liegen, dafs der Verfaffer eine
andere wefentlich abweichende Methode anzuwenden
hätte, oder aber dafs er zweifelhafte Ergcbnifse von
Zoepffel berichtigen und daraus ein wefentlich anderes
Bild von allgemeinerer Bedeutung gewinnen würde.
Keines von beiden aber trifft hier zu. Der Verfaffer hat
fo wenig ein neues Verfahren aufzuftellen gewufst, dafs
er vielmehr fich von Zoepffel im weitaus gröfsten Theile
feiner bchrift ganz abhängig zeigt, wie diefer felbft in
den Gött. Gel. Anzeigen, 1876, 9. 10 eingehend nachge-
wiefen hat. Diefe Abhängigkeit ift auch fchlecht maskirt
durch einen wegwerfenden und übermüthigen Ton bei
gewiffen im Grunde meift unbedeutenden, wirklichen oder
vermeintlichen Berichtigungen, die er feinem Vorgänger
entgegenftellt. Diefe Abhängigkeit bewährt fich aber in
noch viel fchlimmerer Weife dadurch, dafs er gerade
die zweifelhaften Ergebnifse feines Vorgängers fich zum
Theil unbedenklich angeeignet hat. Dies alles wird
kaum dadurch entfprechend aufgewogen, dafs er der
Darftcllung der Anaklctiancr im ganzen mehr Gerechtigkeit
widerfahren läfst, als Zoepffel; denn die Berichtigung
ergiebt fich hier meift von felbft.

Der Verfaffer fucht feiner Unterfuchung dadurch von
vorneherein einen unterfcheidenden Charakter und höheres
Gewicht zu geben, dafs er eine abgefonderte Kritik der
Quellen auf 56 Seiten vorausfehickt. So löblich diefes
Verfahren an fich ift, fo hat es doch hier durchaus keinen
befonderen Werth. Zum grofsen Theile werden in über-
flüffigcr Breite nur felbftverftändlichc Dinge gefagt, und
die einzige erhebliche Frage, nämlich über den Werth
I der zwei Wahlberichte, der epistola citri etpopuli Roniani
ad Didaatm und des Briefes des Hubert von Lucca an
Norbert, ift von der Art, dafs fie aus lediglich formalen
Gründen nicht beantwortet werden kann. Im Ergebnifse
bin ich felbft eben dahin gelangt, wo der Verf. gegen
Zoepffel fleht, nämlich der erften Quelle mehr und der
zweiten weniger Werth als Zoepffel beizulegen. Aber
wir find nicht in der Lage, die erfte von vorneherein
als unmittelbare weit über die zweite als eine nur
mittelbare Quelle zu fetzen und dadurch die Entfchci-
dung zu gewinnen. Die epistola ad Didacunt ift allerdings
eine unmittelbare Quelle; ob fie es aber für alle Theile
ihres Inhaltes ift, das heifst, ob ihr Bericht für alle einzelnen
Vorfälle als der einfache Bericht eines Augenzeugen
und Mithandelnden gelten darf, läfst fich nicht
vorausfagen. Der Verfaffer fchliefst dies daraus, dafs
der Bericht von den Handlungen der Cardinäle in der
erften Pcrfon erzählt. Aber da das Schreiben im Namen
der Wähler insbefondere ebenfo wie des römifchen Clerus
und Volkes überhaupt verfafst ift, ergiebt fich diefe
Form von felbft. Er fchliefst aber auch mit Watterich
aus der Sprache, dafs dasfelbe von dem Cardinal Petrus
Pifanus verfafst fei, und verfucht dies nach Wattcrich's
Fingerzeig durch die Aehnlichkeit im einzelnen zu be-
weifen. Aber was hiefür S. 14 ff. beigebracht wird, ift
nicht zwingend, fondern gröfserentheils von der Art, dafs
man auf diefem Wege noch mehrere andere unferer
Quellen dcmfelben Verfaffer zufchreiben könnte. Zum
erheblichften gehört noch, was S. 14 unter der Ueber-
fchrift: afyenthetifche {sie!) Verbindungen aufgeführt
ift. Aber der Verf. mufs S. 16 felbft zugeben,
dafs hervorftechende Merkmale im Style des Petrus
Pifanus in der epistola fehlen, und will daher nur von
einer überwiegenden Aehnlichkeit reden. Unter diefen
Umftänden war es doch ficher nicht angemeffen, nachher
ftatt der epistola ohne weiteres Petrus Pisanus zu citiren,