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Ausgabe:

1876 Nr. 9

Spalte:

244-245

Autor/Hrsg.:

Plitt, Gust.

Titel/Untertitel:

Jodokus Trutfetter von Eisenach, der Lehrer Luthers, in seinem Wirken geschildert 1876

Rezensent:

Möller, Wilhelm

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243 Theologifche Literaturzeitung. 1876. Nr. 9. 244

Zweifel gefetzt, dafs Waldesitts*) der eigentliche Urheber Damit fcheiden wir von dem verehrten Verfaffer und

der Bewegung, der Gründer der waldenfifchen Genoffen- < fagen ihm Dank für diefen wichtigen Beitrag zur Auf-
fchaft fei (elecü Waldesii socii, societas Waldcsiand], fon- hellung der Gefchichtc der Waldenfer.
dern es zeigt fich auchzwifchen den ultramontanen(franzoe- Erlangen H
fifchen) und den lombardifchen Armen bei aller Ueberein- : ö erzog,

ftimmung eine folche Verfchiedenheit, dafs die Behaup- I

tung des ächten Rainerius, diefe flammten ab von jenen, Plitt. Prof. Dr. Gust,, Jodokus Trutfetter von Eifenach,
vom Verfaffer geradezu aufgegeben wird. Es ift ein j der Lehrer Luthers, in feinem Wirken gefchildert.

Hauptverdienft des Verfaffers, mittelfl jenes Documentes
jene Verfchiedenheit ins Licht geftellt zu haben. Von
wefentlicher Bedeutung ift auch diefes, dafs die wal-

Erlangen 1876, Deichert. (60 S. gr. 8.) M. 1.

Der feiner Zeit hochgefeierte Lehrer an der blühen-

denfifche Genoffenfchaft (commune genannt) fich dar- j den Univerfität Erfurt, deren Culminationspunkt, aber auch
ftellt als auf das allgemeine Priefterthum aller Getauften I beginnenden Verfall er mit erlebt hat, ift für uns vornchm-

fich gründend, nicht aber, wie Dieckhoff meinte, als
eine neue Art von Mönchthum. Im Allgemeinen ift der
Verfaffer in feinen Ausstellungen gegen Dieckhoff, defiliert
als Lehrer Luther's von Intereffe. Es ift bekannt,
dafs Luther auch fpäter, nachdem fein Weg fich definitiv
von dem Trutfetter's getrennt hatte, noch mit grofser

fen grofse Verdienfte er übrigens vollkommen anerkennt, Achtung von ihm gefprochen hat, obwohl er zu der
im Rechte; wie denn fchon Lechler Dieckhoff vorgeworfen Ueberzeugung gekommen, dafs jene Dialektik, wie fie
hatte, dafs er fich mehr an das halte, worin die Waiden- Tr. als Meifter trieb, für die Theologie nichts nütze, nur
fer hinter der evangelifchen Wahrheit zurückgeblieben ; fchade. Tr.'s Stellung als Logiker und Dialektiker ift
find, als an das, was fie davon ergriffen haben. 1 neuerlich von Prantl erörtert worden. Plitt hat nun

Hier verdient noch ein Punkt eine befondere Erwäh- : aber in obiger kleinen forgfältigen Monographie deffen
nung: Preger, der mit Dieckhoff vollkommen aner- Wirken überhaupt zu fchildern verbucht. Die Nachrichten
kennt, dafs die älteren Waldenfer noch viel katholifch- j über fein Leben fliefsen freilich nicht eben reichlich; doch
gefetzliches Wefen beibehalten, kann ihm nicht zugeben, boten dem Verf. namentlich Scheu rl's Brief buch und eine
dafs fie fich des materialen Princips von der Gerechtig- j Rede desfelben bei Uebergabe des Wittenb. Rectorats
keit der Menfchen vor Gott allein aus Gnaden gar nicht | an Tr. im Jahre 1507 gehalten (Biblioth. des german. Mu-
bemächtigt haben. Er meint, die Waldenfer hätten fich 1 feums; bisher noch nicht verwerthetes Material; ebenfo
diefes Princips wenigftens in der Wurzel bemächtigt. Es hat er fünf logifche Schriften Tr.'s (Sammelband der
lag, fo urtheilt Preger, in der Lehre, dafs die Kraft des ! öffentl. Bibl. in Stuttgart; herangezogen, die er anderwärts
noch nicht benutzt fand, und durch deren Erörte-

Wortes Gottes und nicht die fittliche Würdigkeit zum
Priefter mache. (Dies war eine den ultramontanen Wal-
denfern eigenthümliche Lehre.) Doch die Art, wie er
diefes Urtheil begründet, fcheint mir nicht völlig befriedigend
, fondern etwas weit hergeholt. Uebrigens wurde
ja in der katholifchen Kirche fchon feit dem Auftreten
der Montaniften der entfprechende Grundfatz geltend gemacht
, dafs weder die Wirkfamkeit des geiftlichen Amtes
noch insbefondere die Wirkungen der Sacramente bedingt
feien durch die fittliche Würdigkeit der Admini-
ftnrenden, wobei die katholifche Kirche in ihrer Art
und in ihrem Sinne fich auch auf das Wort Gottes beruft
. Warum hebt der Verfaffer nicht vor allem dies
hervor, dafs fich die Waldenfer des formalen Princips der
Reformation bemächtigt haben? Denn im Zurückgehen
auf die Schrift hatten fie, was fie, fo lange fie katholifch-
gefetzliches Wefen beibehielten, vor der Gefahr bewahrte,
darin unterzugehen, was fie früher oder fpäter darüber
hinausführen mufste. Die Liebe zum Worte Gottes hatte

rung er Prantl's Darfteilung wefentlich ergänzt. Für die
Feftftellung der äufseren Data verdankt er Einiges den
Mittheilungen des Prof. Weifsenborn in Erfurt. Danach
ift Tr. am 18. Oct. 1476 in Erfurt immatriculirt, 1478 in
der Faften baccalaureus nrtium, 1484 Magifter und erft
1504 (nicht 1505, Kampfchulte; Doctor der Theologie geworden
. 1507 wurde er nach Wittenberg berufen, wo er
(für den Winter 1507 8) das Rectorat übernahm, am 1. Mai
1508 zum erften, am 18. Oct. 1509 zum zweiten Male Decan
der theol. Facultät wurde. PI. macht dabei auf feine Betheiligung
an den Statuten der theol. Facultät von 1508 fowie
an den 1509 getroffenen Beftimmungen über das fogen."
complere extra universitatem (über den Modus, nach welchem
die zu Promovirenden ihre Lchrpflichten bis zur
nächften Stufe zu erfüllen hätten, complere lectiones pro
gradibns) aufmerkfam und fchliefst auf den damals in der
Facultät überwiegenden Einflufs Tr.'s aus dem Umftande,
dafs jene Beftimmungen bald nach deffen Weggange aus

ihre Genoffenfchaft gegründet, die Liebe zum Worte Wittenberg einftimmig wieder aufgehoben worden. Schon
Gottes trieb fie im 16. Jahrhundert an, fich an die Re- 1510 ift Tr., nachdem er zum Archidiacon am Dom zu
formatoren zu wenden, weil diefe die Schrift beffer ver- Erfurt erwählt war, dahin zurückgekehrt und hat bereits
ftünden als fie, worauf fie das materiale Princip der Re- im Octobcr diefes Jahres einen widerwilligen Abfchied
formation mit aller Entfchiedenheit fich aneigneten. feitens des fächfifchen Kurfürften erhalten (wonach Kamp-
Auch über die deutfehen, fpeciell öfterreichifchen j fchultc zu berichtigen ift, der ihn erft 1513 nach Erfurt
Armen giebt der Verfaffer dankenswerthe Auffchlüffe. Er I zurückkehren läfst). In Wittenberg wurden von Trutf. bebeweift
, dafs der Tractat von Pilichdorf fchon im Jahre 1395 I anfpruchte Einkünfte nach feinem Weggang mit Befchlag
entftanden ift, nicht erft 1444, dafs er mithin als Quelle j belegt, und erft im folgenden Jahre fand eine Beilegung
dienen kann für die Lehre der böhmifchen Waldenfer un- | der Differenzen ftatt. Ende 1519 ift Tr. geftorben.
mittelbar vor dem Auftreten des Johannes Hus. Sehr Die fchriftftellerifche Thätigkeit Trutf. ift ausfchliefs-
wichtig ift der Bericht des Paffauer Anonymus, wie Preger [ lieh philofophifchen Fächern gewidmet und unter ihnen
ihn nennt, (Befindlich in dem angeführten gröfseren Werke, ganz überwiegend der Logik und Dialektik, für welche er,
von Preger als 3. Beilage mitgetheilt) über die Urfachen, ein Anhänger der in Erfurt überhaupt zur Herrfchaft ge-
warum fo viele von der Kirche abfallen. Unter anderem langten ,Modernen', einen unermüdlichen, von grofser
wird da angeführt, dafs der Papft in übermäfsiger Weife Belcfenheit unterftützten Fleifs entfaltete. Mit Recht findet
erhoben werde, dafs man fage, er fei ein Gott auf Erden, | es PI. auffallend, dafs Tr., der in der Vorrede zu feinem
er könne nicht fündigen, der römifche Stuhl könne nicht | logifchen Hauptwerke [Siimmule lotius logice etc.) eine
in Irrthum gerathen u. f. w. I ganze Armee von ihm benutzter Schriftfteller aufmar-
-- I fchiren läfst, Johann's von Wefel gar nicht gedenkt,

*) In diefer Form kommt der Name im genannten Schriftftücke vor,
wozu der Name Waldefier für deffen Anhänger nicht zu paffen fcheint;
richtiger wäre es, fie WaldtsUxm zu nennen, welcher Name in unferem
Schriftftück auch vorkommt. Was den Namen WalJesius für den Stifter der
Secte betrifft, fo lautete er im gewöhnlichen Leben wahrfcheinlichWaldez.

während Luther in der bekannten Stelle feiner Schrift
von den Conciliis und Kirchen (1539) nicht nur fagt, dafs
Johannes Wefalia zuvor (ehe er Prediger in Mainz geworden
) zu Erfurt die Schule mit feinen Büchern regiert,