04.04.2019

Bericht über die Tagung an der LMU München: »Die Entdeckung der Inneren Welt« – Enzyklopädische Verständigungen zwischen Theologie und Religionspsychologie« 23.–25.11.2018

Die Einladung zur interdisziplinären Tagung der theologischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität in München versprach laut Ausschreibung eine enzyklopädische Verständigung zwischen den »zwei ungleichen humanwissenschaftlichen Geschwistern« Psychologie und Theologie. Dieser Einladung folgten Vertreterinnen und Vertreter verschiedener Forschungsbereiche und boten Einblicke in ihre Werkstätten und Forschungsergebnisse. Der Religionspsychologie wurde insgesamt eine problematisierend-funktionale Relevanz im Zugang zur inneren Welt des Menschen zugeschrieben, die für die Bearbeitung von Kulturphänomenen (wie z. B. des »religiösen Ausdrucks«) geeignet scheint und ebenso einen Beitrag für die wissenschaftliche Theologie insgesamt verspricht.
Zu Beginn erläuterte der Auftaktvortrag von Jacob van Belzen (Religionspsychologie, Amsterdam), welch unterschiedliche Empiriebegriffe die theologische von der psychologisch etablierten Methodologie trenne. Daraus resultieren auch die drei in der Forschungsgeschichte vorfindlichen verschiedenen Blickrichtungen einer »Psychologie der Religion« im Allgemeinen: Während religionspsychologische Forschung sich zunächst nicht als Analyse religiöser Phänomene verstehen könne, sondern sich in einer religionskritisch-dekonstruierenden Manier der Applikation psychologischer Phänomene widme, existiere daneben auch das Verständnis, welches Religionspsychologie als Exploration religiöser Phänomene verstehe. Ein drittes Verständnis erläuterte van Belzen mit einem möglichen Explanations-Duktus religionspsychologischer Forschung, die dann den Anspruch auf eine Erklärung des Phänomens »Religion« erhebe. Die modernen religionspsychologischen Ansätze hätten jedoch den Anspruch einer normativen Wissenschaft abgelegt und orientierten sich an naturwissenschaftlich experimentellen Studien. Dieser grundsätzlichen Problematisierung einer in sich unauflöslichen Perspektivendifferenz theologischer und psychologischer Forschung schloss sich dann der Beitrag von Konstantin Klein (Spiritual Care, München) an. In seiner qualitativen Auswertung der Interviewergebnisse des »Religionsmonitors« von 2012 ging Klein der Frage nach, inwiefern «die Erfahrungsdimension die basalste Ausdrucksform von Religiosität« sei. Anhand der Umfragen von Glock (1962) und Huber (2003) ließe sich zeigen, dass Religiosität in Deutschland am häufigsten in Form von religiösen Erfahrungen und religiösem Interesse zum Ausdruck kommt. Spiritualität sei bei spirituell Interessierten hoch mit deren Interpretation (bspw. positiver Affekt, noetische Qualität und Heiligkeit) korreliert. Religiosität stehe dabei im Zusammenhang mit Spiritualität, aber sie korreliere mit den Faktoren der Mystizismus-Skala nur bei der transzendenzgläubigen Teilstichprobe. Daraus leitete er ab, dass religionsaffine bzw. mystische Erfahrungen durchaus verbreitet seien, diese jedoch einer religiösen Ausdeutung bedürfen. So fänden sich zwar inhaltliche Gemeinsamkeiten in diversen Religions- und Spiritualitätskonzepten, doch mit der postmodernen Einzeichnung der individuellen Erfahrungskategorie und der damit verbundenen Konkretion löse das »Spiritualitäts-Vokabular« nachweislich die Kategorie »Religion« ab.
Anschließend ging Stephanie Gripentrog (Religionswissenschaft, Kiel) mit ihrem Vortrag auf anormale Phänomene im Grenzbereich zwischen Psychologie und Religion ein. Die ‚Anomalität‘ in der Religion verdeutlichte sie am Filmbeispiel »the Rite« und fokussierte dabei das Themenfeld »Exorzismus«, das spätestens seit der Buchveröffentlichung von Markus Wegner mit dem Titel »Exorzismus Heute – der Teufel spricht deutsch« auch im deutschen Sprachraum angekommen sei. Exorzismus sei nur ein Beispiel für das neue Aufkommen der Frage nach Devianz in Ausdrucksphänomenen der inneren Welt und den daraus resultierenden Bewertungen. Während in katholischen und theosophischen Konzepten Exorzismus-Verständnisse im Bereich der »Heilsvermittlung« angelegt seien, habe die im 19. Jh. aufkommende Religionspsychologie nach dem dahinterstehenden Seelenleben gefragt. Am Beispiel von Johann C. Heinroths »Lehrbuch der Störungen des Seelenlebens« und Karl Wilhelm Idelers »Theorie des religiösen Wahnsinns« zeigt Gripentrog die Konfliktlinie von somatischen und psychologischen Erklärungen für Religion und die Debatte um Neubestimmungen innerhalb des religiösen Feldes auf, welche sich in der Historie auf unterschiedliche Weise wiederfänden. Das Anormale sei ein bleibender Teil der religiösen und psychologischen Debatten und nicht immer war es für Religion konstitutiv. Aber wo es beobachtet wurde, trat Religion häufig zu seiner Bearbeitung auf. Dies habe sie mit der Psychologie und Psychiatrie gemein und dadurch könne das »Anormale« als ein religionspsychologisches Aufgabenfeld angesehen und für religionstheoretische Prämissen fruchtbar gemacht werden.
In der Rolle des Kommentators resümierte dann Bernhard Lauxmann (Praktische Theologie, Wien), dass theologische Wissenschaft keinem Deutungszwang unterstehe, sondern zunächst eine Beschreibung der Gegenwart und Phänomensichtung in der Hyperkultur leiste, sowie die Untersuchung ihrer Argumentationen Konsistenz und Evidenz anbringen könne. Dazu benötige es Semantiken, die religiöse oder spirituelle Erfahrungen deuten können, gerade weil religiöse Erfahrungen zunehmend singulär seien.
Als Vertreterin der pastoralpsychologischen Tradition untersuchte Susanne Heine (Praktische Theologie, Wien) in ihrem Beitrag die zugrundeliegenden Menschenbilder der psychoanalytischen Konzepte S. Freuds und C. G. Jungs, deren pastoralpsychologische Rezeption im 20. Jahrhundert eine Sensibilität für speziell religionspsychologische Fragestellungen auf den Weg gebracht haben. Zunächst referierte sie grundlegende psychoanalytische Vorverständnisse Freuds sowie die Grundlinien aristotelischer Substanzmetaphysik, die eine Basis für die Werke C. G. Jungs seien. Freilich liege die latente Tragik menschlichen Daseins nach Freud in der Vorannahme des menschlichen Intellekts, der das Spannungsverhältnis zur offenkundigen Triebdynamik des Menschen eröffne, weshalb die Definition des »vernunftbegabten Menschen« bei Freud um die des »Triebwesens« erweitert werde. Die Tradition der Pastoralpsychologie wertete Heine im Anschluss daran als Versuch einer Rezeption, die auf die Anschlussfähigkeit theologischer Termini an die Begriffssprache psychologischer Konzepte unter den Voraussetzungen der empirischen bzw. anthropologischen Wende und dem Individualisierungsparadigma bedacht sei. Diese These verdeutlichte sie sowohl in der Beschreibung von Assimilationen (psychologische Begriffe werden mit theologischen Inhalten gefüllt) als auch Akkomodationen (theologische Begriffe werden mit psychologischer Semantik verbunden) in der Freud-Rezeption durch Pfister und Stollberg und der Jung-Rezeption durch Haendler. Schließlich habe aber die Entwicklung der pastoralpsychologischen Tradition einen wesentlichen Beitrag für die polyperspektivischen Zugänge zum Menschen geleistet, die eine (neue) Hermeneutik des Daseins in all ihrer Komplexität als Disziplinen übergreifenden Ansatz verstehe und somit einen dauerhaften Dialog zwischen der Psychologie und Theologie etabliert habe.
Für die alttestamentliche Wissenschaft erörterte zur Halbzeit der Tagung Matthias Hopf (Basel) die Frage, ob sich im Spektrum religiöser Gefühlsmetaphorik auch ein »Gefühl der Heiligkeit« beschreiben ließe und am Text des Heiligkeitsgesetzes verdeutlicht werden könne. Für die Erhebung eines solchen Anliegens bleibe jedoch die hermeneutische Grundspannung der literarisch reflektierten Zwischenebene von affektiven Regungen bestehen, die für die Textwissenschaften die eine Beschäftigung mit bereits gedeuteter Wirklichkeitserfassung im schriftlichen Zeugnis voraussetze. Außerdem vermeide die hebräische Sprache neben einem theoretischen Gefühlsdiskurs auch die Verwendung von signifikanten Gefühlstermini in Rechtstexten, was jedoch, so die These Hopfs, nicht den zwangsläufigen Verzicht emotionaler Konnotation in spezifischen Textgattungen impliziere. Im Anschluss an Entwürfe alttestamentlicher Anthropologie definierte Hopf thematische Konvergenzlinien der Forschungslandschaft, denen zufolge Gefühle in alttestamentlichen Texten nicht als »innere Entitäten« verstanden werden, sondern den Menschen von außen ereilen und häufig mit Hilfe von Organ-Lexemen deskriptiven Charakter hätten. In seiner historischen Exegese wesentlicher Passagen des Heiligkeitsgesetzes problematisierte Hopf die Generierung der Heiligkeitskonzeption mit Hilfe ambivalenter (wie z. B. der Gottesfurcht) oder auch negativer Gefühlskategorien (wie z. B. Abscheulichkeit, Angst vor dem Zorn Gottes) und deutete diese Gefühlsbeschreibung als affektive Konditionierung innerhalb von Rechtstexten.
An die Methode einer historischen Emotionsdiskursanalyse anknüpfend erläuterte Bettina Hitzer (Geschichtswissenschaft, Berlin) die dem Protestantismus inhärente Grundspannung von emotionaler Erfahrung und Verstand. Dies veranschaulichte sie an Frömmigkeitsformen und verglich liberal-protestantische Entwicklungslinien mit den pietistischen Traditionen der Gemeinschafts- und Erweckungsbewegung. Dabei sei Emotion nicht in einem essentialistischen Sinne zu verstehen, sondern kultureller und historischer Bedingtheit unterzuordnen, weshalb innere Gefühle nicht notwendig in linearer Abhängigkeit mit dem Gefühlsausdruck verbunden seien. So stellte sie die Topographie von Gefühlen im Protestantismus exemplarisch an der Gemeinschaftsbewegung dar und fragte, ob es in protestantischer Tradition eine Historisierungsleistung im Verständnis von »religiösen Gefühlen« gebe, wobei ein solches Verständnis auch mit der Säkularisierungs- und Rationalisierungsthese kompatibel sei. Der sichtbare Enthusiasmus, wie er in der Gemeinschaftsbewegung üblich war, sei in der historischen Entwicklung einem »heiligen Ernst« gewichen.
Lukas Meyer (Systematische Theologie, München) fasste im Anschluss die beiden Vorträge zusammen, indem er die unterschiedlichen emotionalen Vollzugsrichtungen voneinander abgrenzte. Während im Alten Testament der Annäherung an das Affektive eher eine Äußerlichkeit anhaftet, stellten die emotionshistorischen Zugänge die Innerlichkeit stärker in den Fokus. Beide Vorträge verbinde die Methodik als Diskussionspunkt, mit dem Blick auf den Zusammenhang von Kollektivität, Individualität und Kontextualität. Er stellte hierfür die Frage in den Raum, ob sich etwa eine alttestamentliche Emotionsforschung anstreben ließe. Die Erforschung von Gefühlen sei stets abhängig von Konnotationen und den sozial geformten Verständnissen. Dies zeigte sich auch im Vortrag von Roderich Barth (Systematische Theologie, Leipzig), der in seinen Überlegungen die Frage nach einer »Dogmatik mit Gefühl« stellte und ein Desiderat aufwies, mit dem die neuere Emotionsdebatte aus systematisch-theologischer Perspektive rezipiert werden könne. Ausgehend von den Überlegungen Schleiermachers zum Gemüt skizzierte Barth, dass die Psychologie als deutende und empirische Wissenschaft erforderlich sei, um dem fortwährenden Wissensgenerierungsprozess neue Anregungen zu liefern. So könne die Psychologie beispielsweise keinen Seelenbegriff voraussetzen, sondern dieser sei Resultat der Psychologie, da die Seele nur mit dem Leib gegeben sei. Daher beginne Schleiermacher seine Überlegungen auf Grundlage des Lebensbegriffs. Die Emanzipation der Gefühle sei forschungsgeschichtlich parallel zur Emanzipation der wissenschaftlichen Psychologie erfolgt und eng mit der Etablierung der experimentellen Psychologie verbunden. Emotionen würden über alle theoretischen Differenzen hinweg als Klasse mentaler Vorkommnisse aufgefasst, für die eine Abgrenzung hinsichtlich ihrer Kognition (»emotional turn«) und der Über-Intellektualisierung nötig sei. Ohne die psychologische Deskription humaner Sorge blieben die soteriologischen Schemata eine Antwort auf eine nicht gestellte Frage. Tillich könne hier als Aufforderung zu einem emotionspsychologischen Verständnis gelesen werden.
Als »unüberschaubaren Strom in der Geschichte« bezeichnete dann Martin Fritz (Systematische Theologie, Neuendettelsau) die Emotionsgeschichte und ordnete die Diskurse über die Emotionsgeschichte und ihre Verortungen in ihren historischen Kontext ein. Die Emotionsgeschichte sei ein »Boom« der Geschichtswissenschaft, die ihren Höhepunkt bereits überschritten habe. Gefühle beeinflussten Geschichte durch ihre soziokulturelle Verflechtung. Gefühlsnormen seien an Sozialisation und Gruppendynamik gebunden (emotional communities). Im Laufe der Zeit seien sie von bloßer Innerlichkeit zu körperlichen Empfindungen externalisiert worden. Eine Emotionsgeschichte der Theologie thematisiere eben diese historische und kulturelle Verankerung religiösen Erlebens und behalte die Konstitution in kollektiven Normierungsprozessen im Blick. Am Beispiel der Studien von M. Scheer und B. Hitzer erläuterte Fritz die Verbindung von religiösen Gefühlen mit Frömmigkeitsbewegungen, welche für die Großkirchen stets eine Herausforderung gewesen seien. Es gehe in der Historie häufig um die Frage richtiger und falscher Gefühle. So sei die Aussage, dass »das Heilige still und das Wahngeistige laut sei« eine angesichts der religionskritischen Gesamtatmosphäre historisch schlüssige Aussage. Jedoch habe sich die historische Reflexion einer normativen Wertung zu enthalten. Ein Verständnis religiöser Gefühle sei immer nur unter Beachtung der kulturellen Entwicklung möglich und bleibe ein an das Subjekt gebundenes Phänomen. Im Duett konkretisierten dann Christoph Wiesinger (Praktische Theologie, Heidelberg) und Caroline Teschmer (Praktische Theologie, Bochum) die Phänomenologie von Angst und Liebe als Charakteristik der Vereinzelung und der Vergemeinschaftung. Auf phänomenologischer Ebene seien die beiden konträren Emotionen untrennbar verbunden. Angst stelle dabei »das Ganze« in Frage und sei im Gegensatz zur Furcht nicht auf einen Gegenstand bezogen. Die Angst durchbricht die Konstanz im Weltverhältnis und vereinzele folglich das Dasein. Im Anschluss an Heidegger korreliere Angst auch mit dem Tod. Liebe sei die Gegenbewegung der Vereinzelung und habe in all ihren Dimensionen die affektive Zuneigung zu einer Person bzw. Personalität gemein. Man unterscheide eros (begehrende Liebe) und agape (barmherzige Liebe), welche zwar wie Gegensätze schienen, aber nur gemeinsam durch Zuneigung (eros) und Zuwendung (agape) der Rücksichtslosigkeit entgegen stünden. Religiöse Entwicklung stehe daher in der Spannungslinie dieser zwei Phänomene und diese Spannung bilde das Anliegen der Begleitung religiöser Entwicklungsprozesse, die sich in ihrer Komplexität einer Typisierung in »Stufen« entzögen. Der Ausblick einer gleichzeitigen Problematisierung und Dynamisierung der religiösen Entwicklung hielt die Frage offen, ob dem Menschenbild Eriksons nicht die Komplexität der menschlichen Existenz einen Weg weise.
Als Tagesabschluss skizzierte Jan Hoffmann (Systematische Theologie, Marburg) schließlich seine Beobachtungen zu Gefühlskonzeptionen der Aufklärungstheologie und verdeutlichte dies an Predigtauszügen J. F. W. Jerusalems (1709–1789). In einem methodischen Dreischritt zeigte er die Anschlussfähigkeit aufklärerischer Zugänge zur Theorie des Affektiven für die aktuellen dogmatischen Konzepte zu »Stimmung« und Gestimmtheit« als theologische Rede vom Menschen. Das Anliegen einer Kultivierung des Inneren werde in der Aufmerksamkeit der Aufklärer auf durative Elemente des religiösen Erlebens ersichtlich. Gegen Ende seines Beitrags griff der Marburger Theologe dann auf die Aufgaben der zukünftigen Dogmatik vor, die u. a. in der dogmatischen Einordnung und Thematisierung der Religionspsychologie bestehe.

Unter dem Eindruck des abschließenden Vormittags erkundete Jörg Noller (Philosophie, München) in seinem Vortrag »Spiegelung der Seele« die Begründungszusammenhänge von Subjektivität, Personalität und Innerlichkeit am Beispiel Johann Arndts. Dieser Linie folgend wurde das Subjektivitätsverständnis anhand der Werke Arndts mit Hilfe der Spiegelmetapher skizziert. Es ließe sich nur solches im Spiegelbild fassen, was medial und reflexiv vermittelbar sei. Die Frage nach schöpfungstheologischen Bestimmungen des Menschen in der lutherischen Tradition wurde dann von der Frage bzgl. Selbsterkenntnis, wie sie im dt. Idealismus verhandelt wurde, abgelöst. Noller schloss dann vor dem Hintergrund der Personalitätsbegründung seine Darstellung in trinitätstheologischer Manier und bezog sich neben W. Pannenberg auch auf die aktuellen Theorien zur Person von Parfit, Olson und Baker. Als offene Fragen formulierte er den Zusammenhang von Personalität und Selbstbewusstsein, Subjektivität und Organismus bzw. Körpergefühl und Personalität.
Mit einer kurzen Sammelresponse antwortete Lea Chilian (Systematische Theologie, München) auf die beiden systematisch-theologischen Beiträge, indem sie die lebensweltliche Rückbindung der dogmatischen Rede von Emotionen im Anschluss an Lauster als Chance für eine zeitgenössische und anschlussfähige Theologie betonte. Gefühle stünden für einen subjektorientierten Ankerpunkt, der nicht nur als Reaktion auf Wirklichkeitserleben zu verstehen sei, sondern auch als Antrieb einer aufklärerischen Sprachfindung und Ausdrucksgewissheit des Menschen gesehen werden könne. Dies zeige die Beschäftigung mit der Aufklärungszeit, sowie die entwicklungstheoretischen Perspektiven in der Religionspädagogik. Notwendige Differenzierungen seien bzgl. eines vereinnahmenden Handlungsbegriffs und einer Simplifizierung gegenüber sinnlicher Wahrnehmung zu bedenken. Chilian verwies außerdem auf die bereits in der systematischen Theologie hervorgegangenen Reaktionen auf das Problemfeld der Emotionen durch Gräb / Lauster / Barth / Zarnow.
Das Münchner Tagungsteam rundete dann die enzyklopädischen Verständigungen ab. Niklas Schleicher (Systematische Theologie, München) beleuchtete zunächst die Stellung der Emotion in der (theologischen) Ethik. Emotionen seien subjektive Werturteile im Anschluss an Sachverhalte. An Publikationen von E. Herms exemplifizierte Schleicher, dass Emotionen in der systematischen Theologie und Ethik bisher vernachlässigt worden seien. Ihnen komme jedoch für beide eine erhebliche Bedeutung zu. Den ethischen Entwürfen von Herms, Körtner und Smith sei die Ausblendung, Reduktion und Unterordnung von Emotionen in ihrer Theoriebildung gemein. Der Entwurf J. Fischers dagegen zeige, dass Emotionen als evaluative Wahrheit zu verstehen seien. Emotionen seien nicht bloßer Antrieb, sondern haben eine Relevanz für Erkenntnisprozesse. Es gebe Emotionskomponenten die auf den Menschen wirken und dabei häufig mit bestimmten Narrationen verbunden seien. Die Ambivalenz der Emotionen-Beurteilung verstand er als Faktor für religiöse Erfahrung. Beide verbinde der Umstand, dass sie nicht rational zu erzeugen seien. Ein Modell einer deskriptiven Ethik verstehe dann Handeln und Emotion als gleichwertig, weshalb auch psychologische Forschung als Weg zum Menschen für die theologische Ethik essentiell sei.
Annette Haußmann (Praktische Theologie, München), Peter Schüz (Systematische Theologie, München) und Birthe Boettcher (Stud. Theol. & Psych., Marburg) resümierten abschließend im Trio über interdisziplinäre Perspektiven bzgl. religionspsychologischer Phänomene, Empiriebegriffen und deren Relevanz für Ausbildungscurricula.
Das Spannungsverhältnis der Religionspsychologie zeige sich bereits im Rahmen der Ausbildung, so Boettcher. Die Frage, ob Studierende von der interdisziplinären Verbindung der Religionspsychologie und der Theologie profitieren könnten, stelle sich aufgrund des fehlenden universitären Niederschlags eher im Konjunktiv. Jedoch habe bereits Tillich verdeutlicht, dass keine Lehre vom Menschen ihre Aufgabe ohne Einbezug aller Wissenschaften erfüllen könne. Das Studium als Selbstbildungsprozess junger Menschen sollte daher gerade die interdisziplinäre Denk- und Arbeitsweise und das Aufnehmen von Erkenntnissen anderer Disziplinen fördern. Das Reizvolle seien nach Haußmann die unterschiedlichen methodischen und inhaltlichen Zugänge der Disziplinen in ihrer Spannung. Es bedürfe einer religionspsychologischen Sensibilität immer mit zeithistorischem Krisenbewusstsein. Das Dunkle des Religiösen, welches Schütz thematisierte, bringe zweierlei Probleme mit: Einerseits die dunklen Begriffe und andererseits das Problem dunkler Phänomene. Beides seien psychologisch greifbare Momente, die den modernen Menschen affizierten und denen bisher eine dogmatische Reintegration verwehrt bliebe. Nach Haußmann sei dies auch ein Problem der Zugänge zur Religionspsychologie. Aus der Historie heraus sei eine zunehmende Professionalisierung der Religionspsychologie in Richtung der empirisch geprägten Psychologie und eine vorwiegende Rezeption innerhalb der Praktischen Theologie und Seelsorgelehre zu beobachten. Sie stellte daher die Frage in den Raum, was passieren würde, wenn man exegetische oder ethische Gedanken auf ihre religionspsychologische Seite hin befragen würde. Häufig gebe es im interdisziplinären Austausch die Tendenz der Problematisierung großer Begriffe, wobei die Normativität als Trennungs- und Differenzkriterium in den Vordergrund gestellt werden. Bewertungen seien relevant, da sie sich auf Handlungen und Praxen richten, jedoch sei eine dualistische Betrachtung von Emotionen nicht zielführend, da diese immer situationsgebunden seien. Innerlichkeit sei eben keine abgeschlossene philosophische Diskussion, sondern stehe immer im Zusammenhang mit dem sozialen Kontext. Es dürfe entsprechend nicht zur Etikettierung einzelner Gefühle durch die Religionspsychologie kommen, sondern es bedürfe einer differenzierten Betrachtung der einzelnen Phänomene unter Einbezug der bereits vorhandenen empirisch-psychologischen Erkenntnisse. Nicht die Verschmelzung beider Disziplinen sei schließlich das Ziel, sondern das Aushalten des interdisziplinären Spannungsverhältnisses, das seinerseits zu produktiven Weiterentwicklungen der Forschungslandschaft führen könne.

Voraussichtlich 2020 werden die Beiträge zur Tagung in einem Sammelband bei Mohr Siebeck (Tübingen) erscheinen.

Bericht von Birthe Boettcher und Christian Kolodzey