27.11.2015

»Bildung als Lebensbegleitung und Erneuerung«. Karl Ernst Nipkows Beiträge zur kirchlichen Bildungsverantwortung – gewürdigt und weitergedacht – (27.–29.07.2015, Evangelisches Bildungszentrum Bad Alexandersbad) – ein ausführlicher Tagungsbericht

Die Tagung »Bildung als Lebensbegleitung und Erneuerung« in Bad Alexandersbad erinnerte an das religionspädagogische Wirken von Prof. Dr. Karl Ernst Nipkow (1928–2014), der von 1968 bis 1994 an der Universität Tübingen lehrte und immer wieder Referent auf Veranstaltungen im Fichtelgebirge war. Im Untertitel der Ausschreibung wurde das Anliegen dieser Symposiums näher erläutert: »Karl Ernst Nipkows Beiträge zur kirchlichen Bildungsverantwortung – gewürdigt und weitergedacht.« Veranstaltet wurde dieser Rückblick auf den Tübingen Pädagogen vom Comenius-Institut Münster, der Deutschen Ev. Arbeitsgemeinschaft für Erwachsenenbildung, des Ev. Bildungs- und Tagungszentrums Bad Alexandersbad und des Ev. Bildungswerkes Bayreuth, Bad Berneck, Pegnitz. Eingeladen waren hochkarätige Referenten, die K. E. Nipkow persönlich kannten oder durch sein wissenschaftliches Werk angeregt und beeinflusst wurden.
In einem ersten Hauptreferat am Montagnachmittag ging Prof. Dr. Friedrich Schweitzer auf den Band Nipkows ein, der dieser Tagung den Namen gab. 1990 erschien »Bildung als Lebensbegleitung und Erneuerung« in erster Auflage im Gütersloher Verlagshaus. Schweitzer, der bei Nipkow promoviert hatte, viele Jahre sein Assistent war und seit 1995 den Lehrstuhl für praktische Theologie in Tübingen innehat, berichtete von der Entstehung des Manuskriptes und den Integrationsprobleme, vor denen der Autor stand. Ausgehend von einer Vielzahl pädagogischer Einrichtungen und Bemühungen der Kirchen (Kitas, Konfirmandenarbeit etc.), deren religionspädagogische Reflexion und Zusammenschau noch ausstand, entwickelte Nipkow eine Theorie der kirchlich-evangelischen Bildungs(mit)verantwortung, um die Religions- und Gemeindepädagogik zusammenzudenken. Dabei sollten Theologie (kirchlich-evangelisch) und Pädagogik (Bildung) einander ergänzen und korrigieren, eigenständig und »gleichursprünglich« (Nipkow) nebeneinander stehen. Eine »evangelische Pädagogik« lehnte er zu diesem Zeitpunkt strikt ab, da er sie als integralistisch ansah, immer der Gefahr ausgesetzt, dass die Pädagogik durch das Christliche überformt wird. Am Beispiel von Schulen und Erwachsenenbildung in evangelischer Trägerschaft zeigte er exemplarisch auf, dass eine auf den schulischen Unterricht ausgerichtete Religionspädagogik zu kurz greift. Schweitzer ging dann ausführlich auf die werkgeschichtlichen Voraussetzungen des Bandes ein und benannte Einflüsse durch die geistesgeschichtliche Pädagogik, die didaktische Bildungstheorie von W. Klafki sowie Einsichten aus der Beschäftigung mit F. W. Schleiermacher, J. A. Comenius und M. Luther. Gerade Letztere haben religiöse Bildung weit über die Schule hinaus in nonformalen Bildungsbereichen positioniert. Hinzu kamen Anregungen aus der Ökumene (z. B. Weltkirchenrat, Nairobi 1975), Einsichten aus der praktischen Theologie (z. B. die Arbeiten des Amerikaners J. Fowler) und Überlegungen, die bereits in seinem zweiten Band »Grundfragen der Religionspädagogik« (1975) angelegt waren. Hier waren Erfahrungen aus der Arbeit in der Bildungskammer der EKD eingeflossen, religiöse Bildung wird dort als lebensbegleitende Identitätshilfe verstanden und der Auftrag der Kirche wird als »Kirche für andere« in seiner gesellschaftsdiakonischen Ausprägung dargelegt. Dort, in der Auseinandersetzung mit der 68er-Bewegung, wird großer Wert auf eine kritische Religiosität gelegt, Kirche wird von ihren reformatorischen Wurzeln her als Menschenwerk und (selbst-)kritische Kirche verstanden. Das Zusammenfließen all dieser Aspekte zeigt Nipkows Band als ein vieldimensionales Konstrukt, in dem biographische Erfahrungen und wissenschaftliche Erkenntnisse verarbeitet wurden. Als Leitkriterium seiner Überlegungen wählt Nipkow das Motiv der Freiheit, in Anlehnung an Paulo Freire und Ernst Lange.
In einem dritten Schritt ging Schweitzer auf die Rezeptionsgeschichte und die Weiterentwicklung dieser Schrift ein. K. E. Nipkow hat mit seiner Arbeit dem Bildungsbegriff im kirchlichen Kontext zum Durchbruch verholfen, in dem er den Blick auf alle kirchlichen Handlungsfelder richtete. Davon ausgehend entstand z. B. die Bildungsberichterstattung des Comenius-Instituts, wo alle diese Felder dokumentiert werden. Der EKD-Text »Maße des Menschlichen« (2003) wurde von seinen Überlegungen maßgeblich mitgeprägt, die Kirche kam als Bildungsinstitution stärker in den Blick, vor allem durch die Arbeiten seines Schülers Reiner Preul. Eine erwünschte Qualitätsoffensive im kirchlichen Bildungsbereich zeigte leider wenig Wirkung und in der neuen Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung 2014 taucht der Bildungsbegriff kaum auf. Am Ende seiner Ausführungen formulierte Schweitzer fünf Aufgaben für die Zukunft, ausgehend von Nipkows bildungstheoretischen Einsichten:

Bildung als Aufgabe der Kirche stärker wahrnehmen
Die Anerkennung der kirchlichen Bildungsverantwortung durch den Staat
Die kirchliche Bildungsverantwortung im interreligiösen Kontext weiterdenken
Religionspädagogik im Horizont kirchlicher Bildungsverantwortung verstehen
Die Würdigung kirchlicher Bildungsverantwortung durch die Erziehungswissenschaft

Dem Referat folgte eine ausführliche Aussprache. Interessant war an dieser Stelle die Frage nach der Definition des Begriffes Bildungsverantwortung. Nipkow hat diesen Begriff immer als eine Verantwortung der Kirche für bestimmte Bildungsbereiche verstanden, aber nicht als Verantwortung vor/gegenüber etwas oder jemandem. In seinen Antworten ging Schweitzer sehr kenntnisreich auf die Fragen aus dem Plenum ein, sei es in Bezug auf wissenschaftlichen Arbeiten oder auf biographische Gegebenheiten von K. E. Nipkow.

Der Montagabend stand unter dem Thema »Weltbürgerliche Bildung«. Prof. Dr. Annette Scheunpflug vom Lehrstuhl für Allgemeine Pädagogik in Bamberg ging ausführlich auf diesen Aspekt des Werkes von Nipkow ein. Als Systematik wählte sie eine topologische Herangehensweise, um die Verschränkung der verschiedenen Aspekte des Themas zu verdeutlichen. Geprägt durch seine Arbeit im ökumenischen Rat der Kirchen und durch die Vollversammlung 1975 in Nairobi entwickelte Nipkow erste Ansätze einer Konzeption ökumenischen Lernens, in dem die Kategorie der Begegnung leitend war. Gemäß dem Motto von Nairobi »Christus befreit und eint« postulierte er eine Erziehung zur Freiheit und zur Gemeinschaft. Ökumenisches Lernen ist für ihn kein einzelnes Ressort neben anderen, sondern eine zentrale Dimension kirchlichen Handelns. Dabei zeigt sich die universalistisch verstandene Ebenbildlichkeit des Menschen in der geprägten Formulierung »Das Antlitz des Anderen« (Lévinas). Seine Überlegungen sind geprägt von einer nüchternen Anthropologie, die konfessionelle Grenzen überwindet und das Gespräch mit der Evolutionsforschung sucht. Immer wieder kreisen die Ausführungen von Scheunpflug um die Formulierung »Positionalität in Pluralität«, die Nipkow vor allem in seinem späteren Band »Bildung in einer pluralen Welt« ausgeführt hat und die einen regen Austausch in der späteren Aussprache ermöglichen. Hier wurden vor allem biographische Erinnerungen zusammengetragen, die um die Frage kreisten, welche Ereignisse in der 60er und 70er Jahren das Denken von Nipkow beeinflusst haben könnten. Es war faszinierend zu beobachten, wie hier versucht wurde, persönliche Entwicklungsschritte, welt- und kirchenpolitische Ereignisse und wissenschaftliches Forschen gleichsam wie Puzzleteile miteinander zu verknüpfen. Scheunpflug gab am Ende ihres Referates noch Anregungen, wie das Werk Nipkows in die Zukunft weitergedacht werden kann. Besonders hervorheben möchte ich hier die anthropologische Fragestellung angesichts von menschlichem Identitätsstreben und politischem Fundamentalismus und die Möglichkeit, weltbürgerliche Bildung stärker empirisch zu untersuchen.

Der Dienstag morgen begann mit einem Referat von Prof. Dr. Martina Plieth, Professorin für Gemeindepädagogik und Kirchliche Bildungsarbeit an der Ev. Hochschule Nürnberg. Im Vorgriff auf ihre Ausführungen berichtete sie von Begegnungen mit K. E. Nipkow in Tübingen und bezeichnete ihn als Pontifex maximus im volksetymologischen Sinne, als einen Brückenbauer zwischen Theologie und Pädagogik. Das Symbol der Brücke zog sich durch ihre gesamte Darstellung und war auch für die Aussprache sehr anregend. Sie bekannte, bei Nipkow das komplementäre Denken gelernt und eingeübt und dabei wichtige Weichenstellungen für das Verhältnis von Theologie und Pädagogik auf dem weiteren eigenen Weg mitbekommen zu haben. Wichtig war Nipkow an dieser Stelle, dass sich die Pädagogik nicht mit einer Theologie verträgt, die sich selbst absolut setzt. Aber ebenso auch umgekehrt. Er lehnte eine wechselseitige Unterwerfung und gegenseitige Bevormundung der beiden Disziplinen kategorisch ab. Dabei konstatierte Plieth, dass in der gegenwärtigen Diskussion ein eher geringes Interesse dieser beiden Wissenschaften aneinander besteht.
Als wichtigen Ertrag der Arbeiten Nipkows bezeichnete sie die Transformation der Katechetik in eine wissenschaftliche Religionspädagogik, die Aufnahme aktueller Diskurslagen theologischer und humanwissenschaftlicher Fächer sowie den permanenten Bezug zur Praxis der unterschiedlichen kirchlichen Handlungsfelder. Lebensbegleitendes und lebenslanges Lernen bilden eine wichtige Grundlage für die Erschließung der Lernorte Schule und Gemeinde. Die Idee der Gemeindepädagogik war hier schon mitgedacht, ohne dass der Begriff eingeführt wurde. Später wurde sie bei ihm ein Unterpunkt einer weiter gefassten Religionspädagogik. Er verstand sie als Wahrnehmungskunst und Sichthilfe für religiöse Prozesse und Inhalte. Schule diene hier einer kritischen Erschließung von (Glaubens-)Wirklichkeit, dabei spielt Lernen durch Wiederholen eine große Rolle, und Gemeinde bilde sich ab als Kult-Ur-Ort des christlichen Selbstverständnisses, wo Lernen vor allem durch Diskrepanz und in der Erfahrung von Neuem geschieht. Anschließend referierte Plieth eine Fülle von Problemlagen und Herausforderungen, die für beide Felder gelten. Hier seien nur zwei herausgegriffen: die Krise des Tradierten, der Tradierung einerseits und dem gegenüber die mangelnde Thematisierung der Wahrheitsfrage. Und: die zunehmende Subjektorientierung, die Beachtung der Lebenswelt und des gesellschaftlichen Umfeldes bei der Erschließung des christlichen Glaubens.
Bildung war für Nipkow Selbst- und Herzensbildung, während die Kirche in ihrer Rolle als Bildungsinstitution eine spirituelle Sensibilisierung für die Unfähigkeit zur und gleichzeitig den Hunger nach transzendierender Sprache möglich machen soll.
In der folgenden Aussprache wurden von den Teilnehmenden und der Referentin berufsbiographische Erfahrungen mit Theologie und Pädagogik eingebracht, die auf diese Weise sehr eindrücklich das Anliegen Nipkows bestätigten. Das Symbol der Brücke und die damit verbundene Metaphorik inspirierte die Zuhörerschaft zu vielen Wortmeldungen.

Dass Nipkow auch ein (kirchen-)politisch agierender Zeitgenosse war belegte OKR Matthias Otte, Referent für Kirche, öffentliche Schule und Jugendbildung im Kirchenamt der EKD in Hannover. Er stellte Nipkow als »Bildungspolitiker« der EKD in seinen unterschiedlichen Facetten vor. Wichtige Wegmarken hier waren die beiden großen »Bildungssynoden« der EKD von 1971 und 1978, wo Nipkow jeweils die Hauptreferate hielt und die vielen Jahre, in denen er den Vorsitz der Kammer für Bildung und Erziehung innehatte. Eine besondere Herausforderung war dann nach der Wende die Einführung des Religionsunterrichtes in den ostdeutschen Bundesländern. Ebenso hat er die beiden wichtigen EKD-Texte der 90er Jahre zu Bildungsfragen »Identität und Verständigung« (2000) und »Maße des Menschlichen« (2003) mitgeprägt und mitverantwortet. All diese Erfahrungen sind dann auch in seinen Band »Bildung in einer pluralen Welt« eingeflossen. Als Vorsitzender der Bildungskammer arbeitete er an wichtigen Fragen von Staat, Kirche und Religion mit. So brachte er fundierte Beiträge zu wichtigen Themen ein, wie etwa zum Kruzifix-Urteil des Bundesverfassungsgerichts, zur Diskussion um LER in Berlin oder zur Frage nach dem Kopftuch in der Schule. Durch diese Aufgaben und aufgrund seiner langjährigen Arbeit als Vorsitzender des Comenius-Instituts erwarb er sich den Ruf als profilierter Sprecher im Diskurs zwischen Theologie und Pädagogik bzw. Kirche und Staat. Dabei hat er als Medium und Katalysator Lernprozesse initiiert und vorangetrieben, sowie durch seine moderierende, systemische Haltung die Art und Weise des bildungspolitischen Diskurses wesentlich mitbestimmt. In der anschließenden Aussprache wurde deutlich, wie Nipkow durch seine Fähigkeit, Diskussionen und Thesenpapiere für Denkschriften zusammenzufassen und dabei auch eigene Akzente zu setzen, diese Prozesse konstruktiv voranbrachte. An dieser Stelle der Diskussion wurden auch kritische Anfragen und Erfahrungen eingebracht, etwa sein Unverständnis gegenüber der Reserviertheit ostdeutscher Religionslehrer angesichts eines Religionsunterrichtes im Rahmen der staatlichen Schule. Es schlossen sich noch ähnliche Statements an, die die Grenzen und Menschlichkeit seiner Persönlichkeit aufnahmen. Dies war gerade an dieser Stelle der Tagung gut und heilsam, da doch die Gefahr bestand, die Person und das Wirken von Nipkow zu sehr zu verklären und auf einen zu hohen Podest zu stellen.

»Selig sind die Frieden stiften, denn sie werden Gottes Kinder heißen.« Dieser Satz aus den Seligpreisungen stand am Ende der Morgenandacht des zweiten Tages und über dem dritten Referat des Vormittags von Prof. Dr. Ulrike Baumann, Dozentin am Pädagogisch-Theologischen Institut der EKiR in Bonn. Im Zentrum ihrer Überlegungen standen die beiden Bände »Friedenserziehung« (2005) und »Geschichte und Theorie der Friedenspädagogik« (2007), in denen Nipkow ein Herzensanliegen seiner späteren Jahre verwirklichte, wohl angeregt durch Begegnungen in Israel und die Ereignisse des 11. September 2001. Er fühlt sich gedrängt, hier etwas aus (religions-)pädagogischer Perspektive beizutragen und äußert sich in dieser Zeit auch erstmals biographisch zu seinen Erfahrungen als junger Flakhelfer im letzten Kriegsjahr. (Theo-Web. Zeitschrift für Religionspädagogik 5 [2006], H. 2, 19–28)
In seinen wissenschaftlichen Ausführungen will er die Praxis der Friedensarbeit durch eine entsprechende theoretische Aufarbeitung anreichern. Dabei geht er drei Schritte: Die biblische Grundlegung durch ein realistisches Menschenbild und einer Vision des Friedens wird verknüpft mit neuen Erkenntnissen der Evolutionsforschung. Ein bis dahin noch nicht gedachte Verbindung. In den biblischen Schriften begegnet uns die dunkle Seite Gottes mit ihrer Affinität zur Gewalt und den dahinter stehenden Erfahrungen Israels von Unterdrückung und menschlicher Projektion. Aber auch das Gebot der Nächstenliebe und seine Ausweitung durch Jesus, beides gegründet in der bedingungslosen Liebe Gottes.
Dann zeigt er eine schmale historische Spur der Friedenserziehung von Erasmus über Luther und Comenius und reflektiert militaristische Männlichkeitsideale im 19. Jahrhundert bis in unsere Gegenwart.
In einem dritten Schritt untersucht er unter systematischer Perspektive die Möglichkeit, Frieden zu lernen. Friedensfähigkeit kann angebahnt und gefördert werden, sowohl in intentional geplanten unterrichtlichen Zusammenhängen als auch durch informelles Lernen in unterschiedlichen Sozialisationsinstanzen. Die Ursachen von Empathie einerseits und Gewalt andererseits schlüsselt er biographisch, genderbezogen, gesellschaftlich und kulturell auf und fragt dabei nach tieferen, evolutionsbiologischen Ursachen. Als weiterführende Anregungen listete Baumann verschiedene praktische Umsetzungen der Friedenspädagogik in Schule und Gemeinde auf, die aus einem ähnlichen Anliegen entstanden sind, meist aber ohne direkte Abhängigkeit von Nipkows Überlegungen.
Dies bisherige inhaltliche Auseinandersetzung mit Nipkow und seinem Werk wurde am Nachmittag in drei Workshops vertieft, die die Arbeitsfelder Schule, Jugendarbeit und Erwachsenenbildung aufgriffen und sie mit dem Anliegen einer kirchlichen Bildungsverantwortung verknüpften. Der Abend stand im Zeichen biographischer Erinnerungen, wo Freunde, Kollegen und Weggefährten Ereignisse und Begegnungen Revue passieren ließen.

Am letzten Tag referierte Volker Elsenbast, Direktor des Comenius-Instituts in Münster 22 Leitlinien zu einer christlichen Pädagogik von Prof. Dr. Martin Pirner, der an der FAU Erlangen-Nürnberg Religionspädagogik lehrt und krankheitsbedingt nicht teilnehmen konnte. Elsenbast bezog sich dabei auf den kleinen Band »Christliche Pädagogik« von Pirner, für den K. E. Nipkow das Vorwort verfasst hat. Diese Arbeit ist im Rahmen einer empirischen Befragung unter Mitarbeitenden des Christlichen Jugenddorfes e. V. entstanden. In ihr werden Erziehung und Bildung in einem christlichen Sinnzusammenhang dargestellt, christliches Menschenbild und ethische Wertbildung auf pädagogische Anliegen bezogen sowie die religiöse und spirituelle Dimension des Menschseins herausgestellt. In der anschließenden Aussprache entwickelte sich eine muntere Diskussion, inwieweit es überhaupt eine christliche Pädagogik geben könne. An dieser Stelle war es ein sehr großer Verlust, dass der Autor nicht persönlich anwesend sein konnte. Dies hätte sicherlich zu einer kontroversen Auseinandersetzung geführt, da diese Thematik Grundfragen einer christlichen Ausrichtung von Bildungsarbeit und ihrer Auskunftsfähigkeit gegenüber einer säkularen Welt berührt.

Den Schlusspunkt der Tagung bildete ein perspektivischer Ausblick in die Zukunft, in Gestalt eines Vortrages von Prof. Dr. Henrik Simojoki, der den Lehrstuhl für Religionspädagogik an der Universität in Bamberg innehat und als akademischer »Enkel« von K. E. Nipkow gelten kann. Er thematisierte die historischen Wurzeln der Religionspädagogik K. E. Nipkows, vor allem den Blick aufs Ganze, über die religiöse Bildung hinaus (Comenius) und dann wiederum die Spezialisierung im 18. und 19. Jahrhundert, die eine eigene Disziplin Religionspädagogik erst möglich machte. Als wichtigen Verdienst benannte der das Bemühen K. E. Nipkows, der Selbstabschließungstendenz wissenschaftlicher Fächer (vor allem Theologie und Pädagogik) entgegenzuwirken, damit sie sich, fern allem hegemonialen Streben, auf Augenhöhe begegnen können. Simojoki legte mehrere Spuren in die Zukunft.
Kann die Religionspädagogik die Weite christlicher Bildungsverantwortung, die bei Comenius angelegt ist und von K. E. Nipkow reformuliert wurde, beibehalten?
Wie kann religiöse Bildungsreflexion im heutigen Wissenschaftsumfeld relevant und gesprächsfähig bleiben, gerade angesichts einer starken Dominanz empirischer Forschung? Wie kann sie hier eigene Wege gehen oder bestehende Studien mehrdimensional auslegen? Bereits in den 70er Jahren hatte K. E. Nipkow empirische Forschungen durchgeführt und angeregt.
Wie kann heute in Theologie und Pädagogik angemessen vom Menschen in seiner Singularität und Pluralität gesprochen werden? Wie lassen sich »Maße des Menschlichen« finden, die einerseits der Unstetigkeit und der Vielfalt heutigen Menschseins und andererseits den normativen Ansprüchen des christlichen Glaubens gerecht werden?
Am Ende beleuchtete Simojoki die überraschende Tatsache, dass das Thema »Zukunft« im Werk K. E. Nipkow erst in den Publikationen nach seiner Emeritierung auftauchte, nachdem er sich jahrzehntelang an anderen Themen und Inhalten abgearbeitet hatte.

Diese drei Tage in Bad Alexandersbad waren ein breit angelegtes und gelungenes Projekt, das Werk von K. E. Nipkow zu würdigen. Dies geschah durch erstklassige und sehr kompetente Referenten sowie durch ein eher schlichtes didaktisches Konzept von sich aneinanderreihenden Vorträgen mit anschließender Aussprache. Gerade darum aber habe ich diese Veranstaltung ausgewählt. Als eine wohltuende Abwechslung zu – ich überzeichne hier – Seminaren, bei denen wir alle im Stuhlkreis um einige bunte Tücher sitzen, jeder etwas von sich erzählt und so auch ein ganzer Vormittag vorübergeht. Mir hat es sehr gut getan, aus den Niederungen des mühsamen Alltagsgeschäftes in Schule und Bildungsarbeit hinaufzusteigen auf die hohen Almen der Metaebene, um Bildungsprozesse und Anliegen der Religionspädagogik wissenschaftlich zu reflektieren. Dafür danke ich den Referentinnen und Referenten und den Veranstaltern dieser Tagung.

Verfasser des Berichtes: Volker Linhard, Religionspädagoge, M. A., Offenhausen


Literatur zur Tagung:
K. E. Nipkow: Bildung als Lebensbegleitung und Erneuerung (Erstauflage 1990)
Identität und Verständigung, Standort und Perspektiven des Religionsunterrichts in der Pluralität. Eine Denkschrift der EKD (2000)
Maße des Menschlichen, Evangelische Perspektiven zur Bildung in der Wissens- und Lerngesellschaft. Eine Denkschrift der EKD (2003)
K. E. Nipkow: Christliche Pädagogik und interreligiöses Lernen – Friedenserziehung – Religions- und Ethikunterricht (2005)
Der schwere Weg zum Frieden: Geschichte und Theorie der Friedenspädagogik von Erasmus bis zur Gegenwart (2007)
M. Pirner: Christliche Pädagogik: Grundsatzüberlegungen, empirische Befunde und konzeptionelle Leitlinien (2008)
F. Schweitzer u. a: Religionspädagogik und Zeitgeschichte im Spiegel der Rezeption von Karl Ernst Nipkow (2009)
K. E. Nipkow: Gott in Bedrängnis? – Zur Zukunftsfähigkeit von Religionsunterricht, Schule und Kirche (2010)