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Ausgabe:

1876 Nr. 8

Spalte:

215-216

Autor/Hrsg.:

Doedes, J. J.

Titel/Untertitel:

Der Angriff eines Materialisten (Dr. Ludw. Büchner) auf den Glauben an Gott, übersetzt u. bevorwortet v. W. Weiffenbach 1876

Rezensent:

Pfleiderer, Edmund

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215

Theologifche Literaturzeitung. 1876. Nr. 8.

216

als folche eine fo incommenfurable Gröfse, dafs man fich
wundern mufs, warum Pfleiderer Tie nicht gleich mit der
Theologie in die rechte Schule gefchickt hat. Wir meinen
die Schule der vergleichenden Religionsgefchichte.
Worms a. Rh. Wilh. Bender.

Doedes. Prof. Dr. J. J., Der Angriff eines Materialisten

Dr. Ludw. Büchner auf den Glauben an Gott, überfetzt
u. bevorwortet v. Prof. Dr. W. Weiffenbach. Jena
1875, Dufft. (XIV, 55 S. gr. 8.) M. 1. 20.

Der holländifche Profeffor Doedes hat nach dortiger
Sitte in einer, refp. zwei Vorlefungen zum Semefteranfang
(1874, nicht 1864, wie es S. III verdruckt ift) als brennende
Tagesfrage die neueften Kundgebungen unferes Landsmannes
Ludw. Büchner behandelt, und fein Schriftchen
darüber ift von Weiffenbach der weiteren Verbreitung
halber auch ins Deutfche überfetzt worden, was uns hier I
zur Befprechung vorliegt. Man könnte freilich zweifeln,
ob dem Materialiften durch diefe holländifch-deutfche
Erwiderung nicht gar zu viel Ehre angethan fei. Ich
weifs im Augenblick nicht, von wem das geflügelte Wort
flammt, Büchner's im Jahre 1872/73 und 1873/74, alfo gerade
in der Gründer- und Schwindlerzeit durch Deutfch-
land und Amerika unternommenenMiffionsreifen enthüllen
ihn vollends fo recht als den gewerbsmäfsigen commis
voyageur des atheiftifchen Materialismus. Jedenfalls hat
er, wie fogar die Zeitungen meldeten, felbft vor feinem
Publikum überwiegend Fiasco gemacht. Trotzdem wollen
wir dem Verfaffer und namentlich dem Ueberfetzer unferes
Schriftchens zugeftehen, dafs auch derartige extreme
Explofionen des gefpannten Zeitgeifts wenigftens nicht
völlig unterfchätzt, nicht gar zu vornehm ignorirt werden
dürfen. Sind fle gleich für die Männer vom Fach Null,
fo läfst fleh dafür die fo grofse urtheilslofe Maffe zu
leicht imponiren, wenn ,religionsfeindliche Machtfprüche
für unzweifelhafteErfahrungsthatfachen, für objective Re-
fultate der exaeten Wiffenfchaft ausgegeben und im Tone
wiffenfehaftlicher Unfehlbarkeit vorgetragen werden' (VII).

Doedes operirt vom Standpunkt eines fupranatura-
liftifchen Theismus aus, dem er ohne weiteres als Gegen-
fatzglied den Atheismus gegenüberftellt. Diefe Oppo-
nirung dürfte aber doch nicht ganz glücklich fein und
den Gottes begriff zu pointirt formuliren, fo dafs eine
Reihe fonftiger Gefinnungsgenoffen auf idealiftifchem Gebiet
ausgefchloffen werden. In unferen Tagen heifsen
die Parteien anders, als früher, und gilt es, viribus unitis,
alfo unter Umftänden auch mit einem gewiffen Latitudi-
narismus innerhalb des eigenen Plauptlagers den gemein-
famen Feind zu bekämpfen. Doch fei dies nur im Allgemeinen
bemerkt, da für die fpeciellen Ausführungen
unferer Schrift jene Zufpitzung des Gottesbegriffs keine
wefentliche Störung nach fleh zieht. Um fo mehr find
wir mit dem Verf. einverftanden, wenn er an feinem
Gegner gleich zum Eingang den argen Mangel an theologischem
, religionsphilofophifchem und — fetzen wir mit
A. Lange hinzu — an philofophifchem Verftändnifs überhaupt
rügt. Denn in der That find unfere gröfsten Lärmmacher
vollends auf einem folchen Tagesgebiet meift
leichtfüfsige Dilettanten und fahrende Stegreifsritter der
Weisheit. In diefer Beziehung weift Doedes fchon auf
die principiell verwirrende Verwcchfelung von Chriften-
thum, Gottesglauben und Gottesbegriff fammt Beweifen
hin, von deren fonft bekannter und höchft nöthiger Unter-
Scheidung Büchner nichts zu wiffen fcheine. Kein Wunder
, dafs er dann bei der Entftehung der Religion den
alten Kohl des Jimor faai deos1 wieder aufwärmt, der
ebenfo unpfychologifch, als unhiftorifch ift, Statt in der
.Ehrfurcht' den entwickelungsfähigcn Keim für den Fortschritt
oder Rückfehritt der explicirteren Religionsgefchichte
zu fehen.

Büchner hatte es fleh nun zur Hauptaufgabe gemacht,
die einzelnen Gottesbeweife durch eine Combination

philofophifcher und exaet naturwiffenfehaftlicher Momente
definitiv zu vernichten, womit er dann die ganze Frage
abgethan glaubt, was ihm Doedes natürlich nicht zu-
giebt. Im Einzelnen kann er ihm eine willkürliche Zu-
ftutzung der hiftorifchen Beweisformen zum Behuf leichterer
Widerlegung oder fogar Lächerlichmachung aufdecken
, und folgt ihm dann Schritt für Schritt durch
die mit zweifelhafter Logik auf die heilige Siebenzahl
feftgefetzte und dann zerfetzte Reihe feiner Gottesbeweife.
Neben manchen treffenden Bemerkungen (befonders zum
kosmologifchen Beweis S. 11 und nam. 34 ff.) Scheint
uns diefe Partie des Schriftchens doch zu abrupt und
wenig eingehend gegenüber der Schwierigkeit des Problems
, das Büchner natürlich noch viel weniger erfchöpft.

Der zweite Theil der Brofchüre (von S. 39 an)
geht aus der Vertheidigung in den Angriff über. Zuerft
bestreitet er dem Gegner die Titulatur und metaphyfifche
Etikettirung feines Standpunkts als , philofophifchen
Monismus', was ihm Beides nicht zukomme. Insbcfon-
dere könne von Monismus keine Rede fein, fo lange ja
gerade der Dualismus Kraft und Stoff bis zum Uebcr-
drufs wiederholt werde. Dies dürfte freilich nicht Schlagend
fein, indem es fleh meines Erachtens vielmehr um
die Frage handelt: Ausfchliefsliche Aetiologic oder Ae-
tiologie und Teleologie, wie nun auch der fog. Träger
diefer verfchiedenen Gefetzesordnungen beftimmt, d. h.
genannt wird. Büchner dagegen könnte immerhin erwidern
, dafs zwei aUezeit verbundene Seiten Eines und
Desfelben weit weniger dualiftifch feien, als zweierlei fub-
ftantiell verschiedene Potenzen.

Unfere Formulirung des Brennpunkts in der Monismusfrage
führt uns fchliefslich dazu, wie Doedes in
fehr treffender Weife die Achillesferfe allen und vollends
eines fo extremen Materialismus, die praktifchen Pofl-
tionen in Angriff nimmt. Nach Büchner foll der mo-
niftifche Atheismus endlich zur Vernunft und damit zum
Humanismus führen, während dem Gottesbegriff incl.
Gottesglauben und Religion alle Schäden der Welt bis
dato aufgepackt werden. Allein wo bleibt der gerühmte
Mcnfchenwerth, fragt Doedes, wenn fleh der Menfch, wie
bei Vogt, Cabanis und den Encyclopädiften, theoretifeh
und praktifch zum blofsen Naturwcfen, zum ,hotntne ma-
chhie' nur von complicirterer Art heruntergedrückt fleht?
Wo bleibt ferner die gewiffefte Thatfächlichkeit unferes
Bewufstfeins, wenn z. B. Bosheit zur blofsen, durch die
liebe Bildung heilbaren Unwiffenheit gemacht wird? Wo
bleibt endlich die arme Logik, wenn auf dem Standpunkt
der unerbittlichften Aetiologie als blinder Natur-
nothwendigkeit dennoch in vulgärftcm Optimismus goldene
Berge im Zeitalter des Atheismus als Früchte der
Freiheit und des arbeitenden, nicht von felbft fich machenden
Fortfchritts verfprochen werden? Und merkwürdig
! Büchner's Materialismus kennt zuletzt fogar die
definitive Klippe feines eigenen Standpunkts, er weifs,
dafs ,das freie Denken, ebenfo wie das perfönliche Be-
wufstfein auf eine allerdings bis jetzt noch unerklärliche
und vielleicht immer unerklärt bleibende Weife aus dem
ewigen Spiel der Atome fleh losringe'; allein was
fchadet diefe Eine Gegeninftanz? Die Materie mit ihrer
natürlichen Schwere fchnellt fle auf der Wage hoch in
die Luft — und das ,Syftem' ift gerettet trotz des Denkens 1

Kiel. E. Pfleiderer.

Semper, Prof. Carl, Der Haeckelismus in der Zoologie. Ein

Vortrag, geh. am 28. Octbr. 1875 im Verein f. Kunft
u. Wiffenfchaft zu Hamburg u. d. T.: ,Der neue Glaube
u. die moderne Zoologie'. Hamburg 1876, Mauke
Söhne. (36 S. gr. 8.) M. — 80.

Ref. gefleht gerne, mit einem gewiffen Vorurtheil an
diefe Schrift herangetreten zu fein, da ihm ,Ketzirnamen
auf —ismus' jedenfalls in der Anwendung auf lebende