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Ausgabe:

1876

Spalte:

18-20

Autor/Hrsg.:

Reuter, Hermann

Titel/Untertitel:

Geschichte der religiösen Aufklärung im Mittelalter vom Ende des achten Jahrhunderts bis zum Anfang des vierzehnten. 1. Bd 1876

Rezensent:

Zoepffel, Richard

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Theologifche Literaturzeitung. 1876. Nr. 1.

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gefchriebenes Wort vom Schreiber untres Codex fälfch-
lich in den Text eingefügt. Allein dies könnte doch nur
von einzelnen wenigen gelten, die meiften erfcheinen vielmehr
als rhetorifche Häufung gewählter Ausdrücke. Nach
den Bemerkungen R.'s wird es wohl dabei bleiben, dafs
wir es hier mit einer rhetorifchen Kigenthümlichkeit des
geichraubten Schriftftellers zu thun haben; und der Um-
Hand, dafs vom dritten Buch an jene Correcturen an den
betr. Stellen ganz aufhören, zeigt, dafs der Corrector
dahinter gekommen fein wird, wie er im Begriff ftehe,
den Arnobius felbft zu corrigiren. Inllructiv ift befonders
die Stelle 1, 59 (p. 41, 2 sq.), wo bei einer nur fchein-
baren Parataxe zweier Synonyma (poeditates stribiligines)
der ältefte Corrector ebenfalls das zweite Wort expun-
girt hat, während der Zufammenhang zeigt, dafs mit R.
nach Llmenhorft focdiiatc, siribiligines zu lefen ift, hier
alfo ficher der Corrector nur proprio Mark conjecturirt
hat. Aehnlich verhält es fich mit III, 29 (131, 26).
R. fpricht überhaupt auf Grund feiner Vertrautheit mit
dem Text feine Ueberzeugung aus, dafs derfelbe beinah
ganz frei von Interpolationen fei; dagegen zeugen feine
Noten, dafs er an gar manchen Stellen kleine Lücken
vermuthet.

Die Verwirrung am Anfang des zweiten Buchs hat
R. in vollkommen überzeugender Weife gelöft durch
lichtige Transpolition nicht einzelner Sätze, fondern
ganzer Stücke; fie erklärt fich aus der falfchen Reihen-
tolge der Blätter in der vom Schreiber benutzten Handfchrift
. Andrerfeits verwirft R., wie uns fcheint mit
Recht, jede am Ende des Werks verföchte Umfetzung.
Wenn die Kapp. 35—37 den Schlufs zu enthalten fcheinen,
fo find im Folgenden nur noch Erörterungen zu fehen,
welche Arnob., zur Vollendung des Werks eilend, als
unverarbeitete (daher fragmentarifche und Wiederholungen
bietende) Adverfarien noch angehängt hat. Ein grolser
Vorzug der neuen Ausgabe befteht nun, abgefehen davon,
dafs die kundige Durctiforfchung der Handfchrift manche
lrrthümer von felbft befeitigt, darin, dafs durch die ftreng
mcthodifchc Kritik des Herausgebers ein ganzer Ballalt
willkürlicher Conjecturen ein für allemal über Bord geworfen
wird. In der Aufnahme fremder Emendationen
(unter denen doch auch manche gefunde von Hildebrand
fich findet), wie in der Aufftellung der eignen hält fich
R. möglichft ftreng an die Spuren der Handfchrift, an
den Scliriftcharacter derfelben und an den Sprachcharacter
des Autors. Eine grofse Anzahl derfelben zeichnen fich
durch grofse Einfachheit aus (als Beifpiel diene II, 76
p. 109, 27, wo durch Aenderung des cum in cur einleuchtend
geholfen ift; ebenfo HI, 33 p. 133, 22 pari voce
ac sensu u. dgl. m.). Dafs dennoch auch nach diefer
Ausgabe der ferneren Conjecturalkritik ein weiter Spielraum
bleibt und gelaffen werden mufs, wird den nicht
Wunder nehmen, welcher die Befchaffenheit des Textes
kennt. So bleibt, um gerade eine theologifch wichtige
Stelle zu nennen, leider f, 63 p. 44, 1 sq. ungeheilt.
Auch wird Niemand verlangen, dafs alle Emendationen
gleich einleuchtend feien; bei einzelnen, wenn auch nur
wenigen, kann man auch fragen, ob fie überhaupt nöthig
waren. So möchte ich z. Ii. Einfpruch erheben gegen
die I, 31 (p. 21, 2 sq.) von Klufsmann entlehnte Verdoppelung
des expcrs. Es heilst dort von Gott: infinit
us .......( quem nulla deliniat forma corporis, nulla

dcterminat circumscriptio qualitatis, expers qttanlitatis etc.
,Klussm. Reiff.: circumscriptio, qualitatis expcrs. expers
quantitatis. Die Unendlichkeit Gottes wird durch Ab-
weifung erft der körperlichen Schranke, dann jeder Determination
durch Qualität erläutert. — Sehr dankens-
werth find die beigegebenen lndices (1, auctorum; 2, 110-
»iiiium et rerutn; 3, verborum et locuiionum), welche die
ganze fu werth'vol'le Arbeit des Verfaffers abfchliefsen.

Kiel. Möller.

Reuter, Herrn., Geschichte der religiösen Aufklärung im
Mittelalter vom Ende des achten Jahrhunderts bis
zum Anfang des vierzehnten. [In 2 Bdn.] 1. Band.
Berlin 1875, Hertz. (XX, 335 S. gr. 8.) M. 7. —

Das vorliegende Werk ift, wie der Herr Verfaffer in
der Vorrede (pag. VII) fagt, aus der Erkenntnifs ent-
fprungen, dafs unfre bisherige theologifche Dogmenge-
fchichte ergänzt werden muffe durch ein neues Kapitel,
durch die Gefchichte der religiöfen Aufklärung im Mittelalter
. Wir freuen uns deffen, dafs der verehrte Verfaffer
die Präge, die er fich vorgelegt: ob er es unternehmen
foll, die empfindliche Lücke auszufüllen, fchliefslich mit
einem Ja' beantwortet hat. Wer könnte wohl zur Löfung
diefer fchwierigen Aufgabe geeigneter fein, als Confifto-
rialrath Dr. Reuter, der Mann, deffen Name nicht nur
die Kirchenhiftoriker, fondern auch die Profanhiftoriker,
die ftrengere Anforderungen an die wiffenfchaftliche Tüchtigkeit
ftellen, mit der höchften Anerkennung als einen
der hervorragendften P'orfcher auf dem mittelalterlichen
Gebiete nennen.

Recenlent mufs eingeftehn, dafs die wiederholte Leetüre
des Werkes in ihm die Bewunderung für die ausgezeichnete
Leiftung fteigerte. Allein fchon der Muth,
der dazu gehört, fich als erfter Kolonift auf einem völlig
unangebauten Boden niederzulaffen, die Energie, die hier
für die mit den gröfsten Schwierigkeiten verbundene
flerbeifcharfung des nutzbaren Materials aufgeboten ift,
find geeignet, jenes Geiuhl der Dankbarkeit hervorzurufen,
welches jeder ernfte wiffenfchaftliche Arbeiter empfindet,
wenn er durch die gewaltige Kraft eines bewährten
PVrfchers ein neues, weites Peld feiner Wiffenfchaft er-
fchloffen fieht. Auch rillen den Recenfenten das Geift-
volle, Pikante der Darftellung, die Schönheit der Sprache
mit fort; die Quellen und Beweife, die der Verfafler beibringt
, werden auf jeden, der fie genauer prüft, den Eindruck
des Reichhaltigen, Durchackerten und mit grofsem
Verftändnifs Ausgewählten machen. Das Werk giebt uns
eine Menge neuer, überrafchender Gelichtspunkte, und
wir dürfen noch mehr fagen, eigentlich erft die Möglichkeit
, den Entwickelungsgang der mittelalterlichen geiltigen
Strömungen zu verliehen. Die wiffenfchaftlichen Kefultate
für die Gefchichte des geiftigen Lebens im Mittelalter
find nicht in allen 4 Büchern, in welche das Werk zerfällt
, gleich werthvoll. Unbedingt der lehrreichfte ift der
dritte Abfchnitt, der die Gefchichte der Aulklärung feit
dem Beginn der Kreuzzüge bis auf Abälard darfteilt; ihm
fchhefst fich ebenbürtig das vierte Buch an, das den Ein-
ilufs Abälards auf die Aufklärung des 12. Säculums entwickelte
; das zweite Buch dagegen, welches fich mit
dem für die Gefchichte des geiftigen Lebens fo wenig
ergiebigen IO. Jahrb.. befchäftigt, gewährt, verglichen mit
dem dritten und vierten Abfchnitt, demForfcher einen ver-
hältnifsmäfsig geringen Ertrag. Könnten wir dem ge-
fchätzten Herrn Verfaffer in feinen Peurtheilungen und
Aufladungen von Perfönlichkeiten und Richtungen des
8. und 9. Jahrhunderts zuflimmen, dann müfsten wir,
was die Zahl der neuen Refultate anlangt, den erften
Abfchnitt vielleicht als das Hervorragendlte unter allen
vier Büchern anfehn. Aber fo fehr wir Hrn. Konfiftorial-
rath Dr. Reuter darin beipflichten können, dafs fich feit
den Zeiten Berengars, insbefondere aber mit dem Beginn
der Kreuzzüge ein immer breiter werdender
Strom der Aufklärung verfolgen läfst, fo wenig können
wir den Verfuch billigen, den der Verfaffer im erften
Buch unternommen hat, die Zeit Karls des Grofsen und
feiner Nachfolger zu einer zu ftempeln, die fchon eine
reiche Zahl von aufklärenden Elementen in fich birgt.
Von den vielen Namen, die der Verfaffer hier in die Zahl
der Aufklärer einreiht, können wir eigentlich nur einen
an diefem ihm von Dr. Reuter zugewielenen Platze flehen
laffen, den Scotus Erigena. Es will uns fcheinen, als
käme der geehrte Verfaffer mit der von ihm felbft auf-

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