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Ausgabe:

1876 Nr. 10

Spalte:

265-266

Autor/Hrsg.:

Hückstädt, Ernst

Titel/Untertitel:

Ueber das pseudotertullianische Gedicht adversus Marionem. Ein Beitrag zur christlich-lateinischen Literaturgeschichte des 4. Jahrhunderts 1876

Rezensent:

Harnack, Adolf

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Theologifche Literaturzeitung. 1876. Nr. 10.

266

Beobachtungen Socin's doch nicht fo ganz regenlos zu im Jahre 1562 herausgegeben. Nach ihm hat Niemand
fein. Wenn Thonwaaren fo gut confervirt blieben in mehr das Manufcript gefehen; alle Ausgaben des Gedern
eigenartigen Boden Moab's — warum denn nur j dichtes find deshalb von der editio prineeps allein ab-
Thonwaaren? Die Vorliebe dafür ift doch wohl nicht hängig. Hückftädt hat den Verfuch gemacht, den fchr
bei den alten Moabitern zu fuchen, fondern bei modernen | fehlerhaften Text, wie er in den jetzt gangbaren Aus-
Fklfchern, welche darin das bequemfte und billigfte Ma- | gaben Tertullian's gedruckt ift, zu berichtigen und in
terial fanden. einigen Hauptpunkten ein gefichertes, hiftorifches Ver-

Ein neuer Entlaftungsgrund, welchen K. gelegentlich ftändnifs des merkwürdigen Gedichtes anzubahnen. In
vorbringt (S. 24), das muslimifche Verbot der Abbildungen ! dem erften Abfchnitt (S. 3—14) giebt er meiftens zu-
ift nicht ftichhaltig, da ja etwa Juden oder Chriften die Fa- ! treffende Vorfchläge zur Textverbcfferung; in dem zweiten
brikanten fein könnten. Der verdächtige Selim felbft Abfchnitt (S. 14—34) wird der Inhalt des Gedichtes aus-
ift Chrift und Heiligenbilder-Maler (S. 26). Die Art i führlich reproducirt und mit erläuternden Anmerkungen
diefer Darftellungen, deren vollftändigc Stillofigkeit von begleitet; in dem dritten Abfchnitt endlich (S. 35—57)
Kautzfeh gebührend gewürdigt worden ift, fcheint auch handelt H. von den in dem Gedichte bekämpften Geg-

dem Ref. auf eine moderne verdorbene Phantafie zu ver
weifen, felbft wenn wir abfehen wollen von einzelnen deutlich
auf moderne Typen zurückgehenden Darftellungen.
Sehr verdächtig ift der von K. beobachtete Umftand, dafs
der Formenreichthum in Samml. 3 abnimmt (S. 23). Die
Fälfcher fcheinen fich fpäter die Sache leichter gemacht
zu haben. Was die Unzüchtigkeit diefer Darftellungcn
anbetrifft, fo macht die Art dcrfelben nicht eben den
Eindruck von Gegenftändcn antiker wollüftiger Culte.
Gleichwohl meinen wir, dafs in der Basler Brofch. ein
fchwachcr Punkt ift die Abweifung des wollüftigen Cul-
tus überhaupt aus dem Semitismus. Kautzfeh fcheint
von der Renan'fchen Auffaffung der femitifchen Religion
als Monotheismus auszugehen. Aber leider fehlt für
diefe Annahme doch entfehieden der Beweis. So viel
oder fo wenig wir von den Religionen der Weftfemiten
wiffen, beruhten fie durchgehend auf der gefchlechtlichen
Differenzirung der Gottheit, in deren Folge wollüftiger
Cultusbrauch fich einftcllte. Darauf, dafs Kautzfeh
allzu leichter Hand die androgyne (?) Gottheit Afchtor aus
dem Mefchafteine entfernt, hat fchon Stade aufmerkfam
gemacht (Centraiblatt 1876 Nr. 7). Für finnlichen Cultus
bei den Semiten überhaupt vgl. Zeitfchr. d. D. Morgenl.
Gef. XVII, 790 (Phallusdienft bei Arabern und Himjaren),
auch den Mylittadienft nach Hcrodot. Was das Buch
De Syria dea von unzüchtigem Cultus zu Hierapolis
berichtet, kann unmöglich als fpätere Eintlehnung von
einem nichtfemitifchen Volke (welchem?) erklärt werden.
Doch damit find freilich noch lange nicht die widerwärtigen
Geftalten der Thonwaaren gerechtfertigt. — Im
Einzelnen liefse fich gegen die Basler Brofch. noch Meh-
reres einwenden; ihr Refultat aber, dje Begründung des
Zweifels an der Aechtheit, bleibt u. E. durch die Schrift
Koch's unangetaftet, und es bedürfte ganz neuerMomente,
um eine Aenderung des Urtheils herbeizuführen.

Es fei noch bemerkt, dafs die Verdächtigung des
H. Shapira durch Verhandlungen mit dem Prof.Scholz
wegen eines Jeremia-Manufcriptes, welcher in der Basler
Brofch. gedacht war, von K. S. 91 ff. vollftändig befei-
tigt wird, und alle Schuld der Mifsverftändnifse dem Prof.
Scholz zur Laft fällt. Ueberhaupt geht aus allen Mit-
thcilungcn die Unantaftbarkeit des Charakters des H.
Shapira hervor.

Sehr erfreulich ift die von Schlottm ann fjen. Lit.-Z.

nern, von dem Ort und der Zeit der Abfaffung und dem
Verfaffer der Carmina. Hückftädt gelangt zu dem Re-
fultate, das Gedicht fei in Rom zwifchen 360 und 370,
näher zwifchen 362—363, höchft wahrfcheinlich von dem
Rhetor C. Marius Victorinus verfafst worden. Ref. erachtet
es für ficher, dafs das Gedicht aus Rom ftammc
und der Mitte des 4. Jahrhunderts angehöre. Allerdings
find, um diefes Ergebnifs zu erhärten, Studien über die
chriftl. Literaturgefchichte des 4. Jahrhunderts anzuflehen,
welchen der Verf. noch nicht näher getreten zu fein
fcheint: er hat fich auf die vergleichende Betrachtung
paralleler Schriftftücke aus der älteren Literatur be-
fchränkt. Die Einwendungen, welche Hilgenfeld (Ztfchr.
f. wiff. Theol. 1876 I S. 154 f.) gegen die von H. vorge-
fchlagene Datirung des Gedichtes gemacht hat, dürften
nicht unwiderleglich fein, wenn auch ficherlich H. einige
morfche Stützen feiner Hypothefe wird niederreifsen
rriüffcn. Hilgenfeld ift geneigt, das Gedicht in das 3. Jahrhundert
, näher in die erfte Hälfte desfelbcn# zu verleben.
Die Verfafferfrage ift durch Hückftädt's Unterfuchung
nur angeregt; hier macht fich der oben erwähnte Mangel
der Schrift am meiften fühlbar (vgl. die Bemerkungen
des Ref. Ztfchr. f. wiff. Theol. 1876 I S. 113 f.). Erwähnung
hätte es verdient, dafs fchon Mir aus die Carmina
dem römifchen Rhetor Victorinus zugefchrieben
hat. Jedenfalls gebührt dem Verf. Dank dafür, dafs er
zum erften Male wieder die Aufmerkfamkcit auf dies
pfeudotertullianifche Gedicht gelenkt und felbft zum Ver-
ftändnifs desfelben einen guten Beitrag geliefert hat. Die
Hoffnung auf Wiederentdeckung der Handfchrift felbft
braucht noch lange nicht aufgegeben zu werden; denn
wer hat bisher nach dcrfelben geflieht? So lange noch
folche Uebcrrafchungen möglich find, wie die vonBensly
uns gemachte, der von mehr als 60 lateinifchen Efra-
Handfchriften fpricht, die ihm bekannt geworden find,
fo lange es noch möglich ift, z. B. in einem Jahre auf
feiner Studirftube 8 neue lateinifchc Hermashandfchriften
und eine Polykarp-Barnabashandfchrift zu ,entdecken'
wie dies Dr. von Gebhardt geglückt ift, fo lange ver-
fteckt fich hinter der rafchen Lofung, die Handfchrift fei
verloren, nur faule Bequemlichkeit. Jene Ueberrafchun-
gen find in Wahrheit mehr befchämend als erfreulich;
denn fie zeigen uns, wie wenige Kirchenhiftoriker fich
der Mühe unterziehen wollen, auch nur die gedruckten

Nr. 15) gegebene Ausficht baldiger Veröffentlichung der Handfchriftenkataloge der wefteuropäifchen Bibliotheken
lithooraoh Abbildungen von den Thonwaaren mit be- : durchzuftudiren, bevor fie einen altchriftlichen Schriftlicher

. . D .1 - , , ,1 , ,. ___II rt.,Po ___1----------1____

gleitendem Text, wodurch allen Sachvcrftändigen voll
Händig die Möglichkeit gegeben wird, fich ein eigenes
Urtheil zu bilden.

Leipzig. Wolf Baudiffin.

Hückstädt. Dr. Ernft, Ueber das pseudotertullianische

Gedicht adversus Marcionem. Ein Beitrag zur ehnftheh-

lateinifchen Literaturgefchichte des 4. Jahrhunderts.

Leipzig 1875, Hinrichs' Verl. (58 S. gr. 8.) M. V. 20.
Das hexametrifche Gedicht wider die Marcioniten
(242, 269, 302, 236, 253 Vv-) hat zuerfl G" babrlclus I llcn Wichtigen Prägen, die fich bei der hiftorifchen Be

aufs neue herausgeben.
Leipzig. Ad. Harnack.

Gönnet, Prof. Phil., De saneti Cyrill! Hierosolymitani ar-
chiepiscopi catechesibus disseruit ad doctoris gradum
promovendus. Paris 1876, Thorin. (IV, 132 S. 8.)

Diefe von dem Decan der philof. Facultät und dem
Rector der Parifer Univerfität approbirte, dem Erzbifchof
von Avignon gewidmete Differtation darf als ein völlig
werthlofes Machwerk bezeichnet werden, aus welchem
man fchlechterdings gar nichts lernen kann. Die eigent-