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Ausgabe:

1876 Nr. 12

Spalte:

313-315

Autor/Hrsg.:

Brieger, Theodor (Hrsg.)

Titel/Untertitel:

Zeitschrift für Kirchengeschichte. I. Bd., 1. Heft 1876

Rezensent:

Nasemann, Otto

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313 Theologifche Literaturzeitung. 1876. Nr. 12. 314

mehr das Gebiet der Humanität verklärt habe', fo ift
darauf zu fagen, dafs A. M. v. Sch. eben beides ganz
gewefen ift, zuerft der Stern von Utrecht, dann die rück-
naltslofe Jüngerin Labadie's.

Stil und Sprache des Vortrages find warm und von
durchfichtigem Bau. So eignet er fich und ift auch be-
ftimmt für die weitern Kreife der Gebildeten, welche an
knapp und doch individuell ausgeführten gefchichtlichen
Einzelbildern Freude haben. Sonderlich in diefer Zeit
der auf- und niedergehenden Heiligungsfterne zeichnet
der Verf. hier einen Stern, der noch bei feinem Untergange
ein fo mildes Licht verbreitete, dafs einer ihrer
Gegner fogar ausruft: oh, ittinam tua felicitate, felicissima
anima, shiiulfmi beeret! — Wir fehen der ausführlicheren
Bearbeitung mit Freude entgegen.

Marienberghaufen. F. Auge.

Brieger, Prof. Dr. Theodor, Zeitschrift für Kirchengeschichte
. In Verbindung mit D. W. Gafs, D. H.
Reuter und D. A. Ritfehl herausgegeben. I. Band,
1. Heft. Gotha 1876. Fr. Andr. Perthes. (174 S. gr. 8.)
4 Hfte. M. 16. —

Durfte man einigermafsen gefpannt fein, wie den in
der Ankündigung der neu crfchcincnden Zeitfchrift gegebenen
Verheifsungen entfprochen werden würde, fo ift
nunmehr Urfach genug vorhanden, diefes erfte Heft mit
Freuden zu begrüfseii. Die Zeitfchrift foll in erfter Linie
der ftreng wiffenfehaftlichen, methodifchen Forfchung
dienen und wird deshalb den gröfsten Theil ihres Raumes
den eigentlichen Unterfuchungen widmen; daneben
werden auch Effays, kritifchc Ucberfichten und Analekten,
in denen kürzereMittheilungen, ftatiftifche Nachrichten zur
Veröffentlichung kommen, geboten werden; aufserdem ift
die Abficht, einen lebendigen Austaufch' mit der allgemeinen
Gefchichtswiffenfchaft zu vermitteln, wie denn
Vertreter der politifchen Gefchichte ihre Mitwirkung zu-
gefagt haben; endlich wird in den Namen von Gafs,
Reuter und Ritfehl eine Bürgfchaft für Objectivität und
Vorurthcilslofigkeit in der Leitung gefunden.

Zu dem erften Hefte haben denn auch fofort zwei
Profefforen der Gefchichte, Georg Voigt und Arnold
Schafer, beigeftcuert. Den eigentlichen Kern jedoch
geben Fachmänner. An der Spitze fleht die gelehrte
und fcharffinnig feine Unterfuchung Weingarten's über
den Urfprung des Mönchthums im nachconftantinifchen
Zeitalter. Wir find der Meinung, dafs der Verfaffer mit
der bisherigen Ueberliefcrung von dem erften Eremiten
Paulus von Theben und dem heiligen Antonius als Stiftern
des Mönchthums ein für alle Mal aufgeräumt hat.
Er macht es überaus einleuchtend, dafs Hieronymus für
die Sage verantwortlich zu machen ift, der die für feine
Zeit wirkfamen Züge aus den lasciven Romanen der fpä-
teren Imperatorenperiode in feine vita Pauli verwebt hat,
er Hellt in fchlagender Weife eine Stelle aus Apulej.
Mctam. mit dem dritten Capitcl derfelben zufammen und
folgert aus dem charakteriftifchen Geftändnifs in dem
Briefe ad He/iodor. fowie daraus, dafs vor Hieronymus
Niemand etwas von Paulus weifs, ganz mit Recht, ,dafs
von Paulus als einer gefchichtlichen Perfönlichkeit und
als Begründer des Mönchthums nicht mehr die Rede
fein darf'. Auch der Nachweis, dafs es fich mit Antonius
ähnlich verhält, wird zwar in längerer Begründung,
doch in gleich lichtvoller Weife und mit höchft wirk-
famer Gruppirung der Argumente geführt. Es finden
fich eben keine Spuren des Mönchthums im dritten
Jahrhundert; bedeutfam ift das Schweigen des Eufebius,
befremdlich, dafs der Wüftcnheiligc, der nie lefen gelernt
, Kenntnifs von platonifchen und ftoifchen Philpfo-
phemen hat und von einzelnen Partien der griechifchen
Mythologie weifs; kurz das Leben des Antonius, bisher
dem Athanafius zugefchrieben, ift eine Tendenzfehn ft,

| deren Verfaffer diefer aus vielen Gründen und namentlich
auch deshalb nicht fein kann, weil er den Antonius
in feinen echten Schriften, wo er ihn hätte nennen rnüffen,
nicht nennt (ep. ad Diarönt.), eine Tendenzfchrift, in
welcher das Ideal .eines in den kirchlichen Organismus
eingefügten und ungeachtet aller populären Elemente
geiftig erhobenen Mönchthums' dargeftellt wird. Auf die
Frage, die fich hienach von felbft einftellt, wo nun der
Urfprung des Mönchthums zu fuchen fei, erfolgt allerdings
keine präcife Antwort. Denn die Darlegung, dafs
die xwroy/u in der Umgebung des Serapeion von Memphis
fich bis ungefähr zum Jahre 200 a. Ch. hinauf verfolgen
laffen, fo intereffant fie ift und fo gut fie durch die Re-
fultate aus den Arbeiten Letronne's und Brunet's de Presle
geftützt wird, überbrückt doch die Lücke zwischen heid-
nifchem und chriftlichem Kloftcrleben nicht völlig. Schade,
dafs der Auffatz gerade da abbricht, wo der Lefer eine
abfchliefsende Antwort erwartet, wo er die Summe ziehen
möchte; vielleicht hätte er auch übrigens an Ueber-
zeugungskraft gewonnen, wenn er fchlichter gehalten
wäre, wenn der Verf. feine ironifche Stellung zu dem
Gcgenftande weniger hätte durchblicken laffen.

Durchaus anders gehalten ift der folgende Auffatz
von Reuter über Bernhard von Clairvaux. Der berühmte
Kenner des Mittelalters will kein rundes, volles Bild
geben, fondern theilt nur Züge zu einer Charakteriftik
mit, die fich in der That in einzelnen Punkten mit
dem gleichzeitigen Auffatz Bernheim's über Lothar und
Konrad III. in Sybcl's Zeitfchrift decken oder ergänzen.
Liegen uns überhaupt die mittelalterlichen Menfchen
ziemlich fern, fo ift es befonders fchwer Bernhard's
Wefen zu einer Einheit zufammen zu faffen, der ebenfo
weltflüchtiger Idealift wie gewiegter Praktiker, ebenfo
fehr Stützer und Diener der Curie wie ihr Leiter und
Rüger war; und um fo fehwerer, wenn, wie hier gefchieht,
die Zeichnung fich nur in grofsen, weitgefchwungenen
Conturcn, in rafch geführten, doch gleichwohl gewählten
Strichen mehr als in eingehender Detailausführung hält.
Nichts defto weniger kommen die beiden Seiten des
grofsen Ciftercienfers und auch der Gefammteindruck
feiner aufserordentlichen Natur deutlich zur Anfchauung.

Ritfehl giebt in der Unterfuchung über die Ent:
ftehung der lutherifchen Kirche wieder einen Beweis
davon, wie trefflich er es verlieht die Umbildung und
Umprägung mafsgebender Gedanken und leitender Begriffe
zu verfolgen. Es kommt ihm darauf an zu zeigen,
dafs der Begriff der lutherifchen Kirche, wie er von den
Gegnern Melanchthon's gefafst ift und noch heute von
den Lutheranern feilgehalten wird, nicht von Luther
fondern von Melanchthon herrührt; ich flehe dem Stoffe
nicht nahe genug, um behaupten zu können, der Beweis
fei zur Evidenz geführt. Aber allerdings wird nachge-
wiefen, dafs erft mit dem Jahre 1537, und zwar durch
Mel.'s Antwort an den kaiferlichen und den päpftlichen
Gcfandten ,die durch die Augsburgifche Confeffion bezeichnete
Kirche ift die katholifche', eine pofitive Feft-
ftellung gegeben worden ift, wogegen Luther noch längere
Zeit den kritifchen Gebrauch des rechten Kirchenbegriffs
fefthält, indem er wohl fagt, dafs die Römifchen die
rechte Kirche nicht ausmachen, auch die Merkmale an-
giebt, an denen fich die Kirche erkennen laffe, aber nicht
erklärt, dafs fie bei den Evangclifchen fei; nunmehr
wird bei Jenem die pura doctrina evangelii zum Unter-
fcheidungszeichen der echten und falfchen Kirche. Mit
1543> mit der neuen Ausgabe der loci, zeigt fich fodann
ein neuer Auffchritt in der Bewegung; der Gegcnfatz
gegen Servet und die In Jividualiften führt Mel. dazu,
die Kirche, welche nicht Staat fein foll, als eine Art
von Schule zu faffen und das Merkmal der Gottesver-
chrung dem der Glaubensartikel unterzuordnen, — eine
Auffaffung, die fich in der .Wittenberger Reformation'
von 1545 wiederholt und nach dem Tode Luther's beibehalten
wird, auch von Brenz und von Flacius, und die