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Ausgabe:

1876 Nr. 9

Spalte:

247-252

Autor/Hrsg.:

Sohm, Rudolph

Titel/Untertitel:

Das Recht der Eheschliessung aus dem deutschen und canonischen Recht geschichtlich entwickelt 1876

Rezensent:

Zoepffel, Richard

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247 Theologifche Literaturzeitung. 1876. Nr. 9. 248

Ueberfetzer, Dr. Anger, gefühlt haben; es war der
Grund, wefshalb er nur ein Drittheil derfelben als Probe
herausgab. Und in der That, wem es nur darauf ankommt
, Juan de Valdes' Weife kennen zu lernen, der
hat an diefer Auswahl genug. — Die Ausgabe des Dr.
Anger ift glänzend ausgeftattet, leidet aber an einigen
Incorrectheiten im Druck, befonders in der Interpunction.

Erlangen. Dr. Plitt.

So hm, Prof. Dr. Rud., Das Recht der Eheschliessung aus

dem deutfehen und canonifchen Recht gefchichtlich
entwickelt. Eine Antwort auf ,die Frage nach dem
Verhältnifs der kirchlichen Trauung und der Civilehe'.
Weimar 1875, Böhlau. (XI, 336 S. gr. 8.) M. 6. —

Wie fchon aus dem Titel erfichtlich, ftellt fich der
Verfaffer eine doppelte Aufgabe, einmal ,das genauere
Verftändnifs unfrer Vergangenheit' zu ermöglichen, dann
aber auch .dazu mitzuhelfen, dafs unfrer evangelifchen
Kirche ihr Befitzftand und ihr gutes Recht gewahrt bleibe'
(Vorrede p. VIII). Demgemäfs wollen auch wir zuerft
an die hiflorifche Forfchung Sohm's und dann an die
von ihm auf Grundlage derfelben vorgefchlagene Löfung
der immer noch brennenden Frage nach dem Verhältnifs
der Civilehe zur kirchlichen Trauung herantreten.
Doch bevor wir näher auf die Einzelheiten eingehen,
muffen wir bemerken, dafs der Verfaffer an Friedberg's
Buch ,das Recht der Ehcfchliefsung in feiner gefchicht-
lichen Entwickelung, Leipzig 1865' einen vortrefflichen
Führer befeffen, der ihm, wie er (Vorr. p. VII) anerkennt,
nicht blos fehr schätzbares Material geliefert, fondern
auch an wichtigen Punkten der Unterfuchung werthvollc
Dienfte geleiftet, die ihn ,zum reichlichen Dank' gegen
feinen Vorgänger verpflichten, woran dadurch nichts
geändert wird, dafs Sohm häufig zu Refultaten gelangt,
die den von Friedberg gefundenen nicht zur Beftätigung
dienen. Während aber Friedberg fich glcichmäfsig über
das ganze Gebiet des Ehefchliefsungsrechtes verbreitet
und uberall erft die Quellen mühfam zufammentragen
mufste, hat Sohm den doppelten Vortheil, das Quellenmaterial
geordnet vorzufinden und fich auf einen Bruch-
theil, d. h. auf das deutfehe und canonifche Recht der
Ehefchliefsung befchränkt zu haben, wodurch es ihm
ermöglicht wird, die hiftorifchen Unterfuchungen bis in
die kleinften Einzelheiten durchzuführen.

Was jedoch die vorliegende Leiftung Sohm's zu
einer überaus hervorragenden macht, ift unzweifelhaft
der eminente Scharffinn, mit dem er die einzelnen in
Frage kommenden Grundbegriffe präcifirt und deren allmähliche
Entwickelung verfolgt, ift die Klarheit und Durch-
fichtigkeit fowohl in der gefammten Anlage des Buches
als in den einzelnen Unterfuchungen, ift vor Allem die
Fähigkeit, felbft durch viele Hüllen hindurch fofort den
Kernpunkt aufzufinden. Wohl fleht der Verfaffer auf
einem — wie fchon die Vorrede ergiebt — kirchenpoli-
tifch prononcirt konfervativen Standpunkt; aber den in
unferen Tagen naheliegenden Gedanken, dafs er bei der
hiftorifchen Forfchung die Quellen fo gefchickt behandeln
werde, dafs fie nur feinen kirchenpolitifchen Anflehten
den fefteften Stützpunkt bieten, mufs der Lefer,
je tiefer er ins Buch eindringt, um fo mehr aufgeben.
Gewifs, Sohm hat eine Reihe von Refultaten durch ob-
jective, ehrliche Forfchung gefunden , die fich für feine
kirchenpolitifche Auffaffung verwerthen laffen, aber er
giebt uns auch andrerfeits eine fo grofse Fülle von feinen
Standpunkt eher untergrabenden als ftützenden Ergcb-
nifsen, dafs es ihm begegnen mufs und auch von meiner
Seite begegnen wird, feine hiftorifchen Unterfuchungen
als eine wahre Fundgrube der fchlagendften Belege für
eine mit feinen Anflehten vielfach in Widerfpruch flehende
Auffaffung benutzt zu fehen.

Referent glaubt dem Lefer diefes Blattes einen

wefentlichen Dienft zu thun, wenn er die den Theologen
intereffirenden Hauptrefultate der Forfchung aus den
ausführlichen, auf das ftreng juriftifchc Gebiet vielfach
hinübergreifenden Unterfuchungen herausfchalt, fie über-
fichtlich zufammenftellt, und wo es erforderlich, auf
Lücken hinweift oder zur Sache gehörige Ausftellungen
macht.

Das erfte Capitel (S. 22—58) behandelt die deutfehe
: Verlobung. Diefelbe erfcheint im altdeutfchen Recht
itt der Form eines Kaufvertrages zwifchem dem Bräutigam
und dem Vater oder Vormund der begehrten
Jungfrau. Da der Käufer fich bei dem Kauf infofern
einer gewiffen Gefahr ausgefetzt fah, als er vor Empfang
der Jungfrau dem Gewalthaber derfelben den vollen ge-
fetzlichen Preis, Witthum genannt, auszahlen mufste, fo
I benutzte er mit der Zeit, um etwaigem Nachtheil vorzubeugen
, das von dem deutfehen Recht gewährte Mittel
,des Handgeldes', d. h. einer Scheinleiftung, welche in
Bezug auf die Gültigkeit des Kaufgefchäfts ebenfo an-
i gefehen wurde, ,als wenn eine wirkliche Leiftung erfolgt
wäre'. Hatte zuerft der Gewalthaber der Jungfrau den
; vollen Kaufpreis erhalten, fo mufste er fich fpäter mit
dem Handgeld begnügen, während das Witthum bei der
Trauung der Jungfrau felbft zufiel. Hiermit hörte das
Verlöbnifs auf ein Kaufcontract zu fein.

Schon feit dem 9. Saec. nimmt die Verlobung die
Form der fogenannten ,Wette' d. h. des Treugelöb-
nifses [fides facta') an. Urfprünglich konnte der Ver-
lobungsvcrtrag in Form des Trcugelöbnifses auch nur
mit dem ,Gefchlcchtsvormund der Braut' (d. h. mit ihrem
Vater oder mit ihrem Vormund im eigentlichen Sinnel
abgcfchloffen werden. Als aber die Machtbefugnifse des
Gefchlechtsvormundes immer mehr einfehrumpften,
fchliefst die Jungfrau felbft den Verlobungsvertrag ab;
,fo gehört in der zweiten Hälfte des Mittelalters nach
deutfehem Recht lediglich die Willenscinigung der beiden
Brautleute zum Thatbeftande der Verlobung'.

Das zweite Capitel ift ,der deutfehen Trauung' gewidmet
(S. 59—74). Trauen bedeutet ,anvertrauen, auf Treue übergeben
'! Die Trauung, welche nicht erft von der Kirche
eingeführt, fondern fchon dem älteften deutfehen Recht
bekannt ift, wurde urfprünglich von dem Gefchlechts-
vormund vollzogen. Auch hier hatte, wie bei der Verlobung
, die allmähliche Auflöfung der vormundfehaft-
lichen Gewalt zur Folge, dafs die Braut infofern felb-
ftändiger wurde, als fie die Trauung nicht mehr durch
ihren Vormund ausführen laffen mufste, fondern fich
einen beliebigen Andern , einen Laien oder Geift-
lichen, auswählen konnte, dem fie die Trauung übertrug.
An die Stelle des ,geborenen Vormunds' tritt fomit feit
dem 12. Saec. der ,gekorene Vormund' als Trauender
ein, der die Brautleute ,zufammcngiebt oder zufammen-
fpricht'.

Befonders reich an neuen, wichtigen Gefichtspunkten
ift das dritte Capitel, welches von dem Verhältnifs der
deutfehen Verlobung zur Trauung handelt S. 75 — 106).
Hier will der Verfaffer gegenüber der herrfchenden Anficht
erweifen, dafs die Ehe nach deutfehem Recht
nicht durch die Trauung, auch nicht durch den
Eintritt in das eheliche Gemeinfchaftsleben, fondern
bereits mit der Verlobung gefchloffen war.
Daher wurde die verlobte Braut, wenn fie fich mit einem
andern Manne abgab, als Ehebrecherin behandelt. Mit
der Trauung wurde die in der Verlobung gefchloffene
Ehe ihrer Verwirklichung entgegengeführt, ,durch die
Verlobung war fie als ein Rechtsverhältnifs, durch
die Trauung wurde fie als Thatverhältnifs begründet'.
Daher beginnt erft in Folge der Trauung die eheliche
Gemeinfchaft nicht blos nach ihrer leiblichen Seite, fondern
auch in Bezug auf Stand und Vermögen. Seit dem
11. Saec. ward das Verlöbnifs — hier lediglich als decla-
ratorifcher Act — bei der Trauung durch den Vormund
wiederholt. Damit ,fchlofs die Trauung nun formell zwei