Buch des Monats: März 2017

Ulrich Beck

Die Metamorphose der Welt

Berlin: Suhrkamp Verlag 2017, 267 S. Geb. EUR 25,00. ISBN 978-3-518-4263-3.

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Vorab: es ist ein unvollständiges, nicht kohärent argumentierendes Buch. Dies liegt gewiss zum einen am Entstehungsprozess: Ulrich Beck hatte es – bei seinem Tod am 1. Januar 2015 – noch nicht fertig geschrieben. Seine Witwe und Kollegin Elisabeth Beck-Gernsheim und andere Kollegen sichteten Becks Aufzeichnungen – großenteils in Englisch verfasst (in dieser Sprache erschien das Buch etwas früher), manche Teile aber auch in Deutsch –, standen vor Rätseln (so Beck-Gernsheim in einer „Vorbemerkung“, 9), ergänzten, fügten zusammen, usw. Zum anderen liegt es aber auch am Thema. Beck ist einer Verwandlung von Gesellschaft auf der Spur, die in bisherigen Theoriekonzepten wie „Wandel“ oder „Transformation“ nicht hinreichend erfasst wird – und die sich selbst in einem unabgeschlossenen Prozess befindet. Damit nimmt er ein verbreitetes Grundgefühl auf – das Vorwort beginnt mit dem Satz: „Die Welt ist aus den Fugen.“ (11) – und versucht die dem zugrundeliegende Veränderung deskriptiv bzw. empirisch zu verstehen. Wissenschaftstheoretisch bedient sich Beck dabei des Rahmens einer „Theorie mittlerer Reichweite“, wie er mehrfach betont (36.98 f.102 f.129.168.197.216).
Für den (Praktischen) Theologen ist dieser Band – trotz aller Brüche und Unschärfen – deshalb so spannend, weil offenkundig auch die Kommunikation des Evangeliums einem tiefgreifenden Wandel – oder man muss jetzt besser sagen: einer Metamorphose – unterliegt, in der bisherige inhaltliche und institutionelle Gewissheiten an Bedeutung verlieren. Das EKD-Reform-Papier „Kirche der Freiheit“ würde gut in Becks Argumentation passen. Hier versucht eine Institution mit überkommenen Mitteln einen Wandel zu inszenieren, ohne zu merken, dass sie sich bereits in einer Metamorphose befindet – oder sollte das verdeckt werden?
In mehreren Anläufen erklärt Beck sein Konzept der „Metamorphose“. Sie ist „als umfassende Verwandlung (zu) definieren, aus der ein vollständig anderer Typus, eine andere Realität, eine andere Art des In-der-Welt-Seins, der Weltsicht und des politischen Handelns hervorgehen.“ (19 Anm. 1) Politisch geht es dabei um „eine Neukonfiguration des nationalzentrierten Weltbilds“ (18). „Welt“ und „Menschheit“ werden die neuen „Fixsterne“ (19). Eines der durch die hohe Geschwindigkeit dieser Verwandlung bedingten Probleme ist, dass zu ihrer Beschreibung die Begriffe fehlen. So führt Beck immer wieder neue Begriffe ein: „Definitionsmachtverhältnissse“ (129), „emanzipatorischer Katastrophalismus“ (154), „public bads“ (168), „Metamachtspiel“ (197), „imaginierte kosmopolitische Risikogemeinschaften“ (216) usw. Vermutlich werden sich nicht alle durchsetzen. Sie weisen aber – und dies ist wichtiger – auf eine kosmopolitische Perspektive hin, die konventionelle Begriffe mit ihrer impliziten Orientierung an Kontinuität und damit Vergangenem verdecken.
Plausibilität gewinnt die Argumentation Becks durch zahlreiche Beispiele, angefangen bei Tschernobyl – es geht in dem Buch auch um eine Weiterführung und Radikalisierung der „Risikogesellschaft“ – über den Klimawandel, In-vitro-Fertilisation, konkrete Umweltkatastrophen wie den Hurrikan Katrina, europäische Politik bis zu Veränderungen der Kommunikation in der Schule durch deren Digitalisierung. Dabei begegnen eigenartige Spannungen – an einer Stelle spricht Beck von „der strukturellen Schizophrenie des Zeitgeistes“ (61) –, die glatten Lösungen entgegenstehen. Mitunter, gegen Ende des Buchs immer stärker, schimmert ein gewisser Optimismus durch, wenn z.B. die „bads“ als Nebenfolgen technischer Entwicklungen durch Aktivisten zu „goods“ werden, etwa in Form neuer Normsetzungen mit allgemeiner, also kosmopolitischer Plausibilität.
Für den Theologen eröffnet sich bei vielem des hier Skizzierten ein neuer Horizont. Inhaltlich – und dies macht nachdenklich – erscheinen „Religion“ oder Christentum“ zwar nur, wenn es um Überkommenes, teilweise früher gewalttätig Durchgesetztes geht, das im Zuge des kosmopolitischen Handelns zu überwinden ist (z. B. 24.30.93 u. ö.). Kirchengeschichtlich dürfte aber der von Beck angeregte Ansatz einer (neuen) Gesellschaftsgeschichte interessant sein, die von den Nebenfolgen ausgeht (71 f.). Praktisch-theologisch steht der kosmopolitische Ansatz u. a. der nach wie vor verbreiteten Konzentration auf deutsche evangelische Landeskirchen entgegen – und zwar aus empirischen Gründen.
Insgesamt also liegt ein kantiges, unvollendetes Opus vor, das viele Anstöße und Anregungen bietet.

Christian Grethlein (Münster)

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