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Ausgabe:

1876 Nr. 9

Spalte:

228-230

Autor/Hrsg.:

Bunsen, Ernst v.

Titel/Untertitel:

Biblische Gleichzeitigkeiten oder übereinstimmende Zeitrechnung bei Babyloniern, Assyrern, Aegyptern und Hebräern 1876

Rezensent:

Kamphausen, Adolf

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Theologifche Literaturzeitung. 1876. Nr. 9.

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haupt muffen wir die geringe Benutzung der einfchlägigen wiffcn Grad von kanonifchcr Autorität erlangt hatte! So
holländifchen Literatur, fowie des 5. und 6. Theiles des Co- ! bildet auch der ausführliche Nachweis unfcres Verfaffers,
lenfo'fchen Pentateuchwerkes als eine empfindliche Lücke j dafs Propheten und Gcfchichtfchreiber höchftens die jah-
bezeichnen.) Dann zeigt unfer Verf. das Gleiche von dem i viftifche Urgefchichte kennen, keine Inftanz zu Gunftcn
gefetzlichen Inhalte. Die Berührungen betreffen hier haupt- 1 feiner Thefe. In dem Augenblicke, da aber ein als Prie-
fächlich Einzelnes aus Lev. 19, eine fraglos ältere Samm- j fter erzogener Mann zugleich als Prophet auftritt (denn
lung. Am meiften Uebereinftimmung zeigt das Gefetz Jeremias ift dahin nicht zu rechnen, weil er aus der länd-
über reine und unreine Thiere (Lev. 11 und Deuter. 14, j liehen, nicht ftädtifchen Priefterfchaft flammte und weil
3—20), allein ich glaube, dafs fich noch ungleich be- j er bereits als Prophet auftrat, bevor er als Pricfter hatte
ftimmter im Einzelnen nachweifen läfst, dafs beiden Ver- i thätig fein können), gewahren wir die Benutzung jener
faffern ein ausführlicheres Gefetz vorgelegen habe, aus ! priefterlichen Urgefchichte in fehr beträchtlichem Um-
welchem jeder in felbftändigcr Weife Auszüge giebt. Am I fange — bei Ezechiel. So dankenswerth auch die Nach-

fchwerften fällt in die Wagfchale, dafs die Grundfchrift
wie der Deuter, auf Centralifation des Opfercultus dringen
und dafs gleichwohl Beide fich hierin nirgend berühren,
dafs ferner auf Stiftshütte und ausfchliefsliches Priefter-
recht der Aharoniden niemals vom Deuter, auch nur
angefpielt wird. Diefen Inftanzen gegenüber wird die
ältere Anficht, dafs der Deuteronomiker den Tetrateuch
lediglich in der Verfchmelzung der Grundfchrift mit dem
Jahviften gekannt habe, fich nicht halten laffen. Mehrere
der flüchtigen Notizen (wie die Lade von Sittimholz 10,
3, Eleafar als Nachfolger Aarons 10, 6 u. ähnl.) finden in
der Tradition oder in redactionellen Einbehaltungen ihre
erklärliche Quelle, und warum z. B. dem Deuter, das Gefetz
über die Afylftädte nur in den heutigen Zufammen-
hängen (Num. 35) vorgelegen haben folle, ift auch nicht
abzufehen. Solche Inftanzen find freilich erwägungswerth,
allein nur zu leicht überficht man die viel gewichtigeren
Momente, welche gegen eine Benutzung der Grundfchrift
fprechen.

Gefetzt alfo (doch ohne hier entfeheiden zu wollen),
die Thefe des Verfaffers fei richtig, dafs der Deuter, die
,Grundfchrift' nicht ,gekannt' habe, fo fragt fich doch
fehr, ob fein Schlufs auf die Nichtexiftenz derfelben im
7. Jahrhundert auch wirklich fich halten laffe. Es befremdet
faft, dafs die Gegner Grafs gerade hierauf nicht
eingegangen find. Es fehimmert hier nämlich die altorthodoxe
Meinung durch, dafs jedes der uns erhaltenen
Bücher fofort kanonifche Dignität erhalten habe und dafs
jeder fpätere Autor gerade diefe Schriften genau gekannt
haben müffe. Dafs beide Poftulate gänzlich unhaltbar und
unbeweisbar feien, das bezeugt doch unfere ganze bisherige
Kritik. Schon die Erzählung von der Auffindung
des ,Gesetzbuches' 2 Kön. 22 ift jener Anfchauung höchft
ungünftig. Dafs urfprünglich alle Werke, die wir übrig
haben, rein privaten Charakter hatten, fteht heute doch
wohl fett. Den Umfang ihrer Verbreitung, namentlich
gröfserer Schriften, haben wir uns nicht klein genug zu
denken. Der einzige Ort, an welchem eine lebhaftere Cir-
culation von Schriften ftattgefunden haben mufs, waren
jene Kreife, in denen fich die Propheten bildeten. Eben
deshalb waren diefe Schriften auch nahezu ausfchliefslich
prophetifchen Charakters. Die Gefchichtc zeigt klar genug
, wie wenig nahe Berührung zwifchen den prophetifchen
und priefterlichen Kreifen ftattfand. Ein Buch,
welches hier entftand, vollends recht eigentlich für Priester
berechnet, hatte wenig Ausficht in die prophetifchen
Kreife zu dringen, noch weniger, dort für eine Autorität
zu gelten oder gar reproducirt zu werden. So lange es
Propheten gab, bildete nichts Gcfchriebenes, fondern das
lebendige Prophetenwort die höchfte Autorität. Aus die-
fem Sachverhalt folgt aber mit Nothwendigkeit, dafs aus
dem Nichtgebrauch eines priefterlichen Buches durch pro

weife find, die Graf und Kayfer von den Berührungen
zwifchen Pentateuch und dem Buche Ezechiel's gegeben
haben, fo wenig fcheint uns die Frage gelöft zu fein, auf
welcher Seite hier die Abhängigkeit liege. — Ein zweiter
Irrthum, der die Schlufsfolgerungen von Graf und Kayfer
in hohem Grade trübt, liegt in der Anfchauung von ,Ge-
fetzen', gleichfalls ein orthodoxer Reft. Die Nichtbefol-
gung der ,Gefetze', wie fie in jener Priefterfchrift ftanden,
läfst keinen Schlufs zu auf ihre Nichtexiftenz. In bedenklichem
Anachronismus betrachtet man die blofse Nieder-
fchrift von ,Gefetzen' als gleichbedeutend mit öffentlicher
Promulgation durch die Könige oder die berufene Executive
, wofür doch eben gar nichts fpricht, fehr vieles
dagegen. Die Propheten betrachten ferner gleichfalls als
Norm der Frömmigkeit die Befolgung der göttlichen
,Weifung' (tora) aus Prophetenmund. -— Noch viel un-
günftiger für die Thefe als diefe literarifchen Momente
find die rechts- und cultusgefchichtlichen; von ihnen hängt
auch die Entfcheidung ab. — Die Förderung, welche wir
daher dem zweiten Theile der vorliegenden Schrift verdanken
, wird im Wefentlichen dahin gehen, dafs die
Hauptpunkte der Controverfe ungleich heller ins Licht
treten als bisher, und auch das gilt in der Wiffenfchaft
als erfreulicher Fortfehritt, der aber auch zeigt, wie viel
hier noch zu thun übrig ift.

Tübingen. L. Dieftel.

Bunsen, Ernft v., Biblische Gleichzeitigkeiten oder über-
einftimmende Zeitrechnung bei Babyloniern, Affyrcrn,
Aegyptern undHebräern. Berlin 1875, Mitfcher&Röftell.
(III, 144 S. m. 2 Tabellen in Fol. gr. 8.) M. 3. 60.

Der Verfaffer, offenbar ein fehr wohlmeinender Mann,
ift feit längerer Zeit fchriftftellerifch aufserordentlich thätig,
fowohl in englifcher als auch in deutfeher Sprache. Seine
zu London 1874 erfchienene Clironology of the Bible
erfreute fich einer Vorrede von A. H. Sayce und wird
fich inhaltlich mit dem mir zur Beurtheilung vorliegenden
Buche vielfach decken, fo dafs ich auf Eb. Schrader's
Anzeige in der Jenaer Lit.-Ztg. 1874, S.778 und wegen der
irrigen Annahme von Mitkönigen in den Reichen Ifrael
und Juda auf meine gegen H. Brandes gerichteten Bemerkungen
in H. von Sybel's Hift. Zeitfchrift (1875,
II, S. 391 ff.) verweifen kann. Auch in diefem Buche
benutzt E. v. B. einzelne Mittheilungen wirklicher Gelehrter
, denen er für Rath und Hülfe feinen Dank aus-
fpricht, z. B. G. Smith und Dr. Birch; es ift auch ab-
gefehen von folcher Hülfe klar, dafs in einer Schrift von
144 Seiten und auf den beiden angehängten Zeittafeln
nicht Alles falfch fein kann. Dennoch mufs ich, wie
theuer mir auch der Name des feiigen Bunfen als der
phetifche Schriftftellcr auf feine Nichtexiftenz nicht zu '; eines bedeutenden Gelehrten ift, vor diefem Träger des

fchliefscn ift. Merkwürdiger Weife überfieht der Verf., wie
jene Schlufsfolgerung feine eigene Anficht am härteften
trifft. Nach dem Exile foll eine Schrift entftanden fein,
welche weder auf die jahviftifche Urgefchichte noch auf
das Deuteronomium die gcringfte Rückficht nimmt, weder

edeln Namens als vor einem blofsen Dilettanten, der
von wiffenfehaftlicher Methode und hiftorifcher Kritik
thatfächlich keine Ahnung hat, den Lefer pflichtfchuldig
warnen. Auf S. 99 findet fich wieder die berühmte
(Ueber ,Das Evangelium des Reiches' von Chriftianus

beftätigend noch ablehnend, obgleich fie denfelben Stoff vgl. Schenkel's Zeitfchrift 1860. Heft 5, S. 51 ff. und
darftcllt. Und das ift um fo unbegreiflicher, als zu jener Matthes'Kirchliche Chronik über 1860, S. 45) Behand-
Zeit bereits das Deuteronomium nachweislich einen ge- | lung von Joh. 8, 57, welche aus den Worten der Juden: