09.04.2013

Quo vadis, Evangelische Kirche? Bericht über die Frühjahrstagung des Dietrich-Bonhoeffer-Vereins vom 15.–17. März 2013 im Ev. Augustinerkloster, Erfurt

Während die Medien sich tagelang ausführlich mit dem neuen Papst und der katholischen Kirche beschäftigten, fand am Wochenende in Erfurt die Frühjahrstagung des Dietrich-Bonhoeffer-Vereins (dbv) statt unter dem Thema: Dietrich Bonhoeffers Kirchen- und Gemeindeverständnis und die Restauration in der Kirche.
Wie sich die Evangelische Kirche in den nächsten Jahren weiterentwickeln sollte, ist unter Christen umstritten. Handelt es sich bei der nachlassenden Bindung der Menschen an ihre Kirche wirklich nur um eine vorübergehende Störung, wie das bereits Karl Barth 1934 sehr kritisch hinterfragte?
Diesem Problembereich stellten sich am Wochenende etwa 50 Teilnehmer unter der Leitung von Pfarrer Dr. Karl Martin und Pfarrerin Barbara Wirsen-Steetskamp, die dazu kompetente Referenten engagiert hatten wie z. B. Professor Dr. Eberhard Mechels sowie den Pfarrer und Neutestamentler Jisk Steetskamp. Der Tagungsort für dieses aktuelle Thema war mehr als angemessen: die altehrwürdigen Mauern des Augustinerklosters in Erfurt, wo Martin Luther seine Klosterjahre verbracht hatte und um Klarheit rang.
In einer Zeit der Rationalisierungsmaßnahmen, in der auf Druck kirchlicher Behörden kleinere Gemeinden häufig gegen ihren Willen aufgelöst und zusammengelegt werden, stellt sich die Frage, inwiefern unsere Kirche noch »Christus verwirklicht«, lebendiger »Leib Christi« ist, wie es das Neue Testament formuliert. Passt sich unsere Kirche nicht zu sehr dem Zeitgeist an, wo Effektivität, Erfolgsbilanzen und finanzielle Absicherung zum Leitbild gehören? Dr. Michels stellte fest, dass die Ökonomisierung aller Lebensbereiche letztlich auch die Religion entwertet – sie wird zur Privatsache.
Ist nicht auch das Impulspapier der Ev. Kirche Deutschlands (EKD) »Kirche der Freiheit« (2003), das Orientierung geben wollte, als eher hilfloser Versuch zu bewerten, diese Säkularisierungstendenzen und die wachsende Entfremdung der evangelischen Christen zu ihrer »Amts«-Kirche mit dem positiven Begriff »Freiheit« zu bezeichnen?, fragten sich die Teilnehmer. Pluralismus und Beliebigkeit als Chance? Frömmigkeit des Einzelnen statt gelebter Gemeinschaft?
Die packenden Referate und Diskussionen über das Kirchen- und Gemeindeverständnis Bonhoeffers und über die Vielfalt der Vorstellungen von Gemeinde, wie sie im Neuen Testament deutlich werden, machten klar:
Das Verhältnis von Gemeinde und Kirche bedeutet nach biblischem Verständnis nicht: hier bestimmende Amtskirche, da untergeordnete Einzelgemeinden. Christus ist als Gemeinde existierend, wie es Bonhoeffer formuliert. Kirche existiert also nur als lebendige Gemeinde, und diese Gemeinde ist eine konkrete Gemeinschaft von Menschen. Als »Leib Christi« verwirklicht sie Christus im »Beten und Tun des Gerechten« (Bonhoeffer), d. h. im Dienen, im Dasein für andere, im Zuhören, Stärken, Trösten, Wertschätzen, in Not Unterstützen, auch gemeinsam Feiern und Trauern. Kann das eine privilegierte Kirche leisten, die als »Körperschaft des öffentlichen Rechts« gilt? Hat sich die Evangelische Kirche nach 1945 nicht mit ihren Restaurations- und Zentralisierungstendenzen einer wichtigen Neubesinnung verweigert, wie sie bereits Bonhoeffer skizziert hatte, und so zu einer wachsenden Entfremdung ihrer Mitglieder beigetragen?
Basis der Kirche sind die konkreten Gemeinden. Das war Konsens. Worin geht nun Gemeinde auf? Sicherlich nicht nur im oft schwach besuchten sonntäglichen Gottesdienst, war das Resümee der Gruppe. Die Mitte der Gemeinde ist nicht beliebig – wenn Christus die Mitte ist, dann ist, neben der Verkündigung, die Sorge für Benachteiligte, das Dienen, zentral: diakonisches Handeln. Nicht alles, was wünschenswert ist, ist aber per Verordnung von oben machbar und planbar. Die Kirche sollte sich nicht vorrangig als religiöse Dienstleistungsorganisation verstehen, sondern dem Anpassungsdruck von Staat und Gesellschaft widerstehen. Den Christen täte mehr Demut gut, die mit Gottes Gegenwart rechnet, wo immer Menschen sich in Liebe anderen Menschen öffnen und zuwenden.
Ein Höhepunkt der Tagung war am Samstagabend in der Michaeliskirche die äußerst eindrucksvolle Darbietung eines Theaterstücks von Jackson Ho und Brigitte Hube-Hosfeld aus Berlin, das unter dem Titel: »Glaube-Liebe-Widerstand-Zivilcourage« das Ringen Bonhoeffers um Wahrheit, Glaubenstreue und Widerstand angesichts von Folter- und Todesdrohungen seiner Feinde in Szene setzte.
Fazit: Die Erfahrung von gelingender Gemeinde war in dieser Tagung konkret spürbar: gute Gespräche, das Ringen um Klarheit und um positive Ansätze für die konkrete Arbeit vor Ort: Offenheit, Zuhören, Wertschätzung und das Gefühl der Verbundenheit im Glauben, das sich am Schluss auch in einem Gottesdienst im Kapitelsaal des Augustinerklosters manifestierte. Der Bonhoeffer-Verein hat mit dieser Tagung wichtige Impulse zu einer Stärkung der Gemeinden gegeben und die Notwendigkeit eines veränderten Kirchenbegriffs und einer Neuorientierung der EKD betont.

Renate Witzlau
61476 Kronberg, Schönberg
R.witzlau@web.de

Kontaktdaten des Dietrich-Bonhoeffer-Vereins (dbv):
Dr. Karl Martin, Vors.
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Fax: (030) 20050866
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