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Ausgabe:

1876 Nr. 8

Spalte:

217-221

Autor/Hrsg.:

Nebe, August

Titel/Untertitel:

Die evangelischen und epistolischen Pericopen des Kirchenjahres wissenschaftlich und erbaulich ausgelegt. 6 Bde 1876

Rezensent:

Stöckicht, W.

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Theologifche Literaturzeitung. 1876. Nr. 8.

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und fo energifch ftrebende Perfönlichkeiten, wie den be-
rühmten Jenaer Zoologen, von Haus aus antipathifch find.
Indefs verwandelte fich dies Mifstrauen in die lcbhaftefte
Sympathie jedenfalls für die fachlichen und metho-
dologifchen Grundgedanken der Brofchüre, welche er
keinen Anftand nimmt, als eine der vernünftigften und
achtungswerthcften Stimmen aus dem naturwiffenfchaft-
lichcn Lager allen Freunden achter, unentwegter Wiffen-
fchaft angelegentlich zu empfehlen. Wie ihr treffenderer
Nebentitel andeutet, hat fie eigentlich zum Motto das in
unteren Tagen fo vielgeftrcMiteDiftichon überNaturforfcher
undTranscendentalphilofoph.cn: ,Feindfchaft fei zwi-
fchen Fluch, noch kommt das Bünd nifs zu frühe. Wenn
Ihr imSuchenEuch trennt, wird erftdieWahrheit erkannt'.

Zuerft nämlich beantwortet der Verf. in fehr in-
ftruetiver Weife die Frage, ob, oder befpricht vielmehr
die Thatfache, dafs die Zoologie in den letzten Jahrzehnten
nach langer Verpuppung einen rapiden Auf-
fchwung genommen und weitefttragenden Einflufs erlangt
habe. Der Grund davon ift vornehmlich in Darwin's grofser
That zu fehen, welcher endlich die Cuvicr'fche Typentheorie
als alten Bann brach und damit der Forfchung
die ausgedchntefte Eroberungsperfpective eröffnete.
Allein bei der damit gegebenen Gebietserweiterung und
Annectirung fremder, fpecicll theologifcher und philofo-
phifcher Domänen wiederholte fich fozufagen das alte
Wort: Graecia capto, ferum victorem cepit ei artes intulit
agresti Latio. Die fchlimmen artes find in diefem F"all
nach Semper, dafs die Zoologie in der Hypersthenofe
ihres modernen Kraftgefühls fich vielfach verleiten läfst,
den ebenfo entbehrlichen, als für fie felbft nur verderblichen
Sprung in das ,phantaftifche Formelgcbiet des
Dogmatismus, des religiöfen Gefühls, der Theologie oder
Metaphyfik' zu thun. So wenig wir nun diefe gering-
fchätzige Werthbeftimmung jener idealen oder Geiftes-
wiffenfehaften für richtig halten, verzeihen wir fie doch
in ihrer nur gelegentlichen Anftreifung dem Naturforfcher
gerne um der nüchternen Strenge willen, mit welcher
er dafür auch feine Fachgenoffen auf ihr Feld und ihre
Methode confignirt, wo fie etwas verftchen. Denn un-
fere fchlimmften Feinde find ja doch fchliefslich die
dilettantifchen Laienbrüder in Theologie, Religionswif-
fenfehaft und l'hilofophic. Und eben gegen dies min-
deftens vorzeitige Bündnifs von ,Philofophie und gährender
Naturwiffcnfchaft', das Straufsens neuer Glaube zu inau-
guriren fuchtc, richtet der Verf. feine fchärffte Polemik.
Die Zoologie foll, wie jede Naturwiffcnfchaft, induetiv
bleiben, ftatt deduetiv und fpeculativ zu werden, fomit
auch gewiffe Principienfragen, wie die Fmtftehung
des Lebens oder das innerfte Wefen der Seele, ganz aus
ihrem Spiel laffen. Sie mag mit II y pothefen als Salz
der Forfchung operiren, aber fich dabei wohl hüten, die-
felben vor der (oft gar nicht möglichen) Conftatirung
unter der mit dem iicher Feftgcftcllten gemeinfamen
Fitikcttc ,exacter Forfchungsrefultate' vor das grofse,
Beifall klatfehende Publikum zu bringen. Und wenn fie
nebenher in des Menfchen Naturanlage zur Metaphyfik
fpeculiren mufs, fo halte fie wenigftens ftreng auf getrennte
Buchführung. In all diefen Beziehungen glaubt
Semper, der Hacckel'fchen Zoologie die fchwerften Vorwürfe
machen zu müffen, was wir als fpecielle Fachfra-
gen hier auf fich beruhen laffen mögen.
Kiel. E. Pfleiderer.

Nebe, Prof. Pfr. Dr. A. Die evangelischen und epistolischen
Pericopen des Kirchenjahres wiffenfehaftlich und erbaulich
ausgelegt. 6 Bde. [Bd. 1—3 in 2. Aufl.] —
Wiesbaden 1875, Niedner. (XXIII, 3121 S. gr. 8.)
M. 42. — ; geb. M. 50. —
Diefes Werk, eine Zierde der deutfehen Theologie

als eine auf umfaffenden hiftorifchen und exegetifchen

Studien ruhende, forgfältige, gründlich durchgeführte, dem
practifchen Geiftlichen vornehmlich dienende Arbeit

j .eines ebenfo gelehrten wie im Predigtamt geübten und
in der Vorbildung der Candidaten zum geiftlichen Amt
bewährten Theologen ift nun, feitdem der 1. Band 1869
erfchien, in 6 Bänden vollendet, und für die günftige
Aufnahme desfelben zeugt der Umftand, dafs die 3 erften
Bände über die Evangelien des Kirchenjahres (die 3 letzten
behandeln die Epifteln) bereits voriges Jahr in 2. Auflage
erfchienen. Im 1. Bande, welcher die Auslegung
der Evangelien vom 1. Advent bis 6. p. Epipk. enthält,

! fteht eine ausführliche Einleitung von 108 Seiten voran,
deren 1. Capitel über die Entftehung des evange-
lifchen Pericopenfyftems kurz gedrängt referirt,
was darüber hiftorifch feftfteht, wobei Verf. feine von
Kurz, Nitzfeh u. A. abweichenden Auffaffungen motivirt,
im Nachweis des allmäligen Zuftandekommens unffer
Pericopenordnung die Forfchungen Neander's ergänzt,
darnach im 2. Cap. die Idee des Kirchenjahrs ex-
plicirt. ,Was ift nun das Jahr? Es ift ein Stück Natur-
gefchichte, ein Abfchnitt, nicht ein willkürlich gemachter
noch ein künftlich erft herausgefchnittener, fondern ein
naturwüchsiger Abfchnitt des Naturlebens. Es giebt keine
todte Natur. Der Odem des lebendigen Gottes, welchem
fie ihr Dafein verdankt, weht lebensfrifch in ihr. Sie,
die im Anfang gewordene, ift in einem ewigen (? nicht
richtiger: .fortgefetzten'?) Werden, in einem fortlaufenden
Proceffe begriffen. Mit diefem fich entwickelnden,
fort und fort proceffirenden Jahre, diefem gefchichtlichen
Momente hat die Kirche einen ewigen (foll wohl heifsen:
innigen) Bund aufgerichtet, fie hat fich dergeftalt mit ihm
vereint, dafs aus dem beiderfeitigen Zufammentritt ein
Neues geworden ift. — Die Gnade, davon find wir überzeugt
, ift gefchichtlich, ift zeitlich; fie kann alfo ungezwungen
mit dem Jahre fich vereinen zu einem Ganzen,
zu einem Kirchenjahre'. — In demfelben kommt das
Ganze des Erlöfungswerkes zur Anfchauung und Darfteilung
im Cultus, es ift ,die in den Rahmen eines Jahres
concentrirte Erlöfung.sgefchichte'. 1 linfichtlich der Ein-
theilung fetzt fich der Verf. mit Lisco, Löhe, Kliefoth
u. A. kritifch aus einander und behält die Unterfcheidung
von feftlicher und feftlofer Flälfte nur infoweit bei, als
die erftere, mit dem Trinitatisfeft fchliefsend, den gefchichtlichen
fleilsgrund darfteilt, die letztere die fubjec-
tive Heilsaneignung. Ein 3. Cap. über den Werth des
Pericopenfyftems weift die wechfelnde Haltung der
lutherifchen und reformirten Kirche nach im Gegenfatz
zur Behauptung J. G. Wälch's, die lutherifche fei für, die
reformirte gegen den Pericopenzwang, und ftatuirt den
Segen des Anfchluffes an's Syftem für Paftoren und Gemeinden
, worauf als Anhang eine werthvolle Zufammen-
ftellung der griechifchen, armenifchen, gallicanifchen,
katholifchen, lutherifchen, anglicanifchen Pericopen und
aus neuefter Zeit derjenigen von Nitzfeh und Thomasius
als ,der reifften Früchte aller neuen Beftrebungen in der
Bildung von Pericopen', fowie eine Vergleichung des
Homiliars Karl's d. Gr. mit dem Comes des Pamelius
und Baluzius folgt nebft Angabe der benutzten Werke
für die folgende Exegefe und zutreffender Charakteriftik
ihrer Autoren. Es fehlt kein Name von Bedeutung. Mit
immenfem Fieifs hat der Verf. aus den Quellen gefchöpft
und namentlich von den Alten: Örigines, Gregor von
Naz ianz, Chryfoftomus, Ambrofius, Auguftinus und Hieronymus
, dann fehr gründlich die Reformatoren ftudirt,
Luther und Calvin vornehmlich ftark citirt und nach
ihnen die Auslegungen von Beza, Lampe, Bengel's Gno-
mon, von den Neueren PYitzfche, Meyer, Olshaufen, de
Wette, Bleek, Tholuck, Stier, Heubner, Lange, Oofter'zee,
Luthardt, Philippi und viele Andere geprüft. Wir machen
hier gleich darauf aufmerkfam, dafs der Verf. noch mehr
gelciftet hat, als er in der Einleitung verfprach. Er hat
nicht blos unter den Theologen auch viele dii minores
zum Wort kommen laffen, fondern auch in reichen Citaten

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