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Ausgabe:

Juni/1997

Spalte:

600–602

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Hopkins, Julie M.

Titel/Untertitel:

Towards a Feminist Christology. Jesus of Nazareth, European Women and the Christological Crisis.

Verlag:

Kampen: Kok Pharos 1995. 134 S. gr.8°. Kart. DM 39,90. ISBN 90-390-0049-2. (Dt.: Feministische Christologie. Wie Frauen heute von Jesus reden können. Aus dem Englischen von E. Dieckmann, Mainz: Grünewald 1996. 156 S. gr.8° Kart. DM 42,­.)

Rezensent:

Ulrike Link-Wieczorek

Dies ist ein erfrischend ehrliches und vor allem kirchlich engagiertes Buch. Die Vfn. arbeitete als baptistische Pfarrerin in London und Cardiff, bevor sie 1988 eine Stelle als Dozentin für Feministische Theologie an der Theologischen Fakultät der Freien Universität von Amsterdam bekam, auf der sie noch heute wirkt.

Man kann sagen, daß sich die britische Baptistin von der ersten bis zur letzten Seite mit ihrer spezifischen protestantischen Tradition auseinandersetzt und dabei besonders für Pfarrerinnen geschrieben hat: Für westeuropäische protestantische Pfarrerinnen, vornehmlich aus freikirchlichem Milieu, die ­ wie ihre landeskirchlichen Kolleginnen ­ zu ringen haben mit übermäßigen Erwartungen von seelsorgerlicher und sozialer Fürsorge sowohl von sich selbst als auch von ihren Gemeinden, die in ihrer Jugend möglicherweise durch Evangelisten wie Billy Graham überhaupt erst an die Kirche herangeführt wurden, mindestens jedoch in einem generell pietistisch-geprägten Umfeld aufgewachsen sind und auch jetzt wirken. So ist es kaum die Zwei-Naturen-Christologie, mit der dieser Entwurf einer feministischen Christologie ringt, sondern eher ein romantisch-verklärtes Jesusbild und eine sowohl rationalistisch wie moralistisch geprägte Stellvertretungs-Soteriologie.

Die Vfn. vermag der Kritik bekannter "Post-Christinnen" wie Mary Daly und Daphne Hampson an der Unterdrückung des Weiblichen in der Kirche durchaus zuzustimmen, ebenso wie deren These, daß dies oft mit einer Bezugnahme auf die Männlichkeit Jesu mindestens zusätzlich begründet wurde. Aber sie mag deren Schritt in die post-christliche Ära nicht mitvollziehen. Stattdessen finden wir sie auf der Suche nach einer protestantischen Frauen-Spiritualität, in der eine indirekte Bezugnahme auf den historischen Jesus und seiner gestalterischen Bewegung für das Reich Gottes über einen "Dialog der Gemeinden" geübt wird. So dürfen wir uns die Frauen der Gemeinde im walisischen Cardiff in der Diskussion mit der Gemeinde vorstellen, aus der das Markus-Evangelium erwachsen ist, ohne dabei zu erwarten, daß sich die Standpunkte automatisch angleichen müssen. Aber wie die nachösterliche Jesus-Bewegung werden sie dabei einen Lebensstil zu entwickeln versuchen, der Zeichencharakter hat als eine eschatologische Gemeinschaft für das kommende Reich Gottes (45).

Feministische Christologie ist bei der Vfn. eben diese eschatologisch-gestalterische Erinnerung von Frauen in der Kirche an Jesus und seine Ankündigung des Gottesreiches. Sie ist damit weder eine Explikation der Kreuzestheologie als Sühnetheorie, noch real-ontologisches Nachzeichnen der Zwei-Naturen-Lehre. Ja, sie ist im Grunde noch nicht einmal eine Lehre von der Person des Menschen Jesus ­ trotz eines relativ ausführlichen Referates über die Entwicklung der historischen Jesus-Forschung im zweiten Kapitel, das verbunden wird mit der Mahnung, diese nicht in weiten und abstrakten Begriffs-Hülsen wie "Christus des Glaubens" untergehen zu lassen (22f.). Vielmehr ist diese feministische Christologie in eine kontextuelle Theologie gebettet, in der das Geschick Jesu in seiner Auswirkung auf die zeichenhafte Gottes-Gemeinschaft der Gleichheit von Frauen und Männern in den Gemeinden relevant ist. Theologisch ist dies freilich kein wirklich neuer Ansatz:

Nicht nur bei Schleiermacher in der deutschen Theologiegeschichte, sondern auch bei den anglikanischen liberalen Entwürfen des 19. Jh.s ließe sich vieles in dieser Richtung schon finden ­ allerdings ohne die Konzentration auf die frauenspezifische Perspektive. Aber dies sollte kein Argument gegen einen solchen Entwurf sein, denn nicht zuletzt die heftige Diskussion der ebenso heftig wie engagiert vorgetragenen These über die Auferstehung von Gerd Lüdemann in Deutschland zeigt, daß viele Themen, die im 19. Jh. diskutiert worden sind, nur selten in den Gemeinden über die Theologie der Pfarrer und Pfarrerinnen vermittelt, geschweige denn weiterentwickelt worden sind.

Die 138 Seiten kurze Skizze der Vfn. über die Konturen einer noch zu entwickelnden feministischen Christologie ist in sieben knappe Kapitel eingeteilt: Sie schlagen einen Bogen über Überlegungen zum Kontext europäischer Frauen am Ende des 20. Jh.s und die Pluralität von Christologien überhaupt (8ff.), das Plädoyer für eine "Christologie von unten", die den historischen Jesus als Objekt des Gemeindeglaubens versteht (22 ff.), das wichtige Kapitel über das Markus-Evangelium als Partner im "Dialog der Gemeinden" (34 ff.), die Interpretation der Kreuzestheologie als Theologie des Leidens im Aufbau des Reiches Gottes (48 ff.), das Plädoyer für ein Verständnis der Rede von der Auferstehung als "Mythos", der konstruiert ist aus der Retrospektive der Christus-praesens-Erfahrung der Gemeinden (64 ff.), dem ebenfalls bereits im Anglikanismus des 19. Jh.s mehrfach explizierten Versuch, die klassische Inkarnationschristologie zu "verbreitern" und von einer Inkarnation als Gegenwart Gottes in allen Menschen reden zu können (81 ff.) sowie der ab-schließenden Mahnung, in der Rede von Jesus Christus so zu sprechen, daß auch Menschen, die am Rande der Kirche stehen, sich eingeladen fühlen können, an der Entwicklung einer neuen Spiritualität mitzuwirken (98 ff.). Obwohl dies alles expliziert wird als notwendig für eine spezifisch Frauenerfahrungen und -probleme einholende Christologie, gilt das meiste hier Gesagte für Frauen und Männer in der Kirche ­ wie ja auch entgegen dem Eindruck, den die Autorin zu erwecken scheinen will (41), nicht nur Frauen in der Friedensbewegung beteiligt waren.

So sei zum Schluß doch noch Kritisches zu diesem Entwurf gesagt: Die Entscheidung, sich mit diesem Buch nicht an ein akademisches Spezialpublikum zu wenden, ist grundsätzlich zu begrüßen und unbedingt notwendig. Es fragt sich allerdings, ob dies zwangsläufig mit eiligen Urteilen über Konzepte der Theologiegeschichte verbunden sein muß, wie etwa: die patristische Christologie betonte das Geschlecht Jesu (91); die Rede vom "logos spermatikos" sei eine "männliche Metapher" und daher unbrauchbar für eine feministische Christologie (83); die protestantische Rechtfertigungslehre unterstütze die Interpretation von Leiden und Unglück als Strafe Gottes (50 ff.); die Rede von Christus als Herr sei eine Entwicklung aus dem römischen Kaiserkult (75) oder ein historisches Auferstehungsverständnis habe in der Vergangenheit generell als Beweis für die "Göttlichkeit Jesu" gegolten (76).

Noch größer als das Risiko solcher Verkürzungen ist jedoch die Gefahr eines solchen Projektes, Unklarheiten in der Argumentationsstruktur unter der Oberfläche weiter brodeln zu lassen, so daß es für die Pfarrerin im Alltag des Gemeindegeschäftes doch schwierig sein wird, ihre konkrete Christologie anhand dieser Skizze zu entwickeln. Die Vfn. läßt zum Beispiel absolut offen, ob sie nun doch noch anknüpfen will an der pietistischen Jesus-Beziehung der Gläubigen oder ob sie diese durch eine indirekte nachösterliche Bezugnahme auf die "story’ im Dialog der Gemeinden ersetzen will (24 ff). Ähnlich unklar ist ihr Inkarnations-Begriff: Einerseits will sie ihn ausweiten und als Rede von der Gegenwart Gottes im Menschen schlechthin verstehen, andererseits plädiert sie für einen Inkarnationsbegriff, in dem man auch die assumptio des weiblichen Körpers denken könne (97). Es ist schade, daß sie hier nicht mehr über die möglichen Strukturen einer solchen Inkarnationschristologie sagt. Geht sie wirklich über eine Theorie des "logos spermatikos" hinaus?

Zumindest wäre zu fragen, inwiefern die Vfn. mit ihrer Christologie mehr oder gar anderes sagt als 1976 Geoffrey Lampe mit seiner Geist-Christologie (God as Spirit), nach der sich der Geist Gottes in Jesus zwar besonders verdichtete, jedoch nicht wirklich zu trennen ist von seinem Wirken als "Interpretationsenergie" (U. L.-W.) in jedem gläubigen Glied der Kirche. Der Vorschlag, eine Christologie im "Dialog der Gemeinden" zu entwickeln, könnte in der Tat für viele Gemeinde-Theologien noch immer völlig neu sein. Insofern ist es unbedingt zu begrüßen, daß dieses Büchlein auch in deutscher Sprache zu lesen ist. Aber dieser Dialog ist doch wohl kaum mit der Selektion des Markus-Evangeliums allein wirklich zu leisten ­ es sei denn, man bzw. frau wäre in Wahrheit doch noch auf der Suche nach direkten Identifikationsmustern, die zum Nacheifern empfohlen werden könnten. Der Mut, sich dieser Sehnsucht zu entledigen, könnte hingegen doch auch ein Effekt der Wirksamkeit der Frauen und Männer befreienden Gegenwart Gottes sein.