08.02.2017

Interdisziplinäre wissenschaftliche Tagung »Sprache. Kommunikation. Religionsunterricht. Gegenwärtige Herausforderungen religiöser Sprachbildung und Kommunikation über Religion im Religionsunterricht« (25.–27.01.2017 in Erfurt)

Die angezeigte Tagung fand vom 25. bis 27. Januar 2017 im Evangelischen Augustinerkloster zu Erfurt statt. Sie verstand sich als Auftaktveranstaltung zur Eröffnung der religionspädagogischen Forschungsstelle »Sprache. Kommunikation. Religionsunterricht«, die am Martin-Luther-Institut der Universität Erfurt im Sommer 2016 mit Unterstützung der Hochschulleitung eingerichtet werden konnte. An ihr sollen auf unterschiedlichen Terrains die aktuellen Themen religiöser Sprachbildung und Kommunikation über Religion im Religionsunterricht bearbeitet werden.

Was hat es mit diesem Thema auf sich?

Die Bedeutung der Sprache ist in der Theologie unbestritten. Die theologischen Disziplinen eint das Interesse an der anthropologisch-theologischen Frage nach der »Sagbarkeit« Gottes in der Geschichte und Gegenwart. Vor dem Hintergrund der gegenwärtigen religiösen Dispositionen in Kultur und Gesellschaft profilieren die Theologien ihre je eigenen Forschungsfelder durch Artikulation in ihren (theologischen) Fachsprachen sowie durch Beiträge zur Entwicklung einer Sprachtheologie mit Untersuchungen des Sprachgebrauchs und der Sprachverwendung der christlichen Glaubens- und Verkündigungssprache. Systematisch-theologische sowie religionspädagogische Zugänge zum Verhältnis von Religion und Sprache bzw. zur religiösen Sprache decken Zusammenhänge auf, die den hermeneutischen Rahmen des Sprachproblems der Gottesrede abstecken, nämlich theologisch von den Möglichkeiten menschlicher Gottesrede zu sprechen und Möglichkeiten zur Beschreibung religiöser Sprache zu entfalten sowie religionspädagogisch die Lern- und Bildungsmöglichkeiten des Sprechens von Gott aufzuzeigen, gerade auch am öffentlichen Ort der Schule, an dem sich durch gesellschaftliche Veränderungen religiöse Transformationsprozesse mehr als deutlich zeigen.

Obwohl auch die Bedeutung der Sprache in der religiösen Bildung unbestritten ist, hat sich die Religionspädagogik als wissenschaftliche Handlungstheorie für religiöse Bildungsprozesse in Schule und Gemeinde bislang eher verhalten des Themas Sprache angenommen. In einschlägigen Handbüchern und Lexika sind kaum längere Ausführungen über die Sprache zu finden. In Monografien, Aufsätzen und Sammelwerksbeiträgen ist das Thema spärlich gesät. So wird man beim Blick in die Landschaft heutiger religionspädagogischer Diskussionen das stiefmütterliche Dasein der Thematik Sprache konstatieren müssen.

Das Ziel und Anliegen der Tagung war es deshalb, auf dem Stand der gegenwärtigen (systematisch-)theologischen und religionspädagogischen Debatte die Bedeutung der Sprache im Kontext religiöser Bildungsprozesse der Schule und des Religionsunterrichts herauszuarbeiten. Ein kompetenter Umgang mit Sprache gehört zum Bildungsauftrag der Schule. Dies gilt zweifelsohne auch für den Religionsunterricht. Er will Kinder und Jugendliche in ihrem Werden und Wachsen unterstützen und ihnen helfen, sich in der Welt zu orientieren, Lebenswege anzubahnen, ihre individuelle Lebensgeschichte zu gestalten sowie ihre Sozialität als zoon politikon auszubilden. In diesem Zusammenhang dient ihnen die Sprache als Medium der Erschließung und Gestaltung von Welt und Wirklichkeit, aber auch als Medium der Suche nach einer gelingenden Gottesbeziehung und des Sprechens zu Gott, über Gott und von Gott. So ist der Religionsunterricht auf alle Überlegungen angewiesen, die über menschliches Reden und Hören, über Kommunikation, über die Wege sprachlicher Verständigung, über den Reichtum und die Vielfalt sprachlicher Möglichkeiten angestellt werden. Dabei ist insbesondere eine religionspädagogisch-didaktische Profilierung der Sprache in den Praxisfeldern des schulischen Religionsunterrichts angesagt und längst überfällig.

In seinem Eröffnungsvortrag hat sich Christian Danz (Wien) dem Tagungsthema theologisch angenähert. Moderne Religionsdiskurse haben zu einem Neuverständnis von Religion in der Theologie geführt. Demzufolge orientiert sich das Verhältnis von Sprache und Religion an der Sozialdimension der Religion, für die die wechselseitige Mitteilung von Menschen konstitutiv ist. So kann gesagt werden, dass sich Religion im Medium der Sprache kommuniziert. Religion entsteht ausschließlich aus der Kommunikation. Indem Religion als geschichtlich gewordene Weise der (sprachlichen) Selbstdeutung von Menschen zu verstehen ist, ist sie abhängig von der Kommunikation ermöglichenden Kultur. Mithin besteht die Notwendigkeit der Transformation religiöser Sprache und religiöser Kommunikation in der modernen Kultur. Sie hat einerseits die Adaption in der Kultur vorfindlicher Sprachen zu berücksichtigen und dem nachzuspüren, wie religiöse Sprache in kultureller Kommunikation verwendet wird, andererseits nach den Grenzen der Transformation zu fragen. Damit erhöhen sich die Anforderungen religiöser Sprachbildung in Bildungsprozessen, respektive im Religionsunterricht, weil eben religiöse Sprache als kulturelle Sinnform in der Gefahr steht, sich immer weiter zu verflüssigen.

Die Themen der Tagung wurden in vier Sektionen entfaltet.

Sektion 1 (Das treffende Wort finden – Religionspädagogische Herausforderungen zwischen Sprachschulung und Übersetzung) stand unter der Leitfrage »Was bedeutet religiöse Sprachbildung, wie sie als Bildungsauftrag an den Religionsunterricht landauf landab in den Lehrplänen formuliert ist und wie Martin Luther sie durch seine Bibelübersetzungen verstanden hat?«

Sektion 2 (Sprachfähig werden zu wollen ohne sprachfähig werden zu können? – Die religionspädagogische Dialektik des religiösen Spracherwerbs) stand unter der Leitfrage »Was bedeutet es, Kinder und Jugendliche respektive Schülerinnen und Schüler sprach- und auskunftsfähig in »Sachen Religion« zu machen, so wie gegenwärtig eines der prominentesten Kompetenzziele benannt wird?«

Sektion 3 (Neue Wege gehen – Unterrichtssprache und Kommunikation über Religion im Unterricht) stand unter der Leitfrage »Was bedeutet es, Kommunikation über Religion in einem pluralitätsoffenen Religionsunterricht anzubahnen und welche Bedeutung kommt dabei der Unterrichtssprache respektive der Lehrersprache im Unterricht zu?«

Sektion 4 (Chancen und Grenzen religionspädagogisch orientierter Sprachbildung in der Gegenwart) stand unter der Leitfrage »Was bedeutet es, religiöse Sprache unter Berücksichtigung sprachlicher Fremdheit in die Gegenwart zu transformieren?«

Die Erträge der Tagung lassen sich wie folgt zusammenfassen:

1. Religiöse Sprachbildung als wachsende Herausforderung öffentlicher religiöser Bildung am Lernort Schule

Der schulische Religionsunterricht ist einer der prominentesten Orte öffentlicher religiöser Bildung. Kinder und Jugendliche finden sich in diesem Unterrichtsfach zusammen, um in den Dialog über Glauben und Leben einzutreten oder Religion als Bildungsgehalt im Sinne des englischen »learning from religion« vorgestellt sowie Wege der Kommunikation über und Erschließung von Religion geebnet zu bekommen. Im Religionsunterricht begegnen sich Schülerinnen und Schüler mit verschiedenartigen Weltsichten, vielfältigen Einstellungen zum Leben sowie Überzeugungen und Erfahrungen, die sich in den Sprachspielen der biblischen Tradition und christlichen Überlieferung sowie den eher kirchen- und christentumsfernen bzw. andersreligiösen Sprachspielen unterschiedlich beheimatet fühlen. Kurzum: Der Religionsunterricht entwickelt sich immer mehr zu einer »vielsprachigen und multilingualen« Lerngemeinschaft, in der allerdings die christlich-religiöse Sprache erkennbar bleiben soll. Religiöse Sprachbildung und Kommunikation über Religion in einem pluralitätsoffenen Religionsunterricht zählen mithin zu den wachsenden Herausforderungen öffentlicher religiöser Bildung am Lernort Schule und geben Anlass, konzeptionell an einem sprachsensiblen Religionsunterricht zu arbeiten.

2. Wege und Ansätze religiöser Sprachbildung

Theologisch wird weiterführend und vertiefend religiöse Sprache zu bearbeiten sein. Hier haben sich zwei Aufmerksamkeitsrichtungen abgezeichnet: Einerseits wird nach den Möglichkeiten und Grenzen einer Transformation religiöser Sprache in die Gegenwart bei gleichzeitiger Wahrung und Achtung überlieferter Formen der Gottesrede zu fragen sein, um die Zukunft des christlichen Sprachspiels durch seinen lebensweltlichen Bezug offen zu halten (Hans-Peter Großhans, Münster). Andererseits wird die Frage nach einer genuin religiösen Sprache wach zu halten sein, deren Merkmale sowohl mit der Alltagssprache korrespondieren als auch ein Surplus beinhalten (Eberhard Tiefensee, Erfurt). Vor diesem Hintergrund ist allerdings grundlegend nach dem Verhältnis von Religion, Kultur und Sprache zu fragen (Christian Danz, Wien).

Weiterhin wird das Terrain abzustecken sein, innerhalb dessen die derzeit in der Theologie und Religionspädagogik entfaltete Metapher des Übersetzens von Religion auch religionsdidaktisch zur Geltung zu bringen wäre. Hilfreich ist dabei die Vergegenwärtigung der Aufgabe einer theologischen Übersetzung im Sinne Martin Luthers (Johannes von Lüpke, Wuppertal). Luther war es ein Anliegen, das treffende Wort zu finden, um das Eintreffen des göttlichen Wirkens offen zu halten. Übersetzungsarbeit ist Suche des treffenden Wortes, in dem die Zusage Gottes an den Menschen als Sprachhandlung erfasst wird und also wirkt. Das biblische Wort als Treffpunkt zwischen Gott und Mensch stiftet die Gemeinschaft zwischen Gott und Mensch – Gotteswort im Menschenwort. Im Horizont einer öffentlichen Religionspädagogik, die den Religionsunterricht auf der Basis des Sprach-, Reflexions- und Lebensgewinns der christlichen Perspektive für das Gemeinwohl begründet, wird in Anlehnung an die Modelle Rawls’ und Habermas’ Religionsunterricht im Modus des Übersetzens die Verständigung angesichts von bleibender Fremdheit, die Freiheit des Adressaten sowie die verschiedenen Handlungsfelder mit ihren eigenen Rationalitäten und Sprachwelten zu bearbeiten haben (Manfred Pirner, Nürnberg).

Religiöser Spracherwerb geht mit der Anbahnung sprachlicher Applikationskompetenz einher (Georg Langenhorst, Augsburg). Die Besonderheiten biblischer Sprachformen als angemessene Rede von Gott (Narrative, Metaphern, Symbole) sind zu vergegenwärtigen und aufzugreifen, um auf diesem Wege Kinder und Jugendliche kreativ an poetische, narrative Sprache und deren Ästhetik heranzuführen. »Wovon du nicht sprechen kannst, darüber musst du dichten.« (Theo-Poesie) Religiöse Sprachbildung als Gesamtaufgabe des Religionsunterrichts hat den Umgang mit sprachlicher Fremdheit in religiösen Bildungsprozessen in Anschlag zu bringen. Ein erster Modellentwurf vierfach einzuschlagender Wege religiöser Sprachbildung steht zur theoretischen und praktischen Reflexion zur Verfügung (Stefan Altmeyer, Mainz).

Im Rahmen der Kommunikation im Unterricht sowie der Lehrer-Schüler-Interaktion wird der Unterrichtssprache eine besondere Bedeutung zukommen. Die in der Schulpädagogik entfaltete Sicht auf das unterrichtsmethodische Sprechen als Kommunikationsstrategie, hier exemplarisch anhand der indirekten Instruktion entfaltet (Manfred Lüders, Erfurt), regt einerseits die Fachdidaktiken insgesamt zum interdisziplinären Austausch an (ein bislang uneingelöster Anspruch!), provoziert andererseits religionspädagogisch Fragen nach der methodisch-didaktischen Funktion der Unterrichtssprache, ihren Auswirkungen auf die Schülerpartizipation, die Themenkonstitution und die Schülerleistungen. Darüber hinaus wären Wege aufzuzeigen, auf denen insbesondere Religionslehrerinnen und Religionslehrer für einen achtsamen Umgang mit ihrem für Schule und Unterricht unentbehrlichen Handwerkszeug (Wort)Sprache sensibilisiert werden können (Andrea Schulte/Dorina Henschel, Erfurt).

3. Plädoyer für einen sprachsensiblen Religionsunterricht

Angesichts pluraler Lerngruppen mit wachsender Teilnahme konfessions- und religionsloser Schülerinnen und Schüler am Religionsunterricht ist respektvoller und achtsamer Austausch auf Augenhöhe bei allen am Religionsunterricht Beteiligten angeraten. Er führt langfristig dazu, dass der Religionsunterricht als Unterricht mit anderen (nicht für andere) deutlich mehrsprachiger, dialogischer, hörender sowie Alterität anerkennend zu gestalten sein wird. Religiöse Sprachbildung wird wendig die Mutter- und Fremdsprachen, Quell- und Zielsprachen, die eigene und die Sprache der Anderen zu integrieren verstehen. Sie wird Schülerinnen und Schüler befähigen, sich sowohl in der eigenen als auch in den anderen Sprachen zu bewegen und sich verständlich zu machen. Damit einher geht allerdings auch die Fähigkeit, das Nichtverstehenkönnen auszuhalten. Vielfältige Lernwege werden im Umgang mit kultureller Mehrsprachigkeit sowie sprachlicher Fremdheit in religiösen Bildungsprozessen einzuschlagen sein, die insbesondere auch der Kreativität und Ästhetik einen gebührenden Raum bereiten. Die Anforderungen an die (religiöse) Sprachbildung und -kompetenz der Religionslehrerinnen und Religionslehrer werden sich erhöhen und letztendlich nur als gemeinsame Aufgabe aller Lehrer(aus)bildungsphasen zu bewerkstelligen sein.

Eine ausführliche Dokumentation der Tagung wird als Tagungsband bei der Evangelischen Verlagsanstalt Leipzig in der von Michael Wermke und Thomas Heller herausgegebenen Reihe »Studien zur Religiösen Bildung« (StRB) erscheinen.

Andrea Schulte (Erfurt)