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Ausgabe:

1876 Nr. 7

Spalte:

189-191

Autor/Hrsg.:

Kind, Aug.

Titel/Untertitel:

Teleologie u. Naturalismus in der altchristlichen Zeit. Der Kampf des Origenes gegen Celsus um die Stellung des Menschen in der Natur 1876

Rezensent:

Harnack, Adolf

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189 Theologifche Literaturzeitung. 1876. Nr. 7. 190

diefe Erwartung der Apoftcl in Abrede zieht. Er läfst
(S. 48; mit denen, die in dem Herrn leben 4, 15 den
Apoftel ,fich und die Thcffalonicher zufammenfchliefsen,
weil fic eben noch am Leben waren, nicht aber weil er
geglaubt hatte, fie würden alle den Tag des Herrn erleben
'. Unzutreffend ift in jenem Zufammcnhange auch
(S. 47) die Verknüpfung des ,durch Jefum' 4, 13 mit den
Worten ,die da entfchlafen find' und ihre Deutung auf
Solche, ,welche auch im Sterben in Chrifto erfunden werden
'; denn <W kann nicht im Sinne von iv ftehen. Ebensowenig
will es uns haltbar erfcheinen, das ,Feldgefchrei'
4, 15 (S. 48) als ,hellen Jubeigefang des Herrn, der feine
Feinde fällen will' zu faffen. Der ganze Zufammenhang
führt dort nicht auf Feinde, welche vertilgt, fondern auf
Todte, welche zum Leben gerufen werden. Das terlium
coinparatio7iis endlich finden wir 5, 2 nicht völlig klar
hcrausgeftellt, fofern der Verfaffer (S. 50) die Bildrede,
,der Tag des Herrn wird kommen wie ein Dieb in der
Nacht' (mit von Hofmann, zuletzt Riggenbach) vom
Standpunkte des ficheren Weltbefitzes auffafst. Augen-
fcheinlich liegt der Vergleichungspunkt hier wie in v. 3, wo
der Apoftel überall ,liebe Brüder' anredet, nur in der Idee
des Unerwarteten, Plötzlichen.

Leipzig. Wold. Schmidt.

Kind, Dr. Aug., Ideologie u. Naturalismus in der altchristlichen
Zeit. Der Kampf des Origenes gegen Celfus um
die Stellung des Menfchen in der Natur. Jena 18751
Dufft. (38 S. gr. 8.) M. 1. —

Sörgel, Gymn.-Prof. J., Lucian's Stellung zum Christenthum
(Progr. d. K. Studienanftalt zu Kempten f. d.
Schuljahr 1874/75). Kempten 1875. (24 S.).

1. Die erfte der beiden vorstehenden Schriften mit
dem pomphaften Titel legt wenigstens ein erfreuliches
Zeugnifs dafür ab, dafs die Bücher des Origenes wider
Celfus noch gelefcn werden; freilich bringt fie denen
nichts Neues, welche jenes- Werk mit dem trefflichen
Commentarc Keim's (Celfus' Wahres Wort. Zürich 1873)
felbft ftudirt haben. Im Gegentheil fteht zu befürchten,
dafs die Darftellung des Verf. bei Unkundigen das Ur-
theil über die wahre Natur des Gegenfatzes, der zwifchen
Celfus und Origenes obwaltete, im Voraus verwirren
wird. Der Standpunkt beider Männer läfst fich eben
gar nicht richtig aus der verfchiedenen Stellung erfchliefsen,
die fie in Bezug auf die Frage, wie fich der Menfch zu
der ihn umgebenden Natur verhält, einnehmen. Der
,Naturalismus' des Celfus ift durchaus als ein fehr untergeordnetes
Stück aus der Weltbetrachtung diefes Philo-
fophen zu beurtheilen; und umgekehrt: die teleologifche
Anfchauung des Origines — ob fie gleich die der meiften
alten Apologeten ift — ift in diefer Form fo wenig das
Charakteriftifche weder der philofophifchen Grundan-
fchauung, noch der Chriftlichkeit des Mannes, dafs fie
vielmehr fehr wohl als eine rationaliftifch-ethnifirende
Umdeutung der genuinen altteftamentlich - chriftlichen
teleologischen Weltanfchauung erfcheint. Celfus als den
,Naturaliften', Origenes als den ,Teleologen' vorftellen,
das darf man nur unter ausdrücklicher Angabe begrenzender
Cautelen wagen, und Ref. gefleht, dafs ihm diefe
Betrachtungsweife nach keiner Seite hin fruchtbar erfcheint
. Der Verf. hat einen fchweren methodifchen
Fehler begangen: er heftet feine abfolute Kritik an Ausschnitte
aus den Syftemen beider Philofophcn, ohne fich
zuvor die Frage vorgelegt zu haben, welches die um-
faffenderen, vor allen die religiöfen Grundanfchauungen
find, die hier und dort die Ausfagen beftimmt haben.
Dafür fucht er uns freilich mit allgemeinen Erörterungen
(S. 5—12. S. 34—38) über mechanische und teleologifche
Weltbetrachtung zu entfehädigen, die nur aufs neue be-
weifen, wie wenig die Befreiung von theologifchen Vor-

urtheilen die Schärfe der Beobachtung und die Klarheit
des Denkens garantirt. Um eine tiefere Einficht in die
fpeeififchen Merkmale der origeniftifchen Teleologie ift
es unferem Verf. gar nicht zu thun gewefen. Ganz
fchematifch operirt er vielmehr mit dem Begriff der Teleologie
, als ob diefer eben fo eindeutig wäre, wie der ihm
entgegengefetzte des mechanifchen Monismus. Wenn
er im Eingange ausführt, die Zweckmäfsigkeit der Welt
könne doppelter Art fein, fie könne immanent und trans-
feendent gefafst werden, fo gewahrt man leicht, dafs diefe
.Unterscheidung recht gleichgültig ift, um die verfchiedenen
teleologifchen Betrachtungen, welche hier in Frage
kommen, zu fondern. Was altteftamentliche und chrift-
liche Teleologie fei, das hätte der Verf. fogar noch aus
IV EJra VI, 55. 59 VII, 11 und Herrn. Vis. I, 1 erfehen
können. Welchen trüben und unklaren Begriff mufs er
fich von dem .moralifchen Intereffe' gebildet haben,
wenn er S. 7 fchreiben konnte: ,[Die niedere teleologifche
Weltanfchauung] pflegt fich befonders breit zu
machen, wo das moralifche Intereffe überwiegt und (!)
wo der fog. gefunde Menfchenverftand als die ausfchlag-
gebende Norm unferer Erkenntnifs gilt', und wie unzutreffend
ift das, was S. 8 über die Forderungen des religiöfen
Gemüthes gefagt wird. Von Socrates müffen wir
gar lefen, dafs er zuerft jene oberflächliche Zweckbeziehung
aller Dinge auf des Menfchen Wohl' angegeben
hat (S. 7) und S. 9 wird Pf. 8 in einem Zufammenhange
citirt, den fich V. 4 und 5 doch ausdrücklich genug verbitten
. Zu erinnern wäre auch, dafs Origenes in feiner
Polemik gegen Celfus schlechterdings niemals .schalkhaft'
geworden ift und dafs die Bezeichnung der Religion als
,des Kleinodes der Menfchenbruft' eine Phrafe ift, die
fich der Verf. doch felbft nicht hätte durchgehen laffen
dürfen. Die Schlufsbetrachtungen halten fich ganz auf
dem Niveau der einleitenden Erörterungen: die Entfchei-
dung der Frage, ob Teleologie, ob Mechanismus will
der Verf. der Philosophie überlaffen, nachdem er in einer
frappirenden Wendung die Theologie für incompetent
erklärt hat. Was er fich freilich unter Theologie gedacht
hat, ift dem Ref. durch jene Wendung nicht klar gewor-
j den. Aber den Wunfeh kann er nicht unterdrücken,
; der Verf. möge für eine Zeit noch feine hiftorifchen und
philofophifchen Studien reinlich fondern und fich den
j eindringenden Blick auf die hiftorifchen Quellen nicht
durch Rückficht auf die Zuftände der Gegenwart ablenken
laffen. Gewifs wird er dann Befferes zu leiften im
Stande fein.

2. Prof. Sörgel fchildert in feinem Programme die
I Stellung Lucian's zum Chriftenthum. In anziehender
Form und durchaus bewandert in der einfehlägigen Literatur
erörtert er nach einer kurzen Einleitung über
I das Verhältnifs des Chriftenthums zum heidnifchen Staat
j zunächst die Frage, was Lucian von dem Chriftenthum
gewufst hat, um dann erft die bekannte Erzählung des
Satirikers über den Tod des Peregrinus zu beurtheilen
und zu werthen. (Mit Recht hält Sörgel Peregr. 11—16
neben Alex. 25. 38 für die einzige Quelle, aus welcher
wir Lucian's Stellung zum Chriftenthum erfchliefsen dürfen),
j Seinem Endresultate können wir nur beistimmen. Lucian
| erzählt die Geschichte des Peregrinus in der Hauptfache
fo, wie er diefelbe, freilich verworren genug, gehört hatte.
So wenig es fich leugnen läfst, dafs Lucian fich mit
Spott gegen das Chriftenthum ausgefprochen hat, ebensowenig
unterliegt es einem Zweifel, dafs er an eine ernstlichere
Bekämpfung desfelben niemals gedacht hat. Seine
j Kenntnifs vom Chriftenthum ift eben die oberflächlichste
| und äufserlichfte, die fich denken läfst, und von der chriftlichen
Lehre weifs er fast gar nichts. Was er durch
Hören-Sagen über das Chriftenthum vernommen, ift ihm
ausreichend gewefen, um fein Urtheil rafch abzufchliefsen,
um vor allem dasfelbe den kräftigen menschlichen Thor-
heiten beizuzählen und die Luft, fich eingehender mit
ihm zu befaffen, gar nicht aufkommen zu laffen. Andern-