19.12.2016

»Sichtbare und hörbare Confessio. Mediale Artikulationen der konfessionellen Wahrnehmung im 17. Jahrhundert« – Zweiter Workshop des DFG-Netzwerks »Confessio im Konflikt. Religiöse Selbst- und Fremdwahrnehmung im 17. Jahrhundert«, 27. bis 29. Oktober 2016 in Berlin

Das DFG-Netzwerk »Confessio im Konflikt. Religiöse Selbst- und Fremdwahrnehmung im 17. Jahrhundert« verfolgt die Absicht, den medial und diskursiv artikulierten Zusammenhängen zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung und individuell-subjektivem Bekennen in ihren frühneuzeitlichen Ausprägungen nachzugehen. Es will das Zusammenspiel von Bekenntnisakt und Wahrnehmungsformation beleuchten und auf seine Realisations- und Artikulationsformen vornehmlich im 17. Jahrhundert hin befragen; die institutionellen, rechtlichen und religiös-konfessionellen Einflussfaktoren der medial artikulierten Confessio sollen in diesem Kontext genauso herausgestellt werden wie ihre Wirkung durch die historiographische Rezeption. Um in diesem Zusammenhang den Blick für die individuell-subjektive Ebene des Bekennens zu eröffnen, die ihrerseits wieder vor dem Hintergrund des Bekenntnisstands des bekennenden Subjekts und den sich daraus ergebenden Synergieeffekten zu betrachten ist, ist im Titel des Netzwerks von Confessio im Sinne eines medial artikulierten Bekenntnisakts die Rede. Der Begriff verweist bewusst auf die dem individuell subjektiven Bekenntnisakt eigene und seit dem Zeitalter der Reformationen somit faktische konfessionelle Partikularität und fungiert so als semantisches, diskursanalytisches Instrument, eben weil er sich einzeichnen lässt in das benannte Spannungsfeld zwischen individueller Meinungsbildung und überindividuellen Prägefaktoren wie Corpora doctrinae und Institutionen, die bestimmte Wahrnehmungsmuster perpetuieren und tragen. Zu diesem Zweck werden nicht nur literarisch-publizistisch, durch theologische Traktate oder die Geschichtsschreibung ausgetragene inter- und innerkonfessionelle Diskurse zwischen Persönlichkeiten und Institutionen lutherischer, reformierter und papstkirchlicher Provenienz in den Blick genommen, sondern auch Medien wie Flugblätter, Vertragstexte, Inszenierungen kirchlicher Feste sowie rituelle Zeremonien. Dabei wird bewusst eine europäische Perspektive auf die religiös-konfessionellen Wahrnehmungsformationen und deren diskursive und mediale Vermittlung gewählt, um den Blick für strukturelle Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu schärfen.
Bei dem zweiten Treffen des Netzwerks standen, vornehmlich in kunst- und musikwissenschaftlicher Perspektive, Aspekte medialer Artikulation von konfessioneller Wahrnehmung im Fokus. Der Workshop widmete sich der Frage, welche Rolle Kunst, Musik, Literatur, theologische Dispute und Geschichtsschreibung für die Austragung religiös-konfessioneller Konflikte und die Ausprägung entsprechender Wahrnehmungsformen im »langen« 17. Jahrhundert spielten.
Hierbei wurden unterschiedliche Medien bzw. Gattungen betrachtet, von Wandmalerei, illustrierten Flugblättern und anderen Druckgraphiken über Opern und Oratorien bis hin zu Universitätsreden und Werken der Geschichtsschreibung. Die Akteure – Individuen und Institutionen – reichten von Gelehrten und Theologen verschiedener Konfessionen, Kardinälen und Päpsten bis hin zu Orden, zu Universitäten und zur römischen Kurie. Folgende Fragen waren dabei leitend: Von wem wurde mit welchen Mitteln und Strategien Confessio sichtbar und hörbar gemacht, für welche Adressaten und mit welcher Wirkung? Welche Rolle spielten die individuell-subjektive sowie die überindividuell-institutionelle Confessio für die Kunst- und Musikproduktion bzw. wie wurden diese vermittelt? In ihrem Einführungsvortrag umrissen Christian V. Witt (Wuppertal) und Tobias C. Weißmann (Rom) die soeben genannten Ziele der Netzwerkarbeit und die skizzierte thematische Ausrichtung des Workshops.
Die von Benjamin Paul (New Brunswick) moderierte Sektion eröffnete ein Vortrag von Marie von Lüneburg (Wolfenbüttel) über die mediale Verarbeitung inquisitorialer Stereotype vor dem Dreißigjährigen Krieg. In einem ersten Teil zeigte von Lüneburg, dass sich Anfang des 17. Jahrhunderts in Bezug auf die Inquisition ein stark antispanisches Feindbild in den protestantischen Flugschriften etabliert hatte, der Papst in reformatorischer Tradition aber in den Illustrationen und Texten immer als ursächlicher Unheilbringer präsent blieb. In einem zweiten Teil wurde der Fall Ludolf Klenckes, der Opfer der Inquisition wurde und konvertierte, in den Blick genommen. Interessant ist hier, dass der Fall in den einschlägigen zeitgenössischen Medien keinen Widerhall fand. Filip Malesevic (Fribourg) widmete sich dem Wandel der Bilderprägung im Rom des späten 16. Jahrhunderts. Wie Malesevic zeigte, nahm das Konzil von Trient die Thematik der Sichtbarkeit für ein neues Verständnis des Papsttums in Anspruch. Ab den 1550er-Jahren ist eine Veränderung im künstlerisch-produktiven Umgang mit der Ausschmückung sowohl von Kirchenräumen als auch Privatpalästen festzustellen. Eine neue Bildprogrammatik wurde insbesondere von dem im Jahr 1596 zum Kardinal erhobenen Oratorianer Cesare Baronio verfolgt, wie Malesevic insbesondere anhand der Renovationskampagnen in Baronios Titelkirche und in der Lateranbasilika aufzeigen konnte.
Arne Karsten ARNE (Wuppertal) knüpfte an die Überlegungen zur römischen Bildpolitik an und fragte nach den Gründen für die divergierenden Umsetzungsstrategien der Reformbemühungen des Tridentinums hinsichtlich der Bilderverehrung. An verschiedenen Beispielen wurde das weitreichende Panorama der Bildpolitik der nachtridentinischen Ära vor Augen geführt, die von einer klaren, pädagogischen Bildersprache in einfach gestalteten Kirchenräumen bis hin zu komplexen Bildprogrammen, etwa Pietro da Cortonas Deckenmalerei im römischen Palazzo Barberini, reichen konnte. Karsten zufolge konnte das Trienter Konzil dennoch für die Entwicklung der europäischen Malerei grundlegende Folgen zeitigen. Gesa zur Nieden (Mainz) beschloss den ersten Tag mit Überlegungen zur Konfession und Mobilität von Musikern und Werken, was am Beispiel einer kultur- und musikwissenschaftlichen Interpretation der Figuren in den Opern und Oratorien Georg Friedrich Händels unternommen wurde. In Weiterführung jüngerer Forschungsansätze wurde gezeigt, wie ertragreich eine verknüpfende Analyse von konfessioneller Prägung und Mobilität von Musikern bzw. auch von Werken sein kann, um religiösen Profilbildungen anhand von Vergleichen und Transferleistungen nachzugehen.
Der zweite Workshoptag wurde mit einer Vorstellung des Sonderforschungsbereichs 923 »Bedrohte Ordnungen« durch Joachim Werz (Tübingen) eröffnet, über den personelle Verbindungen zwischen beiden Forschungseinrichtungen bestehen. Es folgte eine von Kai-Ole Eberhardt (Hannover) geleitete Textdiskussion zu den Einflüssen des Cartesianismus und entsprechender Gegenbewegungen auf das Theologiestudium an niederländischen Universitäten der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts.
In ihrem anschließenden Vortrag stellte Nina-Maria Klug (Kassel) sprachwissenschaftliche Konzepte vor, mit denen sich kommunikative Phänomene wie Confessio auf kultur-, diskurs- und medienlinguistischer Ebene erfassen lassen. Kommunikation wird dabei als multimedialer Verband verschiedener Zeichensysteme verstanden. Am Beispiel frühneuzeitlicher Flugblätter und Flugschriften zeigte Klug, wie die Formen und Inhalte des kommunikativen Akts der Confessio in die Analyse miteinbezogen werden können und müssen. Maciej Ptaszynski (Warschau) ging der Einordnung des Consensus Sendomirensis in die Tradition der konfessionellen Debatten in Polen seit dem frühen 16. Jahrhundert nach. Anhand ausgewählter Beispiele verdeutlichte Ptaszynski, wie die Rezeption von theologischen Positionierungen im Reich die Prozesse der Konfessionsbildung in Polen beeinflusste, an deren Ende der Consensus stand. Dieser erscheint somit nicht als Beispiel eines polnischen Sonderwegs, sondern war tief in gesamteuropäischen Diskursen verwurzelt. Andreea Badea (Rom) widmete sich der Geschichte der Päpste, die – seit Platina vernachlässigt – um 1600 geradezu ein Revival erfuhr. Dies geschah einerseits als Reaktion auf die protestantische Geschichtsschreibung, andererseits als Artikulation innerkatholischer, sogar innerkurialer Divergenzen. Im Rahmen des Vortrags wurde die historiographische Unterstützung, die vor allem Clemens VIII. innerhalb der Kurie erhielt, herausgearbeitet und untersucht, inwieweit ein antiquarisches Werk wie die Vitae et res gestae summorum pontificum (1601) von Alfonso Chacón zur Schärfung der konfessionellen Identität beitrug.
Der Tag wurde mit einer Exkursion ins Bode-Museum abgeschlossen, wo die beiden Kuratoren Volker Krahn und Hans-Ulrich Kessler durch die Sonderausstellung »Canova und der Tanz« und die Skulpturensammlung führten. Am Samstag wurde der Workshop beendet mit Einheiten zur Organisation und weiteren Planung des Netzwerks. Die nächste Netzwerktagung wird vom 16. bis 18. Februar 2017 im Theologischen Zentrum Wuppertal (Tagungsort: Internationales Evangelisches Tagungszentrum) stattfinden.

Konferenzübersicht
Begrüßung: Claudia Blümle (Berlin)
Einführungsvortrag: Christian V. Witt (Wuppertal) und Tobias C. Weißmann (Rom)
Sektionsleitung: Benjamin Paul (New Brunswick)
Marie von Lüneburg (Wolfenbüttel): »Der Kram des römischen Papstes«. Inquisition und Medien vor dem Dreißigjährigen Krieg
Filip Malesevic (Fribourg): Sichtbare Apostolizität. Kardinal Cesare Baronio und die Renovationskampagnen Papst Clemens’ VIII. Aldobrandini im Rom der zweiten Hälfte des Cinquecento
Arne Karsten (Wuppertal): Bilder nach Trient. Perspektiven auf eine ertragreiche Forschungslandschaft
Gesa zur Nieden (Mainz): Figura, Symbol, Geschichte. Konfession und Mobilität in der Musik des 17. und 18. Jahrhunderts
Joachim Werz (Tübingen): Vorstellung des Sonderforschungsbereichs 923 »Bedrohte Ordnungen« an der Universität Tübingen
Kai-Ole Eberhardt (Hannover): Theologiestudium im Konflikt. Die niederländischen Universitäten im Kontext der Cartesianismuskrise
Nina-Maria Klug (Kassel): Medium. Modus. Wahrnehmung oder: die sichtbare und hörbare Confessio
Maciej Ptaszynski (Warschau): Vor dem Consensus. Streit um Konfessionen in Polen in der Mitte des 16. Jahrhunderts
Andreea Badea (Rom): Schlachtfeld Geschichte? Die Kurie und die katholische Geschichtsschreibung im 17. Jahrhundert

Veranstalter: Tobias C. Weißmann, Bibliotheca Hertziana – Max-Planck-Institut für Kunstgeschichte in Rom / Christian V. Witt, Bergische Universität Wuppertal

Tagungsbericht von: Mona Garloff, Historisches Institut, Universität Stuttgart

(Dieser Bericht ist bereits erschienen bei H-Soz-Kult, 17.12.2016)