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Ausgabe:

1876 Nr. 16

Spalte:

414-415

Autor/Hrsg.:

Weizsäcker, Carl (Übers.)

Titel/Untertitel:

Das Neue Testament 1876

Rezensent:

Schürer, Emil

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Theologifche Literaturzeitung. 1876. Nr. 16.

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Neues geboten würde. Da jedoch ein näheres Eingehen
auf den Text der Abhandlung dem Ref. aus naheliegenden
Gründen verfagt iSt, befchränkt er fich darauf,
die mitgetheilten Grabinschriften einer näheren Prüfung
zu unterziehen. Diefelben find fämmtlich fchon aus
früheren Publicationen bekannt, theils aus dem Corp.
Inscr. Graec. T. IV, theils und hauptfächlich aus den
werthvollcn Mittheilungen Garrucci's über das im
J. 1859 in der Vigna Randanini entdeckte jüdifche Cömc-
terium und die dafelbft gemachten Funde. Vgl. Gar-
rucci, Cimitcro degli anüchi Ebrci scoperto reccntemcntc
in Vigna Randanini, Roma 1862. Der f., Descrizione dcl j
Cimitcro ebraico di Vigna Randanini sulla via Appia (Civiltä
cattolica Serie V, vol. PH, Roma 1862, p. 87—97). i
Der f., Nuovc epigrafi giudaiclic di Vigna Randanini (Ci- j
vilta cattolica Serie V, vol. VI, Roma 1863, p. 102—117).
Bei zwei Infchriften giebt der Verf. nicht ausdrücklich an,
dafs fie fchon früher publicirt find (Nr. 24 u. 42). Aber j
auch diefe finden fich bereits in der erften der beiden j
Abhandlungen Garrucci's in der Civiltä cattolica. Wenn
fonach eine eigentliche Bereicherung des Materiales nicht
vorliegt, fo ift die Hauptfrage die, ob uns das bekannte
Material in einer befferen und zuverläffigeren Form als 1
bisher geboten wird? Wie einzelne Andeutungen zeigen ;
und dem Ref. aus Privatmittheilungen bekannt ift, hat
der Verf. einen Theil der Infchriften an Ort und Stelle
in Rom felbft copirt. Aber leider hat er von feinen
Copicn nicht den wünfehenswerthen Gebrauch gemacht.
Vor allem wird faft nirgends angegeben, welche In- J
fchriften er felbft gefehen hat und welche nicht. Drei
der mitgetheilten Infchriften befinden fich jetzt im Mu-
feum zu Neapel, wo Ref. fie vor einiger Zeit copirt hat
(Nr. 3 = Corp. Inscr. 9903 = Museo di Napoli i960. Nr. 4
- = Corp. Inscr. 9902 = Mus. Nap. 1956. Nr. 6 == Corp.
Inscr. 6447 = Mus. Nap. 1954). Offenbar giebt diefe
der Verf. nicht nach Autopfie, da er bei Nr. 6 die falfche
Lefung triov in den Text und die richtige uixotr in die
Anmerkung fetzt, und Nr. 4 vollffändiger mittheilt als
fie jetzt erhalten ift. Aber fo wenig fich hier eine Notiz j
darüber findet, fo wenig wird bei andern angegeben,
dafs der gebotene Text auf eigener Copie beruht. Ja
die Abweichungen desfelben von demjenigen Garrucci's
werden nicht einmal notirt; überhaupt fo gut wie gar
kein kritifchcr Commentar beigegeben. So weifs man
im einzelnen Falle nie mit Sicherheit, ob die Abweichung
auf einem Druckfehler beruht (was mehrmals der Fall
zu fein fcheint), oder auf abweichender Lefung; und
ficht fich fchliefslich doch wieder auf Garrucci allein an-
gewiefen, deffen Text im Grofscn und Ganzen Sorgfältiger
zu fein fcheint als derjenige des Verfaffers. — Da
der Verf. nicht den Grundfatz verfolgt hat, nur Selbft-
gefehenes zu ediren, fo wäre auch zu wünfehen gewefen,
dafs er das bereits Gedruckte vollständiger benützt hätte.
Es fcheint nämlich, dafs ihm die gefammelten Abhandlungen
Garrucci's, welche aufscr den beiden Auffätzcn
in der Civiltä cattolica noch werthvolle neue Mittheilungen
enthalten, unbekannt geblieben find. (Garrucci, Disscr-
tazioni archeologiche di vario argomento, vol. II, Roma
1865, p. 150-192). Obwohl der Verfaffer nur eine Auswahl
von Infchriften geben will, fo hätte er hier doch
noch einiges von Intereffe gefunden. Auch der Infchrif-
tenkatalog des Mufeums von Neapel hätte immerhin verglichen
werden können. (Fiorelli, Catalogo del Museo
Nazionale di Napoli. Raccolta epigrafica. II. Iscrizioni La-
tine, Napoli 1868, Nr. 1954—1965).

Das reiche Material, welches diefe Infchriften darbieten
, verdiente wohl eine forgfältigere Ausnützung, als
es bisher erfahren hat. Auch Ref. hat in feiner Neu-
tcftamentl. Zeitgefchichte nur einen fchr unvollständigen
Gebrauch davon gemacht. Es wäre eine nicht undankbare
Aufgabe, auf Grund der Infchriften mit Zuziehung
des Sonstigen Materiales die Gemeindeverfaffung der
Juden in der Diafpora, infonderheit der römifchen Juden-

fchaft, aufs Neue eingehend zu unterfuchen. Es würden
von da aus vielleicht auch auf die urchriftliche Gemeindeverfaffung
einige neue Streiflichter fallen.

Leipzig. E. Schür er.

Das neue Testament. Ueberfetzt von Carl Weizfäcker,
D. Th. Tübingen 1875, Laupp'fche Buchh. (VII, 328
S. 8.) M. 3. 6b; Velinpap. M. 4. 60.

Ein doppeltes Ziel ift es, welches diefe Ueberfetzung
des Neuen Testamentes Sich gefteckt hat: möglichste
Treue und möglichste Verständlichkeit. Jene Sucht fie
zu erreichen durch engen Anfchlufs an den Grundtext,
diefe durch unbedingtes Fefthalten unferer heutigen
deutfehen Literatursprache. Durch die energifche Durchführung
diefer Grundfätze unterfcheidet fie fich von allen
bisher vorhandenen Ueberfetzungen des Neuen Testamentes
. Während z. B. die treffliche Ueberfetzung in
Bunfen's Bibclwerk, obwohl fie nicht nur eine Berichtigung
der Luther'fchen, fondern eine völlig neue Ueberfetzung
ift, doch die Sprache Luthers entschieden feft-
hält, hat Weizfäcker gefliffentlich darauf verzichtet, um
dafür Treue und Verständlichkeit als alleiniges Ziel ins
Auge zu faffen. Er verhehlt Sich nicht, dafs ,eine Ueberfetzung
in die Sprache der Gegenwart an Kraft immer
hinter Luther's kernigem Worte zurückbleiben mufs',
aber er Sagt mit Recht, Sie bewirke ftatt deffen, ,dafs
wir den ursprünglichen Sinn und Zusammenhang leichter
verstehen'. Durch diefes energifche Fefthalten ,unferer
heutigen Sprache' unterfcheidet Sich Weizfäcker's Ueberfetzung
felbft von derjenigen de Wette's, die fonft
im allgemeinen diefelben Ziele verfolgt. Im engen Anfchlufs
an den Grundtext Stehen beide einander etwa
gleich. Aber der Grundfatz, in die Sprache der Gegenwart
zu überfetzen, ift bei Weizfäcker, Soweit Reh es
beobachtet hat, confequenterdurchgeführtals bei deWette.
Wie fehr dies einem richtigen und Sicheren Verftändnifs
zu Statten kommt, mag nur ein Beifpiel zeigen. Den
Ausdruck o iinvoyevijg wog (Joh. 1, 18) überfetzt Weizsäcker
: ,der einzige Sohn'. Das ift in der That, fobald
wir einmal auf Verständlichkeit ausgehen, das allein
Richtige. Denn kein deutfeher Lefer, der nicht das
griechifche novöyevqe, kennt, kann durch die Ueberfetzung
,der eingeborne Sohn' eine deutliche und richtige Vorstellung
von jenem Begriff erhalten. Auch die Ueberfetzung
,der einige Sohn' (Bunfen's Bibelw.) genügt dem
Bedürfnifs der Deutlichkeit nicht, da das Wort ,einig' im
Sinne von ,einzig' unferer gegenwärtigen Sprache fremd

' ift. — Ucber Einzelnes läfst Sich natürlich Streiten. So
wäre Statt ,Himmclrcich' wohl beffer und den Grundsätzen
des Verfaffers entfprechender gewefen ,Reich des
Himmels'; umgekehrt ftatt ,der Sohn des Menfchen' viel-

j leicht richtiger ,der Menfchenfohn', da bei jener Ueberfetzung
die Begriffe ,Sohn' und ,Menfch' in Störender

' Weife auseinander treten. Aber im Allgemeinen find die
aufgestellten Grundfätze in vortrefflicher Weife durchgeführt
.

Der zu Grunde liegende Text ift faft durchweg derjenige
von Tifchendorf's editio octava. Nur ,in manchen
Fällen' ift der Verf. abweichender eigener Anficht gefolgt
. Ref. hätte gewünfeht, dafs dies noch etwas öfter
gefchehen wäre, und dafs namentlich für die Synoptiker
nicht Tifchendorf, fondern Weifs (Marcusevangelium
1872) zu Grunde gelegt worden wäre. So kann z. B.
Ref. die Lesart ,Gergefcner' Luc. 8, 26 unmöglich für
die richtige halten (Weifs nach BD richtig: VtoadrivCtv);
und auf keinen Fall hätte der von Tifchendorf in den
Text aufgenommene Schreibfehler egppev Rom. 5, 1 in
der Ueberfetzung wiedergegeben werden Sollen. Zum
Glück find dies doch immer nur Einzelheiten. Im GroSsen
und Ganzen ift ja ohne Frage der neuefite Tifchendorf fche
| Text der befte, den wir bis jetzt haben. An ihn hält