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Ausgabe: | 1876 Nr. 7 |
Spalte: | 192-194 |
Autor/Hrsg.: | Weygoldt, G. P. |
Titel/Untertitel: | Kritik d. philosophischen Pessimismus der neuesten Zeit 1876 |
Rezensent: | Kaftan, Julius |
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Theologifche Literaturzeitung. 1876. Nr. 7.
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theils kann von einem bittern Hafs und einer teuflifchen
Feindfchaft Lucian's gegen das Chriftenthum nicht die
Rede fein. Sein Urtheil ift alfo principiell genommen
von gar keiner Bedeutung (dem Hiftoriker bringt er aber
fehr werthvolle Nachrichten) und es ift wohl kaum auch
nur typifch zu nennen. Mit dem allen kann Ref. fich
nur einverftanden erklären und die Abhandlung, die fich
felbft fehr anfpruchslos einführt, beftens empfehlen.
Diefe Empfehlung bezieht fich indefs nicht auf die einleitenden
allgemeinen Erörterungen. Von Intereffe wäre
es gewefen, wenn Sörgel die Frage, die Keim wiederum,
neu erörtert hat, uns beantwortet hätte, ob der Celfus
des Lucian für den Celfus des Origenes zu halten fei.
Keim (S. 279 f.) hat fie bekanntlich bejaht; aber die
richtigen Ausführungen Sörgel's find diefer Hypothefe
wenigftens nicht günftig, während Keim die Kenntnifs
des Chriftenthums bei Lucian vielleicht noch zu hoch
anfchlägt.*)
Leipzig. Ad. Harnack.
Luther's Drei grosse Reformationsschriften vom
J. 1520: ,An den chriftl. Adel deutfcher Nation v. d.
chriftl. Standes Befferg.', ,Von der babylon. Gefangen-
fchaft der Kirche' u. ,Von der Freiheit e. Chriften-
menfchen', hrsg. v. Lic. L. Lemme. Gotha 1875, F.
A. Perthes. (XIII, 215 S. gr. 8.) M. 2. —
,Für das deutfche Volk' hat der Herausgeber die
berühmten Schriften Luthers veröffentlicht in der ganz
richtigen Erkenntnifs, dafs der gegenwärtige Kampf des
Staates gegen Rom nur dann mit bleibendem Erfolge
gekrönt und von wirklichem Segen fein wird, wenn man
ihn nicht blofs als eine Frage äufserer Macht fafst, fondern
auf die entfcheidenden fittlichen, oder beffer reli-
giöfen Grundfätze zurückgeht. ,Der Geift des Katholicis-
mus liefs fich nie durch die Waffe des Schwerts überwinden
; er kann nur überwunden werden durch den
Geift des Proteftantismus', und zwar des ächten Proteftan-
tismus, den eben Luthers Schriften zeigen. Mit grofsem
Fleifse hat daher der Herausgeber diefe wichtigen Schriften
des Reformators für die Gebildeten unferer Tage
lesbar und verftändlich gemacht. Er hat die beiden
überfetzt in möglichftem Anfchluffe an die lateinifchen
Originale und aufser Einleitungen zahlreiche Anmerkungen
beigefügt, um folche Stellen zu erläutern, die
ohne das Jedem, der nicht Theologe von Fach ift, un-
verftändlich bleiben würden. An ihnen wüfste ich aufser
einer oder der anderen ganz geringfügigen Ungenauig-
keit (z. B. Seite 74 Z. 11 v. u. Oktober ftatt November)
nichts auszufetzen; fie find recht zweckentfprechend, wie
überhaupt die Arbeit des Herausgebers Anerkennung
verdient. Möchte fie diefe nur auch durch zahlreiche
Leier finden! Luther's deutfche Schriften können fchon
ihrer Sprache wegen auf die Theilnahme der Gebildeten
unferes Volkes Anfpruch erheben, und unter ihnen wieder
in befonderem Mafse die r. und 3. der hier vorliegenden.
Mit gutem Rechte find in die 1874 bei Heyder und
Zimmer in Frankfurt erfchienene gefchinackvolle Sammlung
: ,Martin Luther als deutfcher Claffiker in einer Auswahl
feiner kleinen Schriften. Neue Folge' die beiden
Schriften an den deutfchen Adel und von der Freiheit
eines Chriftenmenfchen als erfte aufgenommen. — Die
*) Früher urtheilte Keim vorfichtiger (Herzog's Real-Enc. VIII, S.
499 sq.); zuverfichtlicher: Celfus' Wahres Wort S. 143 ff. (Gefch. Jefu.
1875 S. 375). Zahn (Ignatius v. Ant. S. 517—528. 592—594) findet
im Peregr. Prot. Nachbildungen des Martyriums des Polycarp undjuftin;
zudem foll Lucian die Ignatiusbriefe, die fynoptifchen Ew. u. a. gelefen
haben. (Dagegen: Hilgenfeld, Ztfchr. f. wiff. Theol. 1874 I P- 120).
Den Beweis, dafs fich in Lucian's Werken allußones mordaciffimae ad
N. T. finden, hat Lagarde (Reliq. iur. eccl. ant. Graece p. XVI) fchon
im J. 1856 verfprochen. (Vgl. Thierfch, Politik u. Philosophie u. f. w.
1853 S. 19. 31 f.) Ref. bezweifelt, dafs er gelingen wird.
neue Sammlung Lemmc's ift auch Studirenden der Theologie
recht zu empfehlen; es werden wenige unter ihnen
fein, welche die beigefügten Anmerkungen ganz entbehren
könnten. Billig iolltc wohl wenigftens jeder
evangelifche Theologe Deutfchlands folche Hauptfchriften
Luther's gelefen haben, und doch — wenn man herum-
früge, wie viele Procente folcher Lefer würde man unter
der Zahl der Theologen wohl finden?
Erlangen. G. ITitt.
Weygoldt, Diac. Dr. G. P., Kritik d. philosophischen Pessimismus
der neuesten Zeit. Eine v. der Haager Gefell-
fchaft zur Vertheidigg. der christl. Religion gekrönte
Preisfchrift. Leiden 1875, Brill. (VI, 156 S. gr. 8.)
M. 2. 50.
In drei einleitenden Abfchnitten wird zuerft der Begriff
des Peffimismus überhaupt aufgeftellt, dann feinen Urfachen
nachgeforfcht, endlich ein kurzer Blick auf die Entwick-
lungsgefchichte des philofophifchen Peffimismus insbe-
fondere geworfen. So bahnt fich der Verfaffer den Weg
zu feiner fpeciellen Aufgabe, den philofophifchen Peffimismus
der neueften Zeit einer Kritik zu unterziehen. Die
Aufgabe felbft löft er, indem er zuerft die metaphyfifche
Grundlage des Schopenhauer'fchen und Hartmann'fchen
Peffimismus zerftört und dann zu dem namentlich von
Hartmann gelieferten empirifchen Beweis des Peffimismus
einen optimiftifch gefärbten Gegenbeweis liefert.
Den Befchlufs macht ein Hinweis auf die Kataftrophe,
welche ein praktifch durchfchlagender Erfolg des Peffimismus
bei der Maffe des Volks mit fich führen würde.
Daran knüpfen fich einige Reflexionen über die prak-
tifchen Aufgaben der Zukunft, mit deren glücklicher
Löfung die Gefahr des Peffimismus verfchwinden und
diefer als das erfcheinen wird, was er allein fein kann
Läuterungsmittel und Durchgangsmoment zum befferen.
Das Räfonnement der Einleitung ift durchweg populär
gehalten, was, wenn wir nicht irren, mit der Entftehung
der Schrift als einer Bewerbung um den von der Haager
Gefellfchaft ausgefetzten Preis zufammenhängt. Im
weiteren Verlauf hätte es aber doch zu einer fchärferen
Begriffsbeftimmung kommen müffen. Der Peffimismus
wird hier als diejenige Lebensanfchauung beftimmt,
welche dafürhält, dafs in den Einwirkungen der Aufsen-
welt auf uns die hemmenden die fördernden überwiegen.
Je mehr einer daneben noch fördernde Einwirkungen
anerkennt, defto mehr tritt fein Peffimismus zurück und
umgekehrt. Auch die Urfachen des Peffimismus find
rein empirifch aufgefafst. Die Claffification derfelben ift
nicht immer glücklich. So begegnen wir unter den angeborenen
Urfachen des individuellen Peffimismus neben
| dem Hang zur Schwermuth der Ruhmfucht. Der
individuelle Peffimismus erweitert fich zur peffimiftifchen
Zeitrichtung, welche vor allem aus Materialismus und
Genufsfucht zu erklären ift. Endlich der philofophifche
Peffimismus entlieht, indem jene individuelle Geiftesrich-
tung refp. Zeitrichtung aus den oberften Principien des
Seins als überhaupt giltig erwiefen wird. Den Vernich
dazu haben in neueftcr Zeit Schopenhauer und Hartmann
gemacht. Zur Frage fleht, ob es ihnen gelungen ift.
In Betreff Schopenhauer's werden die beiden Fragen
aufgeworfen, ob die metaphyfifchen Grundannahmen
feines Syftems haltbar find, und ob der auf fie begründete
Peffimismus folgerichtig daraus abgeleitet ift. Die
Unhaltbarkeit der Schopenhauer'fchen Metaphyfik weift
der Verfaffer aber daran nach, dafs es dem Philofophen
nicht gelungen ift, die beiden Gedankenreihen, welche je
die Welt als Wille und Vorftellung betreffen, wider-
fpruchslos zu vereinigen. Die idealiftifche Gedankenreihe
führt nie und nimmer zur Erkenntnifs des Dings an fich,
gefchweige denn dafs der Wille als folches erkannt werden
könnte. Und wiederum wird niemals nachgewiefen, wie