15.10.2015

Tagungsbericht: Confessio im Konflikt. Religiöse Selbst- und Fremdwahrnehmung im 17. Jahrhundert (DFG-Netzwerktagung); 26.–28.08.2015 in Rom

Das DFG-Netzwerk Confessio im Konflikt. Religiöse Selbst- und Fremdwahrnehmung im 17. Jahrhundert hat sich vom 26.–28. August zu einer konstituierenden Tagung und Workshoparbeit in Rom versammelt und in diesem Rahmen seine inhaltliche Ausrichtung und die Teilprojekte der Netzwerkmitglieder vorgestellt und diskutiert. Auf dieser Grundlage wurde unter Bezugnahme auf zentrale methodische Ansätze aus der Geschichts- und Literaturwissenschaft eine stärkere Profilierung der Netzwerkarbeit ermöglicht und eine enge Verknüpfung der Teilprojekte forciert. Die Aufgabe des interdisziplinären Netzwerkes aus Historikern, Theologen, Literatur- und Musikwissenschaftlern und Kunsthistorikern, Konfessionalisierungsprozesse im Kontext der Artikulation von Selbst- und Fremdwahrnehmung zu untersuchen, wurde auf der Tagung facettenreich präsentiert und erhielt durch Vorträge und intensive Mitarbeit zweier Gäste, des Historikers Martin Gierl (Göttingen) und des Kirchenhistorikers Christopher Voigt-Goy (Mainz), neue Impulse. Damit wurde an die produktive Grundlagenarbeit angeknüpft, die 2013 auf der Wuppertaler Tagung Confessio im Barock geleistet und im zugehörigen Tagungsband dokumentiert worden war (Malte van Spankeren / Christian Volkmar Witt [Hrsg.], Confessio im Barock. Religiöse Wahrnehmungsformationen im 17. Jahrhundert, Leipzig 2015).

Der erste Tag des Treffens war den Vorträgen aus einzelnen Teilprojekten und ihrer Diskussion gewidmet. Dabei war vor allem der für das Projekt grundlegende Zusammenhang von artikulierter Wahrnehmung und Confessio ein bestimmendes Thema. Dieses entfaltete der evangelische Kirchenhistoriker Christian Witt (Wuppertal) in seinem Einführungsvortrag in engem Bezug zur Irenik in der Kurpfalz, insbesondere bei David Pareus. Witt nutzte den Vortrag zugleich für eine Vorstellung der Zielsetzungen des Netzwerks.

Malte van Spankeren (Erfurt) schloss daran mit einer kirchenhistorischen Reflexion über die Instrumentalisierung des Türkenbildes in konfessionellen Kontroversen des 17. Jahrhunderts an. Unter dem Titel »Die bösen Zwillinge – Türkentopik und konfessionsspezifische Selbstwahrnehmung im Orthodoxen Luthertum um 1650« konnte er zeigen, wie der Türkendiskurs ausgehend von der Reformationszeit zu einem Topos der Polemik werden konnte, der dazu diente, konfessionelles Selbstverständnis durch Abgrenzung von theologischen Gegnern zu gewinnen. Als Beispiel diente ihm dazu vor allem das Bild des Lutheraners Philipp Nicolai vom Calvinismus in seiner Darstellung der Geschichte des Christentums (Commentarius de regno Christi 1596).

Anhand der Untersuchung unterschiedlicher Interpretationen des Dreißigjährigen Krieges in der protestantischen Theologie konnte sodann die systematische Theologin Maren Bienert (Hildesheim) zeigen, wie die Darstellung des 17. Jahrhunderts zum Ausdruck der Wahrnehmungsmuster der eigenen Gegenwart wird. Dies gelang ihr in der Gegenüberstellung von Martin Kähler und Paul Tillich sowie von Karl Holl und Ernst Troeltsch. Die Analyse des 17. Jahrhunderts wurde als Forschungsdesiderat der evangelischen Systematik herausgestellt.

Der Theologe Kai-Ole Eberhardt (Münster) widmete sich in seinem Teilprojekt der theologischen Wahrnehmung des Cartesianismus in den Niederlanden. Anhand der Auslegung des Heidelberger Katechismus durch den Cartesianer Hermann Alexander Röell besprach er dessen Spannung zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung als orthodoxer Reformierter exemplarisch für ein Netzwerk cartesio-coccejanischer Theologen.

Die von der Theologie dominierten Vorträge des Tages wurden abgerundet durch eine kunsthistorische Perspektive. Tobias Weißmann (Berlin/Rom) hat die Selbst- und Feindbilder in der römischen Festkultur während des Großen Türkenkriegs (1683–1699) untersucht und dazu eindrückliches Bildmaterial präsentiert. Die Inszenierung des Sieges über die Türken ließ sich als Topos der Selbstdarstellung nachweisen. Eine Entwicklung von der Furcht vor dem Osmanischen Reich, die van Spankeren beobachten konnte, hin zu einem spielerischen und spöttischen Umgang mit dem Türkenbild war festzustellen.

Der Tag wurde mit dem Abendvortrag des Netzwerkgastes Martin Gierl (Göttingen) beschlossen. Anhand des Pietismusstreits um Philipp Jacob Spener konnte Gierl zeigen, welchen Regeln Polemik und Irenik unterworfen sind und wie sich deren Spielregeln verändern können.

Der zweite Tag des Netzwerktreffens diente der gemeinsamen Arbeit anhand von ausgewählten Texten, die von Netzwerkmitgliedern vorgestellt wurden. Während am Vortag die Theologen verstärkt zu Wort gekommen waren, stand diese Workshop-Einheit ganz im Licht der Historiker.

Mona Garloff (Stuttgart) und Andreea Badea (Rom) haben jeweils in einer Einheit in zentrale Konzeption der Analyse der Frühen Neuzeit eingeführt, während Maciej Patszyński (Warschau) den Consensus Sendomirensis als zentrale Quelle polnischer Theologie vorgestellt und diskutiert hat. Marco Cavarzere (Pisa/München) verband das literarische Motiv der Verfremdung mit Überlegungen zur Wahrnehmung im konfessionellen Kontext.

Der Tag endete mit einem Vortrag von Christopher Voigt-Goy (Mainz) zur Übersetzung und Rezeption anglikanischer kasuistischer Ethik in Deutschland. Eindrucksvoll konnte er das literarische Milieu darstellen, das sich in gelehrten Gesellschaften organisiert hat und einen transkonfessionellen Zugang zu diesen Schriften repräsentierte.

Die gemeinsame Arbeit wurde durch die obligatorischen Einheiten zur Organisation und weiteren Planung gerahmt. Die nächste Netzwerktagung wird vom 27. bis zum 29. Oktober 2016 an der Humboldt-Universität zu Berlin in Kooperation mit dem REQUIEM-Projekt und dem Institut für Kunst- und Bildgeschichte stattfinden. Der Blog des DFG-Netzwerks befindet sich im Aufbau und trägt den Titel »Perceptio & Confessio« (http://confessio.hypotheses.org/).


Tagungsübersicht

Mittwoch, 26. August 2015

Begrüßung Institutsleitung
Einleitende Worte Organisatoren

Einleitungsvortrag Christian Witt

Malte van Spankeren: »Die bösen Zwillinge – Türkentopik und konfessionsspezifische Selbstwahrnehmung im orthodoxen Luthertum um 1650«

Maren Bienert: »Entfesselte Christentümer« (J. Lauster). Der Dreißigjährige Krieg als Gegenstand theologischer Reflexion

Kai Ole Eberhardt: Hermann Alexander Röell (1653–1718) und die »Erläuterung des Heidelberger Katechismus«

Tobias Weißmann: Chiesa trionfante vs. Luna ottomana depressa. Selbst- und Feindbilder in der römischen Festkultur während des Großen Türkenkriegs (1683–1699)

Abendvortrag Martin Gierl: Der Pietismusstreit als Kirchenreform


Donnerstag, 27. August 2015

Mona Garloff: Textdiskussion (W. Reinhard, Ph. Büttgen)
Maciej Patszyński: Textdiskussion (J. Pelikan, D. Petkunas)
Marco Cavarzere: Textdiskussion (C. Ginzburg)
Andreea Badea: Textdiskussion (B. Stollberg-Rilinger, A. Brendecke)

Abendvortrag Christopher Voigt-Goy: Protestantischer Moraltransfer. Deutsche Übersetzungen englischer Ethiken im 17. Jahrhundert


Freitag, 28. August 2015

Organisation
Abschlussdiskussion



Veranstalter: DFG-Netzwerk Confessio im Konflikt in Kooperation mit dem Deutschen Historischen Institut Rom, der Universität Stuttgart und der Bergischen Universität Wuppertal (Andreea Badea, Mona Garloff, Christian Volkmar Witt)


Bericht von: Kai-Ole Eberhardt, Evangelisch-Theologische Fakultät, Westfälische Wilhelms-Universität Münster

Dieser Bericht erschien am 06.10.2015 auch bei Hsozkult ().