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Ausgabe:

1876

Spalte:

307-308

Autor/Hrsg.:

Ohrloff, Otto

Titel/Untertitel:

Die Bruchstücke vom Alten Testament der Gotischen Bibelübersetzung kritisch untersucht 1876

Rezensent:

Wellhausen, Julius

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Seite 1

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Theologifche Literaturzeitung. 1876. Nr. 12.

308

Uebereinftimmungcn der Namen zeigen nur, dafs die
Darftellung des Buches nicht rein erfunden ift, dafs Berichte
alterer Quellen oder mündliche Ueberlieferungen
zu Grunde liegen. L. bringt es aber zum Schlufse zu
Wege, fogar die Erzählung vom Wahnfinn des Nebu-
kadnezar zu rechtfertigen. Nergalfaroffor, Nebukadnezar's
Schwiegerfohn und Nachfolger, nennt einmal feinen Vater
Bel-zikir-iskun König von Babylon. Alfo? Der Genannte
mufs während der Regierung des Nebukadnezar den Thron
ufurpirt haben ■— das kann aber nur gefchehen fein, als
Wahnfinn die Kraft des gewaltigen Nebukadnezar gebrochen
hatte (!) S. 206. Dafs auch in dem Erlafs des
Nebukadnezar die Spuren eines affyrifchen Originals erkannt
werden (S. 210 ff.), fei nur erwähnt. — Alle diefe
Momente zufammen genommen können nicht dazu beitragen
, die Glaubwürdigkeit des Buches Daniel über einige
untergeordnete Einzelheiten hinaus zu erweifen. Das
Urtheil über die Abfaffungszcit des Buches kann dadurch
fchon deshalb nicht beeinflufst werden, da es ungerechtfertigt
ift, verfchiedene Verfaffer anzunehmen und der
zweite Theil unverkennbar der Zeit des Antiochus Epi-
phanes angehört.

Wir brauchen bei einer Schrift Lenormant's nicht
zu bemerken, dafs fie intereffante Auffchlüfse liefert über
das affyrifche Alterthum. Uns fiel hier die undankbarere
Aufgabe zu, ihren Werth mit Bezug auf das A. T. dar-
zuftellen.

Leipzig. Wolf Baudiffin.

OhrIoff, Otto, Die Bruchstücke vom Alten Testament der
Gotischen Bibelübersetzung kritifch unterfucht. Ein ergänzender
Nachtrag zu der Ausgabe des Vulfila von
Ernft Bernhardt. (Abdr. aus Zacher's Zeitfchr. f. deut-
fche Phil. Bd. VII). Halle 1876, Waifenhaus. (45S.gr. 8.)
M. 1. 20.

Diefe Herrn Prof. W. Wilmanns zugeeignete Greifs-
walder Inauguraldisfertation ift für Theologen deshalb
von Belang, weil darin der Nachweis geführt wird, dafs
die gothifchen Bruchftücke von Efra und Nehemia aus
derjenigen Recenüon der LXX überfetzt find, welche wir
für die hiftorifchen Bb. des A. T. in den codd. Hohnes. 19.
82. 93. 108 befitzen. Diefe Thatfache ift darum wichtig,
weil daraus aufs neue die weite Verbreitung und das
verhältnifsmäfsig hohe Alter diefer Recenfion erhellt, aus
welcher auch die Itala — ich erlaube mir vorläufig noch
der Meinung Wifcman's zu bleiben — gefloffen ift. Die
mechanifche Wörtlichkeit, welche die gothifche Verfion
mit den alten lateinifchen theilt, erlaubt eine genaue Re-
conftruetion ihrer griechifchen Vorlage. Ohrloff findet,
dafs das Stück aus Nehemia völlig den Text von cod.
108 wiedergiebt, der bekanntlich der Complutenfis zu
Grunde liegt, das Stück aus Efra nicht ganz fo genau
den Text eines der drei codd. 19. 93. 108. Hie und
da, glaubt er, habe eine Einwirkung der Vulgata auf den
vorliegenden Text der gothifchen Fragmente ftattgefunden.
Indefs gehören jene griech. Hff. zu den Codices latinis-
santes, und mit deren Abhängigkeit von Itala und Vulgata
hat es eine eigene Bewandtnifs. In diefem beftimmten
Falle freilich fleht es durch den Brief an Sunia und Fre-
tela feft, dafs die Pfalmenüberfetzung des Hieronymus
zur Berichtigung der LXX von feiten gothifcher Geilt-
licher benutzt ift.

Die Anficht über die Einwirkung der Vulgata auf die
Rede des gothifchen A. T. hängt wohl damit zufammen,
dafs Ohrloff ihre Abfaffung durch Ulfilas beftreitet. Dafs
jener nicht das ganze A. T. überfetzt habe, berichtet
I'hiloftorgius (und zwarverfteht derfelbe unter den Königsbüchern
mehr als Bernhardt Einl. § 5 annimmt). Auxen-
tius fchreibt ihm nur multas interpretationes zu, alfo nicht
die ganze. Walafrid Strabo redet von mehreren Studiosi
illius gentis (sc. Gothorum), welche divinos libros in

j suac locutionis proprietatem transtulcrunt. Insbefondere
fcheint aus des Hier. Brief an Sunia und Fr. hervorzugehen
, dafs diefe beiden Männer die Abficht hatten,
den Pfalter ins Gothifche zu übertragen. ,Waren aber
die Pfalmen noch nicht übertragen, fo wird vom A. T.
überhaupt noch nichts übertragen gewefen fein, ganz
gewifs aber noch nicht zwei fo unbedeutende Bücher

! wie Efra und Nehemia'. Innere Gründe, hergenommen
aus der Ueberfetzungsmanier, kommen hinzu, um den
Verf. des gothifchen N. T. von dem der ATiichen Fragmente
zu unterfcheiden. — Am Schlufs der Abhandlung
wird der griechifchc Text der Fragmente neben dem
gothifchen abgedruckt.

Ein paar Berichtigungen erlaube ich mir zu der forg-
fältig gearbeiteten und lehrreichen Disfertation zu machen.
Es ift nicht meine Meinung, wie Ohrloff glaubt (S. 29),

1 dafs die codd. 19. 82. 93. 108 im Allgemeinen einen
belferen Text der LXX darbieten als z. B. der Vaticanus,
fie haben nur an vielen und wichtigen Stellen der hiftor.
Bb. die echte Lesart erhalten, wo auch der Vaticanus

I corrigirt ift (vgl. meinen Text der Bb. Samuelis S. 221 ff.).

! Ferner giebt es mehr als zwei Recenfionen der griechifchen
Bibel, man darf nicht unferc codd. auf die eine

und alle übrigen auf die andere Seite ftellen, wie S. 29
gefchieht. Endlich, wenn gleichfalls auf S. 29 behauptet
wird, unfere Hff. ftellen den hexaplarifchen Text dar, alle

i anderen aber ,die verderbte' xoivij oder den vtiw/.uivnc,
fo verhält fich die Sache in Wahrheit beinah umgekehrt.

j Die codd. 19. 82. 93. 108 repräfentiren den Luciänus,
wie Field im 9. Kapitel der Prolegomena zu feiner He-
xaplaausgabe dargethan hat.

1 Greifswald. J. Wellhaufen.

Perrot, Georges, De la disparition de la langue gauloise
en Galatie. ^Memoircs d'archeologic, d'epigraphie et
d'histoirc, Paris 1875, Didier et Cie., p. 229—263).

Hieronymus fagt bekanntlich im Vorwort zum zweiten
Buche feines Commentares zum Galaterbricf (Opp. ed.
Vallarsi VII, i, col. 429—430), dafs die Einwohner
Galatiens noch zu feiner Zeit neben dem Griechifchen
auch ihre väterliche Sprache bewahrt hätten (unum est
quod inferimus, et promissum in exordio reddimus, Galalas
excepto sermone Graeco, quo omnis Oricns loquitur, proprium
linguam e am dem pene habere quam Vre-
viros, nec referre, si aliqua exinde corruperint, cum et
Afri Phosnicum linguam nonnulla ex parte mutaverint et
ipsa Latinitas et regionibus quotidie mutetur et tempore).

Im Gegenfatz hierzu hat Perrot, der um die Er-
forfchung der Alterthümer Galatiens hochverdiente fran-
zöfifche Gelehrte, fchon in feinen früheren Werken {De
Galatia provincia Romana, 1867, p. 87—90. 168 — 170.
Exploration archcologique de la Galatie et de la Bithynie
etc. 1872, p. 197) die Anficht aufgestellt, dafs die keltifchc
Sprache von den Galatern längft vor Hieronymus aufgegeben
worden fei. Und da ihm hiergegen Einwendungen
gemacht wurden, hat er nun in einer befonderen Abhandlung
, welche zuerst in der Revue celtique T. I. und
hierauf mit einem Appendix verfehen in der obengenannten
Sammlung erfchien, feine Anficht eingehender
begründet und vertheidigt. Seine Gründe find in der
Hauptfachc folgende. Schon von vornherein könne man
der Sprache der Galater keine zähe Widcrftandskraft
zutrauen, da fie nicht fefshafte Landeseinwohner waren,
fondern als erobernde Schaaren das Land in Befitz genommen
hatten zu einer Zeit, wo fchon die gricchifche
Cultur in Klein-Afien tiefe Wurzeln gefchlagen hatte.
Der pofitive Beweis für das baldige Ausfterben ihrer
Sprache ergebe fich aber theils aus dem Mangel jeglicher
monumentaler Ueberrefte derfelben an Ort und
Stelle, theils und hauptfächlich daraus, dafs nachweisbar
die einheimifchen Namen nur bis in den Anfang der