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Ausgabe:

1876 Nr. 9

Spalte:

241-244

Autor/Hrsg.:

Preger, Wilh.

Titel/Untertitel:

Beiträge zur Geschichte der Waldesier im Mittelalter 1876

Rezensent:

Herzog, Johann Jakob

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Theologifche Literaturzeitung. 1876. Nr. 9.

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von Cochläus bei ihm, und ganz befonders ftützt er fich
auf die frühere Schmähfchrift von Döllinger über die
Reformation. Es würde zu weit führen, wenn ich hier
einige Stellen ausheben wollte, um zu zeigen, wie der
Verfaffer die Reformation und die evang. Kirche mifs-
verftanden und karikirt hat. Jeder Lefer wird deren zur
Genüge finden. Man fchlage nur z. B. auf: S. 441 f.,
447, 460, 471—72, 477 u. f. w. 4

Das vorliegende für katholifche Studirende der Theologie
beftimmte Lehrbuch der Kirchengefchichte ift ein
folches, welches dem Lefer über das gegenwärtig Wich-
tigfte in der römifchen Kirche, die Entwicklung der
Hierarchie und befonders des unfehlbaren Papdthumes
zu keinem klaren Urtheil verhilft, denn es meidet gerade
da Klarheit und Offenheit, und welches ihn in Bezug
auf die evangelifche Kirche gründlich in die Irre führt.

Erlangen. Dr. Plitt.

Preger, Will)., Beiträge zur Geschichte der Waldesier im

Mittelalter. [Aus: Abhandlungen d. k. b. Akad. d.
Wiss.'J München 1875, Franz. (72 S. gr. 4.) M. 2. 70.

Der Verfaffer diefer Schrift geht davon aus, dafs die
Waldenser unter den Secten des Mittelalters eine hervorragende
Stelle einnehmen. ,Sie haben', fagt er, ,An-
fchauungen, welche nachmals im löten Jahrhundert in
einem grofsen Theile Europa's die Herrfchaft erlangten,
fchon zu einer Zeit vertreten, in welcher die römifche
Kirche in ungefchwächtem Anfehen und auf der Höhe ihrer
Macht (fand. Sie haben auf gebrechlichem Fahrzeuge
mit fcheinbar geringen Mitteln die ftärkften Stürme be-
ftanden, welche Rom gegen fie entfeffelte. Noch heute
bilden fie in den romanifchen Ländern ein zwar schwaches
aber immerhin rcformatorifchcs Element'. Wir dürfen 1
hiezu bemerken, dafs diefes Element als ein nicht gar zu
fchwaches fich darlfellt, wenn wir bedenken, dafs die
Waldenfer fchon feit Jahrhunderten, was fie noch Katholisches
an fich hatten, abgeftreift haben und in die |
grofse proteftantifche Familie eingetreten find, dafs fie
aufserdem, feit Einführung der Religionsfreiheit, aufser-
halb ihrer Thäler durch das ganze Königreich Italien,
Rom nicht ausgenommen, bis nach Sicilien fich ausge- !
dehnt haben und bereits in vierzig Gemeinden, zehn ;
Miffionsftationen und fünfzig fonft befuchten Plätzen 1
102 Prediger, Evangeliften, Lehrer und Colporteure be-
fchäftigen. Sie haben bald ihr Augenmerk auch auf
Schulen gerichtet, deren es bereits eine erfreuliche Anzahl
giebt, worin Kinder katholifcher fowohl als evangelifcher
Eltern Unterricht empfangen. Dazu kommt eine feit
einigen Jahren in Elorenz geftiftete theologifche Schule,
woraus fchon eine flattlichc Reihe von Dienern des Wortes
hervorgegangen ift. Ueberdies wird in mehreren Zeit-
fchriften, theils populär-erbaulichen, theils theologifchen
Inhalts die Sache des Evangeliums von den Waldenfern
nicht ohne Erfolg vertreten. S. die in Stuttgart erfchei-
nenden ,Nachrichten über die Ausbreitung des Evangeliums
in Italien'. Dasfelbe Thema hatten früher Leopold
Witte undNitzfch in eigenen kleinen Schriften behandelt.

Die proteftantifche Gefchichtsforfchung hat, wie fich's
gebührte, von Anfang an die Gefchichte der Waldenfer
in den Kreis ihrer Arbeiten aufgenommen. Dabei hat
fich freilich in der neueften Zeit herausgeftellt, dafs die
befonders feit dem 16. Jahrhundert aufgekommene und
von den Waldenfern eifrig vertretene Anficht vom hohen
Alter der Secte, das weit über Waldo hinaufreichen fpll,
in keiner Weife haltbar ift. Es hat fich gezeigt, dafs die
waldenfifche Literatur, welche als Beweis galt für das
hohe Alter der Secte, weit jüngeren Datums ift als man
geglaubt hat, dafs kein Stück derfelben über das Jahr 1400
hinaufreichen möchte. Hiebei gründet fich der Verfaffer vorliegender
Schrift auf die Refultate der Forfchungen Di eck-

hoff's u. des Unterzeichneten. Seit der Wiederauffindung
der Morland'fchen Manuscriptenfaminlung in Cambridge
fteht näfnlich feft, dafs die nobla leiezon die Jahrzahl 1400,
nicht 1100 trägt. Man hat allerdings in der Sprache
diefes Gedichts einen Grund für deffen höheres Alter
finden wollen, indem man fagte, dafs car ftatt que in der
provencalifchen Sprache nur in Schriftftücken üblich fei,
die vor 1400 verfafst worden; da nun in der nobla leiezon
jener Gebrauch von car vorkomme, fo ergebe fich
daraus ein höheres Alter derfelben. Allein diefe Beweisführung
ift hinfällig; denn im Dubliner Text des Wal-
denfifchen Katechismus wird an mehreren Stellen car
ftatt que gebraucht; welcher Katechismus ganz gewifs
früheftens den letzten Jahren des 15. Jahrhunderts angehört
. S. meine Schrift über die romanifchen Waldenfer
S. 324. 438. und v. Zezfchwitz, die Katechismen der Waldenfer
und böhmifchen Brüder. 1863. Auf der anderen
Seite, da die Jahrzahl 140x3 für die nobla leiezon feft fteht,
folgt fchon daraus, dafs man nicht fagen kann, car im
Sinne von que komme nur in Schriftftücken vor, die vor
dem J. 1400 verfafst worden. Ueberhaupt geht es nicht
an, das waldenfifche Sprachidiom als identifeh zu faffen
mit der provencalifchen Sprache.

Da wir alfo bei dem Mangel an fiebern Zeugnifsen
aus dem Krcife der alten Waldenfer, was die Erforfchung
der älteften Geftalt der Secte betrifft, lediglich an die
katholifchen Quellen gewiefen find, deren Angaben fich
zum Theil widerfprechen und uns über manche wichtige
Dinge im Dunkeln laffen, erhielt ein bisher unbekanntes
Schriftltück, ein Sendfehreiben der mit den Waldenfern
von Lyon verbrüderten italifchen Armen (in der Lombardei)
über ihre bis jetzt unbekannten inneren Streitigkeiten mit
den Waldenfern von Lyon, aus der erften Hälfte des
13. Jahrhunderts flammend, eine um fo höhere Bedeutung
. Der Verfaffer bezeichnet das Schreiben als die
werthvollfte Quelle, die wir bis jetzt über die früheren
Zeiten der Secte befitzen. In der That gewährt es einen
Einblick in das innere Leben derfelben, wie man ihn,
was diefe Zeit betrifft, fonft nirgends bekommt. Er macht
es daher zur Grundlage für feine Erörterungen und
theilt es in extenso in den Beilagen mit: eine überaus
willkommene Gabe aus den reichen Schätzen der Münchner
Staatsbibliothek. Das genannte Sendfehreiben befindet
fich in einem gröfseren Werke, welches im Jahre
1260 verfafst ift und von den Juden, Heiden u. Ketzern
handelt. Mitteilt diefes Werkes, das die Münchner Staatsbibliothek
in drei Handfchriften befitzt, ift es dem Verfaffer
vor allem möglich geworden, über die von Gretfer
herausgegebene Summa des Raincrius, de Catharis et
Leonistis (J/axima bibliotlieca. veterum patrum Tom. XXV.
Lugd. 1677 f. 262 sqq.), die Giefelcr, weil ihr viele un-
ächte Zufätze angehängt find, als Pseudorainerius bezeichnet
hatte, das rechte Licht aufzudecken. (S. Giefeler,
Kirchengefchichte 2. Bd., 2. Abtheilung S. 613, und des-
felben Coinmentalio critica de Rainerii Sacchoni Summa
de Catharis et Leonis tis. 1834).

Das Schriftdück führt den Titel: Reseriptum here-
siareharum Lombardie ad pauperes de Lugduno, qui sunt
in Alamania; es id im Namen der italifchen Armen von
zehn ihrer Vertreter an ihre Brüder und Freunde* jenfeits
der Alpen gerichtet (dilectis in Christo fratribus ac soro-
ribus amicis et amicabus trans alpes pie degentibus). Es
berichtet über einen Convent bei Bergamo, der im Mai
1218 zwifchen fechs Abgeordneten der italifchen Armen
u. eben fo vielen der Waldenfer datt gefunden hatte und
auf welchem die Streitigkeiten zwifchen den beiden verbündeten
Societäten beigelegt werden follten. Der Verfasser
wird durch mehrere Indicien^ darauf geführt, dafs das
Schreiben ungefähr in die Zeit des Jahres 1230 zu
fetzen id.

Die Ausbeute aus diefem Schriftdück, wozu noch
andere in demfelbcn Werke enthaltene hinzukommen, id
i allerdings von Bedeutung. Nicht nur wird aufser allen