08.05.2017

»Vermittelte Confessio. Kommunikationspraktiken religiöser Wahrnehmung im 17. Jahrhundert« – Dritter Workshop des DFG-Netzwerks »Confessio im Konflikt. Religiöse Selbst- und Fremdwahrnehmung im 17. Jahrhundert« (16.–18. Februar 2017 in Wuppertal)

Veranstalter: Marco Cavarzere, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg / Christian V. Witt, Bergische Universität Wuppertal.

Bericht von Joachim Werz, SFB 923 ›Bedrohte Ordnungen‹, Eberhard Karls Universität Tübingen, E-Mail: joachim.werz@uni-tuebingen.de

Das seit 2015 bestehende DFG-Netzwerk »Confessio im Konflikt. Religiöse Selbst- und Fremdwahrnehmung im 17. Jahrhundert« geht interdisziplinär den medial und diskursiv artikulierten Zusammenhängen zwischen Fremd- und Selbstwahrnehmung der Confessio und dem individuell-subjektivem Bekennen in den verschiedenen Ausprägungen des 17. Jahrhunderts nach. Fragen des Zusammenspiels von Bekenntnisakt, Wahrnehmungsformation, inter- und binnenkonfessioneller Kommunikation wie auch von Realisations- und Artikulationsformen sollen für das Jahrhundert nach der Reformation beantwortet werden. Dabei werden besonders Wirkung und historiographische Rezeption der medial kommunizierten Confessio mit institutionellen, rechtlichen und religiös-konfessionellen Inhalten untersucht und kontextualisiert. Das DFG-Netzwerk versteht – im Sinne einer diskursanalytischen und semantischen Heuristik religiöser Wahrnehmungsmuster – Confessio als eine medial kommunizierte Vermittlung von Wissen, durch welche es möglich ist, den Blick auf die individuell-subjektive Ebene des Bekennens zu richten. Dadurch werden individuelle Meinungen und überindividuelle bzw. institutionell perpetuierte Prägefaktoren kontrastierbar. Untersucht werden hierfür literarisch-publizistische, theologische, inter- und binnenkonfessionelle Diskurse zwischen Einzelnen und/oder Institutionen lutherischer, reformierter und nachtridentinischer Provenienz, die durch Medien wie Flugblättern, Bildern, Predigten und Inszenierungen kirchlicher Feste und ritueller Zeremonien, die Confessio vermitteln. Um Gemeinsamkeiten und Unterschiede struktureller Art wie auch die daraus oftmals resultierenden Konflikte markieren zu können, wählt das Netzwerk eine europäische Perspektive auf religiös-konfessionelle Wahrnehmungsformationen und deren mediale Kommunikation.

Im Fokus des dritten Treffens des Netzwerkes standen Formen der konfessionellen Kommunikationspraxis von religiöser Wahrnehmung im 17. Jahrhundert, die vor allem aus kirchenhistorischer, theologisch-systematischer und sprachwissenschaftlicher Perspektive erörtert wurden. Der Workshop widmete sich Fragen der Medialität, konkreter Kommunikationsformen und inhaltlicher Aussagen. Um diesen Fragen nachzugehen, wurden in den einzelnen Beiträgen Kommunikationspraktiken in Bekenntnisschriften, Predigten, Flugblättern, Gelehrtenpublizistik und theologischen Traktaten untersucht.

Nach der Begrüßung durch Christian V. Witt (Wuppertal) referierte Marco Cavarzere (Erlangen-Nürnberg) in seinem Einführungsvortrag zu den Zeremonien und Feiern des römischen Hofes und deren Betrachtung vonseiten der Protestanten. Im Mittelpunkt standen protestantische Berichte über das päpstliche Konklave und die Konklavereform von Hermann Conring unter Papst Gregor XV., für welche sich – für die Provenienz untypisch – nur wenige polemische Sentenzen herausarbeiten lassen. Anhand dieses kommunikationstheoretisch analysierten Quellenbeispiels konnte gezeigt werden, dass die von evangelischen Gelehrten verfassten Editionen päpstlicher Dokumente und Berichte über Aspekte des römischen Hoflebens primär dazu beitrugen, die Selbstwahrnehmung des Protestantismus, aber auch eine klare Abgrenzung zur zeremoniellen Welt des Papsttums durch die individuelle Wahrnehmung zu kommunizieren und auf diesem Weg die eigene Konfession zu legitimieren.

Die von Maciej Ptaszyński (Warschau) moderierte erste Sektion eröffnete der Vortrag von Christine Schoen (Wuppertal) über ihr Promotionsprojekt zur Confessio Bohemica. Schoen stellte in einem ersten Schritt den Entstehungskontext des Bekenntnistextes vor und ging dabei der Frage nach, inwiefern sich Einflüsse des Philippismus auf die Confessio Bohemica erkennen lassen. Von der bislang weitgehend unerforschten Wirkungsgeschichte der Bekenntnisschrift ausgehend, stellte Schoen die Bedeutung des Prozesses der böhmischen Bekenntnisbildung für die Erschließung konfessioneller Wahrnehmungsmuster in Osteuropa heraus. Joachim Werz (Tübingen) ging in der Vorstellung seines Promotionsprojekts auf vor- und nachtridentinische Prediger ein. Am Beispiel des in Augsburg wirkenden Lehrers, Laien und Predigtschriftstellers Bartholomäus Wagner arbeitete er zum einen seinen methodischen Zugang (Pierre Bourdieus Habitus-Konzept) und zum anderen biographische und aus den Predigten resultierende Beobachtungen zu Wagners konfessioneller Selbst- und Fremdwahrnehmung heraus. Dabei verwies er auf eine binnenkonfessionelle Pluralität bei Predigern vor und nach dem Konzil von Trient.

Klaus-Dieter Osthövener (Marburg) referierte mit Bezug auf Friedrich Ernst Kettner, Schüler von Christian Thomasius, zur Eklektik. Diese habe als Phänomen des ausgehenden 17. Jahrhunderts zweihundert Jahre später eine starke Rezeption als Gegenbegriff zur philosophischen Schule bzw. Sekte erfahren. Vor allem war es – so Osthövener – das Moment der Freiheit, d. h. die freie Zustimmung des generischen Ichs, das sich in der Eklektik des 17. Jahrhunderts niedergeschlagen hat. Wie Kettner in seiner Schrift De religione prudentium herausstellte, wage es die Religion der Klugen über die Natur hinauszudenken und differenziere zwischen der rechten und der falschen religio eklektika. Nach Kettner sei die rein lutherische Religion die beste Wahl und bedürfe einer konfessionell konkreten Bestimmung. Diese Art der Kommunikation von Confessio wurde an Universität, Kirche und Hof auf verschiedene Weise rezipiert. Osthövener verdeutlichte, dass den Jahrzehnten um 1700 eine prägende Kraft innewohnte, indem sich hier eigenständige Transmissionsprozesse zwischen den Knotenpunkten von Pietismus und Aufklärung vollzogen. Günther Wassilowsky (Frankfurt a. M.) beschloss den ersten Tag mit konzeptionellen Überlegungen zur katholischen Konfessionskultur als ein analytisches Instrumentarium, durch welches tieferes Verstehen darüber gewonnen werden kann, wie das konfessionelle Eigene, aber auch das konfessionelle Fremde im 17. Jahrhundert wahrgenommen wurden. Dabei plädierte er dafür, dass mit dem Begriff der katholischen Konfessionskultur die Konfessionen selbst als Kultur begriffen werden sollten, da diese interaktive symbolische Handlungen und Wirklichkeiten erzeugten. Wassilowsky markierte besonders das Konzil von Trient als ein Ereignis, durch das binnenkonfessionelle Pluralität und konfessionelle Ambiguität möglich wurde. Sein Ansatz, Konfessionen zum einen in Typen konfessioneller Kultur zu differenzieren und zum anderen als performative Reziprozitätsprozesse zu untersuchen, ermöglicht neue Zugänge, auch den Kommunikationspraktiken der Confessio nachzugehen. Nach Wassilowsky kann die katholische Konfessionskultur als Symbolverwendungsgesellschaft, als Konfliktgemeinschaft und auch als große Austauschgemeinschaft im Kontext der Reziprozität von Gnadengabe und Gegengabe verstanden werden.

Der zweite Workshoptag wurde durch den Vortrag von Andreas Pietsch (Münster) eröffnet. Pietsch untersuchte konfessionelle Zwischenräume und Ambiguitäten am Beispiel der sogenannten Familisten, zu deren Mitgliedern die ältere Forschung vor allem Gelehrte wie etwa Justus Lipsius zählte, die konfessionell nicht eindeutig zuordenbar waren. Doch anstatt hier eine ›Sekte‹ der Gelehrten anzunehmen, plädierte er für eine genauere Analyse der polyzentrischen Lesenetzwerke familistischer Schriften; weniger die personellen als vielmehr große strukturelle Ähnlichkeit zu der ›imagined community‹ der Gelehrtenrepublik fielen hier ins Auge. Im Anschluss daran folgte eine von Mona Garloff (Stuttgart) geleitete Textdiskussion zu Konfessionalität und respublica litteraria im 17. Jahrhundert. Das Interesse richtete sich hierbei vor allem auf Aspekte des Verhältnisses von Kommunikation und Konkurrenz. In ihrem anschließenden Vortrag erschloss Maren Bienert (Hildesheim) Albrecht Ritschls ›Geschichte des Pietismus‹ als eine Form gelehrter vermittelter Confessio. Im Werk des prominenten evangelischen Theologen wird das 17. Jahrhundert so rekonstruiert, dass theologiegeschichtliche Darstellung, konfessionskundliche Orientierung sowie programmatische Ausrichtung auf die Protestantismusdeutung des 19. Jahrhunderts ineinander greifen.

Anhand verschiedener konfessioneller Flugblätter wurde von Nina-Maria Klug (Kassel) eine weitere Diskussions- und Arbeitsrunde zu kommunikativen Praktiken der medialen Vermittlung im 17. Jahrhundert geleitet. Malte von Spankeren (Münster) widmete sich publizistischen Polemiken des Türcken und Antichrist aus der Feder des zum Luthertum konvertierten, vormals reformierten Theologen Samuel Huber. Diese gegen seine ehemalige Konfessionsgemeinschaft gerichteten Aussagen können nicht nur als exemplarische Provokation im Nachgang der Publikation der Formula concordiæ verstanden, sondern auch in den Türkendiskurs der Zeit eingeordnet werden. Dieser Diskurs sei identitätspolitischen Motiven verpflichtet gewesen, denn Theologen wie Huber hätten die verallgemeinernd als Türken genannten Muslime und ihre Religionspraktiken zu diskreditieren versucht. Der Referent bemühte sich, die von Konkurrenz geprägte Kommunikation zwischen Reformierten und der osmanischen Bedrohung vorwiegend für das 16. Jahrhundert aufzuzeigen.

Der Tag wurde mit einer gemeinsamen Exkursion zur Gemarker Kirche und dem Besuch der dortigen Ausstellung »Gelebte Reformation – Die Barmer Theologische Erklärung« beschlossen. Am Samstag wurde der Workshop mit organisatorischen Besprechungen und internen Planungen des Netzwerks beendet.

Die nächste Netzwerktagung Confessio im Konflikt wird vom 22. bis 24. März 2018 an der Universität Hildesheim stattfinden.


Konferenzübersicht: »Vermittelte Confessio. Kommunikationspraktiken religiöser Wahrnehmung im 17. Jahrhundert«

16.02.:
Begrüßung: Christian V. Witt (Wuppertal)
Einführungsvortrag: Marco Cavarzere (Erlangen-Nürnberg): Die Wahrnehmung des römischen Hofes. Protestantische Konfessionskultur und antipäpstliche Polemik im Alten Reich.

Sektionsleitung: Maciej Ptaszyński (Warschau)
Christine Schoen (Wuppertal/Bethel): Die Confessio Bohemica.
Joachim Werz (Tübingen): Die Neujahrspredigten des Bartholomäus Wagner. Vermittlung präskriptiver Normen eines konfessionellen Habitus durch einen papstkirchlichen Laien.

Sektionsleitung: Kai-Ole Eberhardt (Münster)
Keynote Claus-Dieter Osthövener (Marburg): »Der eine wählet dies, der andre das«. Religiöse Eklektik als Brücke zur Aufklärung.
Keynote Günther Wassilowsky (Frankfurt): Was ist katholische Konfessionskultur?

17.02.:
Sektionsleitung: Marco Cavarzere (Erlangen-Nürnberg)
Andreas Pietsch (Münster): Grenzarbeiten am konfessionellen Feld. Christentum jenseits der Kirchen in der Frühen Neuzeit.
Textarbeit Mona Garloff (Stuttgart): Konfessionalität und respublica litteraria im 17. Jahrhundert.

Maren Bienert (Hildesheim): Zum Verhältnis von Theologie und Confessio: Protestantische Perspektiven seit Albrecht Ritschl.
Textarbeit Nina-Maria Klug (Kassel): Confessio zwischen Nähe und Distanz. Kommunikative Praktiken der Vermittlung im 17. Jahrhundert.
Malte von Spankeren (Münster): ›Türcken‹ gegen Antichristen – Publizistische Provokationen im Anschluss an die Formula concordiæ (1577) bis ins 17. Jahrhundert.

Exkursion mit Führung durch die Gemarker Kirche mit der Ausstellung »Gelebte Reformation – Die Barmer Theologische Erklärung«.

18.02.:
Netzwerkinterne Besprechung.