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Ausgabe:

1876

Spalte:

210-213

Autor/Hrsg.:

Heydecke, Carol.

Titel/Untertitel:

Dissertatio qua Barnabae epistola interpolata demonstretur 1876

Rezensent:

Weizsäcker, Carl

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209,

Theologifchc Literaturzeitung. 1876. Nr. 8.

210

Weg zu der Behauptung auf S. 52: ,Es mufs daher aufser
dem irdifchen Leben und aufser der fchattenhaften Exi-
ftenz in der Scheol noch einen dritten Zuftand geben,
in welchen die Menfchen zum Zweck des Gerichts verfetzt
werden, und zwar einen Zuftand, wo fic wieder
volle zurechnungsfähige Menfchen find'. Als der Verf.
an den dünnen Faden diefer Schlufsfolgerung feinen
Beweis knüpfte, ift er einem alten Irrthum auf biblifch-
theologifchcm Gebiet verfallen: er hat eine logifche Con-
fequenZ'A>«rt fide zui einer exegetlfchcn umgcfetzt. Aber
die Exegefc hat nicht logifche Confequenzen zu ziehen,
und diefe dann gegen den klaren fonftigen Wortlaut dem
Schriftftcller unterzufchieben, fondern fich mit der Ermittelung
des Wortlautes felbft zu begnügen. Der letztere
fchliefst aber nach des Verf. eigenem Urtheil (bis S. 44)
die Annahme einer Unftcrblichkcitshoffnung im Koheleth
rundweg aus. Bei der unleugbaren Befähigung für me-
thodifche und unbefangene Unterfuchung, die der Verf.
bis S. 44 an den Tag legt, ift es uns fehwer begreiflich,
wie er fich fchliefslich in mifsbilligenden Bemerkungen
bef. gegen Delitzfch ergehen konnte, anftatt fich zu fagen:
wenn felbft Delitzfch zu einem folchen Endurtheil über
. das Buch gelangte (gewifs nicht, weil er die vom Verf.
bis jetzt vermifste Prüfung des ,ganzen Buches auf feinen
Gefammtinhalt hin' unterlaffen hatte), fo mufs es dabei
fchwierigere Probleme zu löfen geben, als dafs man fic
mit einfachen Behauptungen auf 9 Seiten erledigen könnte.
Uns will es nach wie vor bedünken, die befte Apologie
r des Koheleth und feiner Aufnahme in den Kanon liege
in '-der merkwürdigen Thatfache, dafs felbft eine folche
Weltanfchauung weit entfernt davon blieb, den Grundpfeiler
der altteft. Religion, nämlich ihren Gottesbcgriff,
auch nur in Frage zu ftellen.

Bafel. E. Kautzfeh.

Skworzow. Prof. Conftant, Patrologische Untersuchungen,

Ueber Urfprung der problematifchen Schriften der
apoftolifchen Väter. Leipzig 1875, Fr. Fleifchcr. (V,
170 S. gr. 8.) M. 4. —

Von diefen Unterfuchungen bleibt der erfte Clemensbrief
und der Brief des Polykarp ausgefchloffen, weil der
Verfaffer fie nicht zu den ,problematifchen' Schriften
rechnet. Sie umfaffen dagegen den Barnabasbrief, den
Hirten des Hermas, den zweiten Clemensbrief, die Briefe
des Ignatius, und noch aufserdem die areopagitifchen
Schriften. Die beachtenswerthefte ift die über den Barnabasbrief
. Mit vollem Rechte beftreitet der Verfaffer
S. 2 f., dafs man durch cap. 16 in eine Zeit gewiefen
werde, wo die Juden den Wiederaufbau des Tempels
durch Hadrian vor fich fahen, weil es eine folche Zeit
nicht gegeben hat. Aus cap. 4 fchliefst er vielmehr auf
Domitian als den elften Herrfcher, und deutet die drei
geftürzten Hörner auf deffen Siege über Briten, Dacier
und Germanen. Aber es ift ihm fo wenig als anderen
möglich gewefen, darüber wegzukommen, dafs in dem
zweiten Danielcitat die drei als drei von den vorhererwähnten
grofsen Hörnern bezeichnet find, und der Autor
alfo an drei Römifche Kaifer gedacht haben mufs. Man
wird in der fchwierigen Erklärung diefer Stelle fo lange
irre gehen, als man nicht ftreng darauf achtet, was der
Ausgangspunkt in den Gedanken des Autors ift, nämlich
dafs die Abkürzung der Zeiten fichtlich eingetreten fei.
Dies ift mafsgebend für feine Abficht, und jede Auslegung
, welche davon abfieht, verfehlt das Ziel. Welche
andere Zeit der älteften Römifchen Kaifergcfchichte aber
pafst darauf, als das rafche Vorübergehen von Galba,
Otho, Vitellius? Dies allein konnte den Gedanken erwecken
, dafs das Reich der zehn Hörner nunmehr fchnell
zu Ende gehe, dafs jetzt die Tage abgekürzt werden.
Darauf allein pafst auch das rantivnvv rQelq vq> tv. Das
letzte kleine Horn fcheint allerdings durch ouiOÜtv aetüv

j als das elfte bezeichnet zu fein, aber dies wird durch
I das nachfolgende ti; avtcüv paralyfirt, und fo ungefchickt
es fein mag, fo will ich immer lieber annehmen, dafs der
Autor fich das o/na&tv avräv mit 6 oV/Warne gedeutet
habe, als dafs wir jenes entfeheidende Moment aufgeben.
Unfer Verfaffer aber kommt dann näher auf das Jahr 91,
wo Domitian die Chriften habe als Juden verfolgen laffen.
i Denn daraus erkläre fich die fchroffe Herabfetzung der
jüdifchen Gebräuche. So fcharffinnig dies ift, fo leuchtet
doch ein, dafs der Urfprung diefer Lehre des Briefes
über das Judenthum tiefer liegen mufs. Weniger befriedigend
find die gewaltfamen Hypothefen, welche der Verfaffer
faft durchgehends in Betreff der übrigen Schriften
aufftellt, und welche mehr der Phantafie als der Forfchung
angehören, wenn auch ein gewiffer Scharffinn fich nicht
verläugnet. Der Hirte des Hermas ift gegen den Gno-
ftiker Markus und feine Lehre gerichtet, und in einer
Zeit des Friedens für die Chriften gefchrieben, welche
nach dem (unächten) Edikt des Antoninus Pius unter diefen
Kaifer fällt. Der zweite Clemensbrief ift das andere
Schreiben, von welchem I, 2, 4 die Rede ift. Die Ignatiusbriefe
enthalten nichts von einem Martyrium ihres Ver-
faffers, fondern diefer geht zur Bekämpfung der Gnoftiker
nach Rom; die Gnoftiker find die Thiere, mit denen er
zu kämpfen hat; die Römer follen ihn nicht verrathen,
weil er incognito auftreten will; feine Reife fällt in die
Zeit des Bifchofes Aniketos. Endlich die pfeudoareopa-
gitifchen Schriften find nicht abhängig vom Neuplato-
nismus, fondern polemifiren gegen die Gnofis; der Hiero-
theos ift Origenes, und der Verfaffer felbft ift Dionyfius
von Alexandrien. Ich begnüge mich mit diefer allgemeinen
Angabe der Anflehten.

Tübingen. C. Weizfäcker.

Heydecke, Paft. Carol., Dissertatio qua Barnabae epistola
interpolata demonstretur. Braunfchweig 1875, H. Bruhn.
(79 S. gr. 8.) M. 1. 60.

Unter den neueren Arbeiten über die Schriften der
apoftolifchen Väter nimmt diefe aus einer Leipziger Pre.is-
aufgabe hervorgegangene Arbeit über den Barnabasbrief
eine ausgezeichnete Stelle ein. Die Sorgfalt der Unterfuchung
, der Scharffinn, der auf das Einzelne verwendet
ift, müffen unter allen Umftänden anerkannt werden,
und man kann nur bedauern, dafs der eigentliche Zweck
dabei ohne Zweifel ein verfehlter ift. Der Verfaffer erkennt
, dafs die früheren Interpolationshypothefen nicht
brauchbar find, aber er läfst fich dadurch nicht abfehrecken,
[ eine neue umfaffendere aufzuftellen und ausführlich zu
j begründen. Die Schrift befteht ihm aus zwei ganz ver-
fchiedenen Theilen. Der urfprüngliche Körper derfelben
ift in der Zeit Vespafian's gefchrieben, von einem Verfaffer
judifcher Abkunft, für Judenchriften, fie trägt noch
den Stempel des apoftolifchen Zeitalters, und ift wenn
auch von anderer Bafis ausgehend in Uebereinftimmung
mit Paulus, fie hat keinen polemifchen Zweck, fie ift ver-
j anlafst durch äufsere Bedrängnifs, und ihre Abficht ift,
zu befeftigen durch Belehrung und Ermahnung. Ihr Verfaffer
ift niemand anders als Barnabas felbft. Ueber
; diefe Schrift ift aber nun ein zweiter gekommen, und hat
j in künftlicher Weife grofse Stücke eingelegt, an anderen
I Orten durch kleine Einfchaltungen den Sinn verändert,
und um feiner Einfchaltungen willen auch die Ordnung
des alten zum Theil umgekehrt, mithin aus dem alten
und dem eigenen eine ganz neue Schrift aufgebaut. Er
fchreibt in der Zeit Hadrian's. Sein Hauptzweck ift, die
[ Ebioniten zu beftreiten, mit ihrer Lehre von Chriftus und
vom Gefetze. Im Eifer der Polemik geht er fo weit,
dafs er den altteftamentlichen Inftitutionen nicht blofs
ihre fortdauernde Geltung abfpricht, fondern geradezu
beftreitet, dafs fie überhaupt je eine folche gehabt haben.
' Er felbft ift feiner Abkunft nach Heidenchrift, und von