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Ausgabe:

Juni/1997

Spalte:

612 f

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Kerner, Hanns, u. Manfred Seitz [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Die Reform des Gottesdienstes in Bayern im 19. Jahrhundert. Quellenedition Bd. 1.

Verlag:

Stuttgart: Calwer 1995. XIV, 733 S. gr.8°. geb. DM 248,­. ISBN 3-7668-3401-0.

Rezensent:

Christian Grethlein

Der gewichtige, gut ausgestattete Band eröffnet die breit angelegte Edition sämtlicher Entwürfe zur Gottesdienstordnung und Agende in der bayrischen Landeskirche zwischen 1823 und 1879, also der endgültigen Erstellung einer kirchenamtlich approbierten Agende. Dieses Editionsvorhaben dürfte weit über die bayerische Liturgiegeschichte hinaus Bedeutung bekommen. Denn der erfaßte Zeitraum spiegelt zugleich den Übergang von noch aufklärerisch gestimmtem zu konfessionell-lutherisch geprägtem Gottesdienstverständnis.

Der vorliegende Band skizziert eingangs knapp die Editionsgrundsätze. Dabei war das Ziel leitend, der weiteren Forschung verläßliches Grundlagenmaterial zur Verfügung zu stellen und deshalb die publizierten Quellen ­ insgesamt achtzehn Gottesdienstordnungen und Agenden, von denen zwölf handschriftlich und sechs gedruckt vorliegen ­ möglichst exakt wiederzugeben (einschließlich Hinweise auf handschriftliche Bearbeitungen o.ä.). Insgesamt leuchten die Leitlinien ein; erfreulicherweise werden sie aber bei besonderer Quellenlage ­ so ist der Agendenentwurf von 1825 nicht auffindbar und wird rekonstruiert ­ den jeweiligen Gegebenheiten der einzelnen Texte angepaßt.

Dann folgen ­ von verschiedenen Mitarbeitern des Forschungsprojekts ediert ­ im vorliegenden Band sieben Dokumente, angefangen beim Aufriß einer Agende von 1823 und dem Entwurf einer Agende von 1825 über die Rekonstruktion des Entwurfs einer Gottesdienstordnung von 1826, einen weiteren knappen Entwurf von 1827, den Entwurf einer Gottesdienstordnung von 1828 bis hin zur sehr ausführlichen Darstellung eines Entwurfs einer Agende von 1830 bis zu seiner Endredaktion von 1836 (397-652).

Diese Texte werden einleitend jeweils sehr knapp historisch in ihrer Entstehungssituation skizziert, wobei gerade die Fußnoten dem geduldigen Leser bzw. der geduldigen Leserin weitreichende und wichtige Einblicke gewähren. Danach gibt es knappe Informationen zur Verfasserfrage.

Bei den Texten selbst stehen für Detailfragen ein textkritischer Apparat und ein Sprach- bzw. Sachapparat zur Verfügung, die jeweils den unteren Teil der Seite einnehmen. Dadurch können einerseits die Dokumente von vornehmlich an Sachinformationen Interessierten gut gelesen werden; andererseits erschließen sich die philologischen oder historischen Details schnell, aber nicht die laufende Lektüre störend, durch einen Blick nach unten. Angesichts der Vielzahl der jeweils zu beachtenden Gesichtspunkte ist dies eine sehr gelungene editorische Lösung.

Dies gilt vor allem deshalb, weil eine Beschränkung der Lektüre dieses Bandes nur auf Spezialisten für bayrische evangelische Liturgiegeschichte bedauerlich wäre. Vielmehr bieten die Texte ­ in Verbindung mit oft sehr informativen Hinweisen im Sachapparat ­ eine vorzügliche Einführung in mentalitäts- und frömmigkeitsgeschichtliche Zusammenhänge, die sowohl (Kirchen-)Historiker als auch Praktische Theologen faszinieren dürften.

So fand der Rez. interessante Passagen zu Praktiken und Problemen im Umfeld der Sakramente wie auch bis heute nachdenkenswerte Hinweise zu einzelnen liturgischen Gestaltungsfragen. Das ausführliche Sachregister (705-722) ermöglicht bei Fragen zu einzelnen Sachgegenständen eine schnelle Information. Daneben umfaßt der Anhang ein Archiv-, Agenden- und Literaturverzeichnis sowie ein Personen-, Orts- und Bibelstellenregister.

Insgesamt liegt hier also der rundum gelungene erste Band eines größeren Projektes vor, auf dessen weitere Durchführung man sich freuen darf und dessen Gewinn ­ wie angemerkt ­ gewiß nicht nur der bayrischen liturgiegeschichtlichen Forschung zugute kommen dürfte.