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Ausgabe:

1876 Nr. 1

Spalte:

5-10

Autor/Hrsg.:

Bleek, Frdr.

Titel/Untertitel:

Einleitung in das Neue Testament. 3. Aufl., besorgt von Wilh. Mangold 1876

Rezensent:

Weiß, Bernhard

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Theologifche Literaturzeitung. 1876. Nr. 1.

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Bleek. Frdr., Einleitung in das Neue Testament. A. u. d.

T.: Einleitung in die heilige Schrift von Friedrich
Bleek. 2. Thl. Einleitung in das Neue Teflament.
3. Aufl., beforgt von Dr. Wilh. Mangold, Profeffor
der Theologie an der Univerfität zu Bonn. Berlin 1875.
G. Reimer. (XII, 924 S. gr. 8.) M. 13. 50.

Wenn man das ebenfo befonnene als pietätsvolle
Vorwort des Herausgebers diefer dritten Auflage der
Bleek'fchen Einleitung ins Neue Teflament gelefen hat,
fühlt fleh die Kritik in dem Hauptpunkte, um welchen
fie mit demfelben rechten möchte, fo ziemlich entwaffnet
. In der That gehört Referent zu denen, welche ge-
wünfeht hätten, man liefse den alten Bleek, wie er ift.
Dafs derfelbe bei all feinen unbeflreitbaren Vorzügen
und unvergänglichen Verdienften mit dem Fortgange der
wiffenfehaftlichen Bewegung an practifcher Brauchbarkeit
verliert und der Ergänzung durch das Studium neuerer
Arbeiten bedarf,.liegt in der Natur der Sache; aber
felbft feine Vervollfländigung durch ein ganz objectives
Referat über die neueren Forfchungcn, zu denen eben
Bleek in feinen Ausführungen nicht mehr hat Stellung
nehmen können, bringt ein fremdartiges Element in das
Buch hinein. Nur in dem gewifs kaum denkbaren Fall,
dafs ein entfchloffener Schüler Bleek's alle feine Reful-
tate der neueren Wiffenfchaft gegenüber vertreten wollte,
würde eine Darflellung der letzteren fleh in Wahrheit
dem Buche amalgamiren laffen. Ein folcher ift nun eben
Mangold nicht, er weicht in wefentlichen und für die
ganze Bleek'fche Kritik durchaus characteriftifchen Punkten
, wie in der fynoptifchen und in der Johannesfrage,
entfehieden von Bleek ab, und wenn er nun trotzdem
aus fubjectiven Gründen (die wir, aufrichtig gefagt, nicht
recht einleuchtend finden, weil eine Seite des Vorworts
reichlich genügt hätte, um feine Stellung den Refultaten
Bleek's gegenüber foweit zu characteriflren, als die
,Mannespflicht, feine Anflehten nicht zu verbergen' es
forderte) meinte, feine eigne Stellung gegenüber den kri-
tifchen Fragen überall deutlich kennzeichnen zu müffen,
fo war damit der leider uns fchon aus andern Neuausgaben
bekannte Uebelfland gegeben, dafs man nun in
dem eignen Buch des Verfaffers, der fleh nicht mehr ver-
theidigen kann, feine Anflehten beftreiten, feine Beweisgründe
bemängeln, feine Darftellungen kritifiren hört,
was immer einen peinlichen Eindruck macht, zumal and-
rerfeits die Nothwendigkeit, den alten Bleek zu erhalten,
den Herausgeber hinderte, grade die formellen Mängel
des Buchs, die neben den neuen Zufätzen und Fortführungen
nur greller hervortreten, zu verbeffern und nach
diefer Seite hin das Buch lesbarer und brauchbarer zu
machen. Doch, wie gefagt, das Vorwort zeigt zur Genüge
, wie der Herausgeber felbft die Schwierigkeit und
Mifslichkeit feiner Aufgabe gefühlt, und wenn er trotzdem
aus den ehrenwertheften Rückflehten diefe mühevolle
und in gewiffem Sinne undankbare Arbeit unternommen
, während er, wie feine Leiftung am beften
zeigt, nicht nur ,in derfelben Zeit', fondern auch mit
derfelben Ausrüftung und demfelben Erfolge eine eigne
Einleitung fchreiben könnte, fo ift es kaum mehr möglich
, mit ihm darüber zu rechten, dafs er fleh der fchwe-
reren Aufgabe unterzog, auch wenn wir für beide Theile
gewünfeht hätten, er hätte die andre gewählt.

Wie befähigt er dazu war, zeigen gleich in den
,Vorbemerkungen' die von ihm eingefchalteten 14
und 15, welche die Entwicklung der Neuteftamentlichen
Kritik feit Baur fo lichtvoll und objectiv fchildern, dafs
wir fie gradezu für eine der trefflichften Zugaben von
feiner Han d erklären müffen. Diefes kritifche Referat
über ihre Behandlung feit Bleek fetzt fleh nun bei den
einzelnen Problemen der Einleitung fort und mufs fofort
ein fehr umfangreiches und eindringendes werden bei
der Frage nach der Echtheit des vierten Evangeliums,

wo ebenfalls der ^ 63 eine völlig neue Geftalt und erheblichen
Umfang gewonnnen hat. Aber nicht nur hier
erhalten wir eine umfaffende Darfteilung der verfchiede-
nen neueren kritifchen Auffaffungen des Evangeliums,
fondern bei allen einzelnen Punkten, um die fleh die
Discuffion bei Bleek dreht, giebt der Herausgeber ein
Refume über die neueren Befprechungen derfelben, wobei
er dann fchliefslich feine,Stellung zu den meiften
Einzelfragen andeutet. Zwar ift er befonnen genug, die
Beziehung des Evangeliums auf die valentinianifche Gno-
fis, etwa im Sinne Hilgenfelds, zu leugnen und die neuere
Beftreitung des epheflnifchen Aufenthalts des Johannes
trotz allem Pathos, mit dem fie Keim führt, zurückzu-
weifen, aber im Allgemeinen fcheint es doch vorzugs-
weife Keim zu fein, der ihn durch feine Ausführungen
auf die Seite der Gegner der Echtheit gebracht hat.
Trotzdem, ja vielleicht grade deswegen, und trotz aller
Retractionen, die er auch bei den Ausführungen Bleek's
über die äufseren Zeugniffe anbringen mufs, fchliefst der
Herausgeber doch damit, dafs diefe kaum weniger ftark
find, als die der fynoptifchen Evangelien und das Johannesevangelium
ausreichend beglaubigen würden, wenn nicht
die inneren Gründe der Annahme feiner Echtheit, wie
es ihm we n igft ens bis jetzt noch f c hei ne n
wolle, unüberwindliche Schwierigkeiten entgegenfetzten.
Diefes, gleich allen übrigen Aeufserungen, in denen feine
Anfleht hervortritt, ebenfo befonnene als zurückhaltende
Endurtheil zeigt denn freilich am beften, wie eben in
der heutigen Lage der wiffenfehaftlichen Debatte fleh die
Erledigung derfelben gar nicht an die einzelnen Pofiti-
onen der Bleek'fchen Apologie anfchliefsen läfst. Die
! Diskuffion über die äufseren Zeugniffe und manche kritifchen
Detailfragen ift wirklich fo gut wie erfchöpft und
die ganze Apologie des Evangeliums mufs heutzutage
in einem andern Stil geführt werden, als fie noch Bleek
führte. Aber eben darum ift auch die Frage damit nicht
entfehieden, wenn fleh die einzelnen Aufftellungen Bleek's
hie und da bemängeln und feine Beweisgründe als unzureichend
erweifen laffen.

Noch gröfsere Schwierigkeiten flehten fleh dem Herausgeber
bei der Unterfuchung über die Synoptiker entgegen
, deren fchwerfällige Anlage bei Bleek ebenfo bekannt
ift, wie die Reviflonsbedürftigkeit feiner Refultate
nach den neueren Detailunterfuchungen. Hier hat er
fleh denn auch begnügen müffen, zu dem Bleek'fchen
Texte ganz vereinzelte Anmerkungen hinzuzufügen und
alles Uebrige einem ausführlichen Nachtragsparagraphen
vorzubehalten, wobei natürlich doch nicht alle Wiederholungen
vermieden werden konnten. Dafs Mangold
in jenen unter anderm eine fo überaus fragliche Hypo-
thefe, wie die von der Aufnahme einer ,kleinen juden-
chriftlichen Apokalypfe' in die eschatologifchen Reden
ohne weiteres als thatfächliche Berichtigung der Bleek'fchen
Ausführungen über Mth. 24, 15 giebt, fcheint mir
feiner fonftigen Befönnenheit nicht ganz zu entfprechen,
und auch der neue $ 112 will mir, felbft feiner Faffung
der ihm geftellten Aufgabe gegenüber, nicht recht genügen
. Zwar dafs er der Bleek'fchen Darftellung der
Griesbach'fchen Hypothefe die wichtigften Einwendungen,
welche neuerdings dagegen erhoben find, gegenüber-
ftellte und dabei auch die neue Wendung, welche die-
felbe in der fogenannten Tendenzkritik erhält, eingehend
berückflehtigte, kann ich nur billigen, obwohl diefe Ausführungen
zufammen mit der Darfteilung der neueren
Urmarcushypothefen ihre natürlichere Stellung gleich
nach $ 97 fanden, wie das Referat über die verfchiede-
nen Raffungen der zweiten fynoptifchen Hauptquelle,
nenne man fie nun Logia oder Urmatthäus, fleh paffend
nach § 104 einreihte. Ueber diefen wichtigen Punkt
geht aber Mangold m. E. überhaupt viel zu kurz hinweg;
ftatt deffen giebt er im Wefentlichen auf Grund von
Holtzmann eine Darfteilung der Urmarcushypothefe, und
der aus ihr fleh ergebenden Data für die Gefchichte