Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Juni/1997

Spalte:

599 f

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Berger, Klaus

Titel/Untertitel:

Wie kann Gott Leid und Katastrophen zulassen?

Verlag:

Stuttgart: Quell 1996. 244 S. 8°. Kart. DM 29,80. ISBN 3-7918-1951-8.

Rezensent:

Bernd Hildebrandt

Eine Theodizee, die das Leiden von Gottes Willen her ursächlich erklären wollte, ist vom biblischen Zeugnis her nicht nur nicht möglich, sondern stünde im Widerspruch zu ihm. Gleichwohl müssen, wenn alles, was geschieht, mit dem Verhältnis Gottes zum Menschen zu tun hat, auch Leiden und Sterben in diese Perspektive mit hineingenommen werden (33). Und dann gilt es durchaus, Sinnzusammenhänge zu erschließen, ohne indes eine Gesamttheorie der Wirklichkeit entfalten zu wollen (228). Angesichts der Liebeszusage Gottes einerseits und der Realität von Leiden und Tod andererseits wird die Frage nicht nur nach solchen Sinnzusammenhängen, sondern nach der Sinnhaftigkeit des Lebens überhaupt radikal verschärft. Der biblische Begriff der Versuchung meint genau dieses Phänomen (75), und es kommt dem Vf. darauf an, diesen Begriff im Blick darauf zu interpretieren, daß Gott dem Menschen das Reich Gottes zugedacht hat.

Der Vf. macht deutlich, daß dieser letzte Horizont des Reiches Gottes, den er auch als Heil und Identität des Menschen bezeichnen kann, vorauszusetzen ist, soll die bibische Deutung des Leidens einsichtig werden. Denn es lehrt etwas für den, der darum weiß, daß die eigentliche Katastrophe der "zweite Tod" als die ewige Gottesferne ist. Den zweiten Tod zu vermeiden und den Menschen das ewige Heil zu eröffnen, ist Gottes Liebeswille. Darum gilt: "Man kann das Verhältnis Gottes zum Leiden im Sinne des Neuen Testaments nur begreifen, wenn es mehr gibt als dieses irdische Leben (141)." Leiden und Tod werden zu Zeichen bzw. Signalen. Wenn allerdings das Ganze aus dem Blick gerät, auf dessen Verlust die Signale hinweisen, dann wird man auch die Signale nicht mehr verstehen und die stummen Katastrophen werden für das Letzte gehalten (123). Der Vf. fragt, ob die Virulenz der Theodizeefrage nicht genau dieser neuzeitlichen Situation korrespondiere (115).

Die Leiden fordern den Menschen auf, sein Leben zu überdenken und sich zu Gott zu bekehren. Für den Bekehrten indes ist das Leiden eine Versuchung, der er nur recht begegnen wird, wenn er im Glauben wächst. Aber nicht Gott ist es, der versucht, sondern der Mensch gerät in Umstände, die sein Verhältnis zu Gott auf die Probe stellen (71). Auch die Gerichtsandrohung, die noch einmal in aller Schärfe die Frage aufwirft, ob Gott Leid zufügt, ist unter diesem Aspekt zu sehen. Und das heißt: Soll "die Versuchung den Menschen zum Glauben reizen, so soll die Hölle ihn zum Handeln bewegen" (127). Indem das Leiden auf diese Weise funktionalisiert wird, kommt es zu seiner Relativierung. Sie bedeutet keineswegs seine Verharmlosung oder gar seine "Entbösung" (114), wohl aber die Erinnerung daran, daß Leiden und irdischer Tod Vorletztes sind, die auf Verlust oder Gewinn des Letzten, wenn denn der Mensch ihren Signalcharakter wahrnimmt, hinweisen (242).

In allem aber wird vorausgesetzt, daß Gott nicht Verursacher des Leidens ist und das Leiden nicht Ausdruck des Willens Gottes. Gott nimmt es vielmehr nachträglich in den Dienst und läßt es insofern zu. Diese Indienstnahme aber gehört dem Geschehen an, das das Leiden und das Böse entgegen ihrer eigenen Tendenz überwinden und Gottes Reich heraufführen wird. Der Mensch nimmt schon, indem er dem Leiden gegenüber nicht stumm bleibt, vielmehr sich im Gebet einschließlich der Klage an Gott wendet, teil am Gotteskampf gegen das Böse. "Wer durch Leiden bedrängt zum Lob Gottes findet und wer in der Auseinandersetzung mit dem Leiden als Christ standhält, der drängt es zurück, indem er Gottes Herrschaft erlaubt, sich an die Stelle von Leiden und Chaos zu setzen. Das Chaos wird überwunden, indem gerade an dieser Stelle Gott anerkannt wird" (165).

Mit dieser Sicht wird das Verständnis des Willens Gottes präzisiert, und zwar auch im Blick auf das Kreuzesgeschehen. Dieses ist nun nicht die Durchführung eines vorbedachten göttlichen Planes. "Denn nicht das Geschehen an sich ist nach Gottes Willen, sondern nur das Handeln oder Leiden bestimmter daran beteiligter Personen" (138). Wenn hinsichtlich des Kreuzes Jesu vom Willen Gottes geredet werden muß, dann allein in dem Sinn, daß das Festhalten Jesu an Gott in der Erfahrung äußerster Gottverlassenheit Gottes Wille ist, weil Jesus damit das Böse nicht über sich triumphieren läßt und sich darin als der Gottgesandte erweist, "der auf Gottes endgültiges Retten vertraut" (139). So "ermöglicht (er) es Gott dann auch, daß er in der Auferstehung das abschließende Zeichen der Legitimation selbst setzt" (140).

Die verschiedenen Anläufe, die der Vf. für die Explikation des Themas unternimmt, spiegeln das bohrende und nicht zur Ruhe kommende Fragen nach dem Verhältnis Gottes zum Bösen und zum Leiden, wenn er doch der Schöpfer der Welt und dem Menschen in Liebe zugetan ist. Indem der Vf. auf diese Fragen, die intra et extra muros ecclesiae gestellt werden, eingeht, dient sein Buch dem elementaren Verstehen der biblischen Botschaft. Die Antworten überzeugen.

Der Vf. rückt im Aufnehmen solcher Fragen Aussagen über die (All-) Macht Gottes zurecht und revidiert Vorstellungen hinsichtlich eines Strafleidens Jesu. Ebenso wehrt er sich gegen ein Gottesbild, das eher einem philosophischen Prinzip Liebe entspricht (234), als daß es die Personhaftigkeit Gottes samt deren dunklen (verborgenen) Seiten zum Ausdruck bringt und dann schließlich von einer wirklichen Ohnmacht Gottes meint reden zu müssen. Ein solches Theologumenon konnte nur Platz greifen, weil die Dimension der Leidenssolidarität Jesu gerade als Gottessohn in Vergessenheit geriet (198) und die Hoffnung auf Auferstehung als ein Handeln Gottes verblaßte (199). Das Band, das die vielen Einzelaussagen miteinander verknüpft, ist die Interpretation des Schöpfers. Sie wird als ein Kampfgeschehen verstanden, in dem Gott die Chaosmächte und das Böse als das Lebensfeindliche zurückdrängt und schließlich in Christus entmächtigt, und zwar nicht ohne den Menschen, der in der Kraft des Heiligen Geistes teilhat an der Verwirklichung der Schöpfung.

Wenn sich dem Rez. trotz grundsätzlicher Zustimmung zwei Problemanzeigen aufdrängen, dann beziehen sich diese nicht auf die Antworten als solche, sondern auf die Randbedingungen, die der Vf. für diese voraussetzt. Und zwar handelt es sich zum einen um die Zurücknahme des Begriffs der Schöpfung als "creatio ex nihilo" zugunsten der Behauptung, daß das Lebensfeindliche, Chaotische und Böse dem Schöpfungshandeln Gottes vorgegeben sei (45). Wird damit schließlich nicht doch der Versuch einer Erklärung des Bösen unternommen? Und wird nicht zum anderen durch die eine Perspektive und Linie, in der Schöpfung und Erlösung zu stehen kommen, das Spannungsvolle, das in dieser Zweiheit liegt, aufgehoben?