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Ausgabe: | 1876 |
Spalte: | 21-22 |
Autor/Hrsg.: | Seidemann, Joh. Karl |
Titel/Untertitel: | Dr. Jacob Schenk, der vermeintliche Antinomer, Freiberg’s Reformator 1876 |
Rezensent: | Plitt, Gustav Leopold |
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2 I
Thcologifche Literaturzeitung. 1876. Nr. 1.
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katalog ( Tabulac ms. etc. Vindob. 1869.M.) von einer folchen
Schrift Dietrich's (Theodorich's) fchweigt.
Die Darftellung leidet unter dem Streben nach genauer
Auffammlung des gefchichtlichen Materials. Während
der welthiftorifche Hintergrund wenig hervortritt,
werden Haupt- und Nebenfachen wenig untcrfchieden:
die Erhebung Dietrich's auf den bifchöflichen Stuhl, der
Ankauf eines Haufes oder Weinbergs, die Mitbegründung
eines Hospizes -- alles erfcheint hier gleich wichtig.
Quellenangaben und Anderes (S. 5—7, 37, 45—46, 55,
57—58) durfte in die Anmerkungen verwiefen, Ausdrücke
der Form kann die letztere nicht als gelungen bezeichnet
werden. Der Verfaffer reiht, wie vorher fchon angedeutet,
Angabe an Angabe, ohne dafs es zu einer lebendigen,
anfehaulichen Darfteilung käme. Und auch am rechten
Durchdringen des Stoffes fehlt es noch. — Ein Hauptzweck
für Seidemann ift der Nachweis, dafs Schenk kein Anti-
nomift gewefen fei. Schon vor ihm hat, wie er felbft
S. 64 angiebt, J. G. Richter, de Jacobo Sclicnkio in scriptis
suis non anlinomo, 1782, diefen Nachweis verflicht, und
Seidemann felbft hat, vornehmlich um ihn zugeben, die
Auszüge aus Schenks Schriften gemacht. Was nun diefe
wie,6bcw/c/,m'w«',,defpectirlich'konntenvermiedenwerden. , letzteren betrifft, fo zeigen fie allerdings keinen Antino-
Die durchgängige Abkürzung des Namens Dietrich (D) mismus; Stellen wie die S. 74, 76, 77 mitgetheilten
wirkt auf den Lefer nicht grade angenehm. fprechen geradezu dagegen. Um fo mehr aber wäre es
So dankenswerth der Anhang über die Schriften Aufgabe des Biographen gewefen, zu unterfuchen, woher
Dietrich's ift, wird doch der Verf. diefe feine Zeilen nur denn Schenk fo ganz allgemein in den Verdacht des
als vorläufige Ueberficht gewürdigt wiffen wollen. In Antinomismus kam. Nicht nur der in dem letzten Jahr-
Betreff der kirchenpolitifchen Werke, ,die mit Dietrich's zehnt feines Lebens fo vielfach vcrftimmte Luther beNamen
in Verbindung gebracht werden', fügen wir hinzu, j trachtete ihn fo, fondern auch Melanthon, Bugenhagen,
dafs die Echtheit der Jnvcctiva' durchaus anzuzweifeln, j Jonas, Spalatin Gabriel Zwilling u. A Das will erklart
ja, weil fie bis jetzt nur auf einen unbegründeten Einfall fein. Bei Seidemann wird die Darfteilung zu fehr zur
des unkritifchen von der Hardt hin angenommen wird
abzuweifen ift. Dafs die Schriften ,de difficultatc1 und ,de
necessilate reformationisl nicht von Ailli herrühren, habe
ich in den Jahrb. f. deutfehe Theol.' Bd. XX (1875) H. 2.
S. 272—310 nachgewiefen; dafs fie Dietrich verfafst hat,
einfachen Apologetik oder Rettung; jener Aufgabe hat
er nicht genügt. Darf man aus den mitgetheilten Stücken
aus Schenks Schriften auf das Ganze derfelben fchliefsen,
fo wird das Urtheil Köftlins, Martin Luther 2, 462, in Betreff
der Schriften zu Recht beliehen bleiben: ,wirkliche
ift mir faft gewils geworden; dann aber geben fie neues | dogmatifche fi)0^'0^"^
Material zu einer erfchöpfenden Monographie über ihn.
Dag; egen diefen Autor mit der Schrift ,de modis uniendP
in Verbindung zu bringen, verbietet die Selbigkeit ihres
Verfaffers mit dem des ,Gubernaculum concilioritm Juliane)
de Caesar/ms 1435 oblatnm1 (bei von der Hardt, Conc.
Const. T. VI, 140 ss.), Andreas, Abt von Randuph, worauf
O. Hartwig in Niedner's ,Zeitfchrift für d. hift. Theol'
Bd. 31. (1861) S. 308—311 zum erften Mal aufmerkfam
gemacht hat.
Mit erfolgreicher Abwehr fchlechtbegründeter Angriffe
auf die Echtheit der Schriften ,nemus unionis* und
,de scliismatci fchliefst die werthvolle Abhandlung.
Breslau. Paul Tfchackert.
Seidemann, Paft. Lic. Joh. Karl, Dr. Jacob Schenk, der
vermeintliche Antinomer, Freiberg's Reformator. Zum
erften Male aus den unbekannten urkundl. Quellen
dargcftellt. Leipzig 1875, Hinrichs' Verlag. (203 S.
gr. 8.) M. 5. —
Schenk war keine der hervorragenden Perfönlichkeiten
im Refor'mationszeitalter, aber immerhin ift eine befondere
Darftellung feines Lebens auch in etwas gröfserer Ausdehnung
ein dankenswerthes Unternehmen. Seidemann
fchildert zunächft auf den 62 erften Seiten in faft chronik- j Entfchuldigung und zur Erklärung der Thatfachen wohl
nie nachzuweifen.' Aber die blofe Bezugnahme auf das
Gedruckte genügt lange nicht. Schenk war offenbar ein
Mann, der feine Zunge nicht im Zaume hielt, und der
fich manchmal zu unbefonnenen Aeufserungen, auch dog-
matifchen, wird haben hinreifsen laffen, die felbft ohne
Verdrehung und Mifsdeutung Anftofs geben konnten.
Der ganze Charakter des Mannes war ein derartiger, dafs
diefer ohne Streit in feinem Leben gar nicht durchkommen
konnte. Schenk war ziemlich begabt und hatte
eine gewifie Gradheit des Wefens. Beides empfahl ihn
den Wittenbergern, welche den Fehler begingen, ihn
fchon im 28. Lebensjahre zum Dr. Theol. zu promoviren.
Das nährte feine Eitelkeit, die neben ftarker Heftigkeit
feine fchlimmfte Eigenfchaft war. Er trat immer an-
mafsender auf und ftiefs die meiften zurück, die amtlich
mit ihm in Berührung kamen. Ein folcher Mann mufste
Händel bekommen und dabei konnte es nicht ausbleiben,
dafs mitunter auch er unbillig behandelt ward. Seidemann
felbft fagt von den gedruckten Predigten S. 82:
,es ift richtig, dafs kaum Eine Predigt vorhanden ift, in
welcher Schenk nicht mit fchneidender, fcharfer Waffe
gegen Geiftlichkeit und Prediger zu Felde läge. Erlebtes
hat ihn tief verftimmt und verbittert'. Da darf man fich
nicht darüber verwundern, wenn fchriftliche und mündliche
Aeufserungen von ihm aufgegriffen und, vielleicht
unbillig, zu Irrlehren verdreht wurden. Schenk felbft war
wahrlich nicht ohne Schuld. Doch darf man zu feiner
artiger Weife den Lebensgang Schenks, befpricht dann
S.63—87 die iöhinterlaffenen Druckfchriften deffelben, reiht
S. 88—115 eme grofse Menge von Anmerkungen und
literarifchen Nachweifen an, bei denen allerdings gar
manches Citat hätte fehlen können, und giebtS. 116—196
Beilagen von bisher ungedrucktem Material. Den Schliffs
macht ein genaues Regifter.
Bei allen Arbeiten Seidemanns ift man an grofse
Zuverläfsigkeit und eine P"ülle von neuen Einzelangaben
gewöhnt. Das findet fich in vollem Mafse auch hier.
Befonders in den Anmerkungen trifft der Forfcher fehr
viel fchätzbares Material. Ich wüfste in der Beziehung
keinen weiteren Wunfeh auszufprechen, als dafs bei den
Schriften Schenks nicht blos einige Male, fondern immer
der hundort angegeben wäre; dies würde Anderen un-
nothige Mühe des Suchens gefpart haben. Diefe rühmens-
werthe Zuverläffigkeit erftreckt fich natürlich auch auf
die Erzählung vom Leben und Wirken Schenks; aber in
darauf hinweifen, dafs fich allmählich ein Gemüthsleiden
bei ihm fcheint ausgebildet zu haben.
Das reiche von Seidemann trefflich dargebotene Material
liefse fich fehr gut verwenden in einer neuen Biographie
des Johann Agrikola, zu der nach Eröffnung fo
mancher neuer Quellen jetzt wohl Veranlaffung genug
vorläge.
Der Verlagshandlung find alle P'orfcher in der Re-
formationsgefchichte dafür Dank fchuldig, dafs fie ein
nur für einen kleinen Leferkreis beftimmtes Buch gedruckt
und fo gut ausgefluttet hat. Auch für genaue
Correctur ift geforgt. Mir ift von Druckfehlern nur S. 27
unten 1527 ftatt 1537 und S. 179 unten XIV ftatt XVI
aufgefallen.
Erlangen. Dr. G. Plitt.