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Ausgabe:

1876

Spalte:

203-208

Autor/Hrsg.:

Kuenen, A.

Titel/Untertitel:

De Profeten en de Profetie onder Israel. Historisch-dogmatische studie. 2 deele 1876

Rezensent:

Wellhausen, Julius

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203

Theologifche Literaturzeitung. 1876. Nr.

204

zieht. Auch fcheint er (p. 45. 50 f.) nicht zu beachten,
dafs ein Gefetz, welches bei jeder Schlachtung auch Darbringung
eines Opfers am Altare verlangt wie Levit. 17,
bei einer Centralifation des Kultus eo ipso unausführbar
wird. Das Beftehen folcher Sitte fetzt nothwendig die
Exiftenz von unzähligen Altären im Lande voraus. Sehr
intereffant ift die Unterfuchung der Frage, was die Propheten
von den Jahvehöhen geurtheilt haben. Die allgemeine
Verwerfung der Höhen durch Micha erklärt
der Verf. p. 56 richtig durch die doppelte Möglichkeit,
entweder habe auf den Höhen der Götzendicnft den
Jahvekult überwogen, oder Micha habe den Jahvekult
dem Götzendienfte gleichgeftellt. Die weitere Beweisführung
wird indefs dadurch ftark gcfchädigt, dafs der
Verf. ohne Weiteres die zweite Möglichkeit als erwiefen
annimmt. Auch wird das Wohnen Jahve's in Jerufalem
von den Propheten nicht fo urgirt, dafs dadurch, wie
der Verf. meint, ein jahviftifcher Höhenkult, als zuläffige
Aeufserung religiöfen Triebes, aufgehoben wäre. Hie-
nach wäre das Schlufsurtheil p. 61 zu modificiren und
nur auf eine gewiffe Wahrfchcinlichkeit zu erkennen,
dafs auch unter den Propheten hie und da Mifsbilligung
des jahviftifchen Höhenkultus vorhanden gewefen. —
Sollte der Verf., was fehr zu wünfehen, feine Arbeit
weiter ausführen, fo läge die Frage nahe, ob nicht die
levitifche Gefetzgebung durchweg die deutliche Tendenz
zeige, die volksthümliche Sitte hinfichtlich der Opfer,
Gelübde und Reinigungen zu ordnen und zu begrenzen,
um fie höheren Zwecken dienftbar zu machen. —■ Die
befremdliche Erfcheinung, dafs der Verf. in diefer rein
wiffenfehaftlichen Schrift immer Jehova, nie Jahve fchreibt,
läfst fich wohl durch Streben nach gröfserer Deutlichkeit
erklären, und darum wählte er die flexionsfähige
Form des Gottesnamens.

Tübingen. L. Dieftel.

Kuenen, Prof. A., De Profeten en de Profetie onder Israel.

Hiftorifch-dogmatifche ftudie. 2 deele. Leiden 1875,
Engels. (320 u. 370 S. gr. 8.) Fl. 6. —

Von dem fchottifchen Orientalinnen J. Muir veran-
lafst hat K. hier die Anflehten über die ifr. Prophetie,
die fleh kurz in c. 9 feiner altteftamentlichen Einleitung
ausgefprochen finden und darnach von Reville in der
Revue des Dcux Mondes reproducirt find, ausführlicher
dargeftellt und zwar mit befonderer Rückfleht auf die
Bedürfnifse englifcher Lefer. Hauptabflcht des Buchs ift
darum eine eingehende Auseinanderfetzung mit dem Su-
pranaturalismus. Da das Niederländifche den meiften
deutfehen Lefern unbequem ift, fo gebe ich vorzugsweife
ein Referat.

C. 1. Nach der k. Tradition find die Propheten Boten
Gottes, fcheinbar an Ifrael, im Grunde an die gefammte
Mcnfchhcit gefandt, um in der Zeit des Gefetzes das
Evangelium vorzubereiten, d. h. um auf Chriftus zu weis-
fagen. Schon Gen. 3 wird der Weibesfame, Gen. 49 der
Meifter aus Juda, Num. 24 der Stern aus Jakob verheifsen,
Jefaia verkündet feine Geburt von der Jungfrau, feine
göttl. Natur und fein ftcllvertretendes Leiden, Micha feine
Herkunft aus Davids Stadt, Hofea feine Flucht nach
Aegypten, Daniel das Jahr feiner Erfcheinung. Diefer
Erklärung der Prophetie vom Standpunkte der Erfüllung
aus fteht eine andere d'apres la dale gegenüber. Nach
der ,hiftorifch-kritifchcn' oder ,organifchcn' Anfleht wurzeln
die Propheten in dem Boden ihrer Zeit und ihres
Volkes, find daraus erwachfen und darin befangen, fie
reden und wirken alfo auch für ihre Gegenwart und für
Ifrael. Der Verfuch, über das Nebeneinander diefer zwie-
fpältigen Meinung hinauszukommen, den Supranaturalis-
mu's zu überwinden, ift noch nicht ernftlich gemacht; er
ift aber möglich, weil es fleh nicht um ein Dogma, fondern
um ein hiftorifch.es Problem handelt, und gegenwärtig
ausfichtsvoll, weil der Supranaturalismus fclbft in
einer Krifls fteht und an vielen Punkten feine alte Pofi-
tion aufgegeben hat: der gar zu deutlichen Weisfagungen
(Jofia 1 Reg. 13, Cyrus Jes. 45, die Antagonie der Selcu-
ciden und Ptolemäer Dan. 11) fchämt er fleh, fucht fie
abzufchwächen und zu entfchuldigerr.

C. 2. Die Methode. Sie ift dadurch gegeben, dafs
die Unterfuchung eine hiftorifche ift. Mit Ausfchlufs
dogmatifcher Vorurtheile hat man fich an die Quellen zu
halten und aus ihnen zu fchöpfen, mitteilt des bekannten
Inftruments philologifchcr Interpretation. Unter den
Quellen find zu feheiden 1) die Schriften der Propheten,
2) Berichte über fie, 3) unmittelbare Ausfprüche Gottes in
den gefchichtlich.cn Büchern. Nur bei der erften Claffe
hat man feften Grund unter den Füfsen. Von hier ift
alfo auszugehen, mit Darangabe der chronologifchen Ordnung
und der genet. Darfteilung. Doch ift dadurch eine
vorläufige allgemeine Orientirung über die Propheten nicht
ausgefchloffen.

C. 3. Zur Zeit Jeremia's und Ezechiel's ruhte die Ordnung
der Dinge in Juda nach der Meinung des Volkes
auf drei Grundpfeilern. In kritifchen Situationen ging
die Rede: die Weifung wird dem Priefter nicht ausgehen,
noch der Rath dem Aelteften, noch das Wort dem Propheten
. Neben Prieftern und Aelteften erfcheinen die
Propheten hier als gefchloffencr Stand mit befonderer
Provinz; befonders häufig neben den Prieftern, vgl. 2 Reg.
23, 2. So auch fchon früher, als Jefaia und Micha weis-
fagten Jef. 3, 1. 2. 28, 7. 30, 10. Mich. 3, 5. 7. Aehn-
lich im Reiche Ifrael z. Z. Ahab's, bis hinauf zum Anfang
der Königsperiode (Samuel). Daneben giebt es aber auch
zu allen Zeiten einzelftehende Propheten, ja die meiften
bedeutenden und uns bekannten ftehen entweder in lofem
oder überhaupt keinem oder auch in feindlichem Ver-
hältnifs zu dem Collegium. ,Es ift nicht zu viel gefagt,
wenn wir behaupten, dafs die Männer, deren Reden wir
im A. T. befitzen, durchgehends ,die Propheten' d. i. die
Prophetcngildc bekämpfen und über fie ein fehr ungün-
ftiges Urtheil fällen'. Payne Smith unterfcheidet darum
die Propheten und den Propheten. ,Die Propheten'
oder ,Prophetenjünger' find nach ihm, wie unfere Geift-
lichen, die ordentlichen Lehrer des Volks, fie hatten die
alten Wahrheiten zu predigen, empfingen aber keine
neuen Offenbarungen; in ihren Kreis konnten fich auch
folche aufnehmen laffen, denen der moralifche Beruf abging
. Ihnen gegenüber fteht der aufserordentliche Prophet
, der infpirirt ift. Diese Theorie ignorirt die Thal
fachen. Alle Propheten machen nach dem A. T. den
gleichen Anfpruch auf übernatürliche Erleuchtung und
doch widerfpricht das Wort Gottes im Munde des Einen
dem Worte Gottes im Munde des Anderen. Gab es ein
Kriterium zwifchen wahren und falfchen Propheten? Nach
dem Deutcrononium ift der ein gottgefandter Prophet,
deffen in Jahve's Namen ausgefprochenes Wort fich erfüllt
. Wie aber follte man über einen Propheten ur-
theilcn, ehe die Facta gefprochen hatten? und zwar laut
und deutlich gefprochen hatten, denn fonft waren allerhand
Exccptioncn möglich. Durch wen, ferner, follte
jene Vorfchrift gehandhabt werden? Das Gefetz fchweigt
darüber — ein beredtes Schweigen. Bcftand etwa ein
geiftlicher Gerichtshof, bei dem Klagen gegen die Propheten
anzubringen waren? Wenn fie im Tempel auftraten
, ftanden fie unter der Jurisdiction der Priefterfchaft,
wie aus dem Buche Jeremia's erhellt. Aber die Priefter
übten blos die Tcmpelpolizei aus, keinerlei geiftliche
Gerichtsbarkeit. Von letzterer wäre eher in Jerem. 26
(Gericht der Fürften überjeremia, wobei die Priefter und
Propheten als Ankläger erfcheinen) eine Spur zu finden,
aber das Verfahren ift hier kein geregeltes, und vor Allem
wird das im Deuteron, genannte Criterium abfolut nicht
berücksichtigt. Im Ganzen folgt aus Jeremia's Buche,
dafs es Parteifache und perfönliche Sympathie war,
welchen Propheten man gelten laffen wollte. —Alfo: die