Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Juni/1997

Spalte:

595–597

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Taube, Roselies, Tietz-Buck, Claudia, u. Christiane Klinge

Titel/Untertitel:

Frauen und Jesus Christus. Die Bedeutung von Christologie im Leben protestantischer Frauen.

Verlag:

Stuttgart-Berlin-Köln: Kohlhammer 1995. 205 S. gr.8°. Kart. DM 34,80. ISBN 3-17-013232-6.

Rezensent:

Margit Eckholt

Biographieforschung ist in der Theologie (vor allem der Pastoraltheologie) der letzten Jahre von immer größerer Wichtigkeit geworden. Vermittlung des Glaubens muß die biographische Prägung jeder und jedes einzelnen berücksichtigen; die Einbeziehung von Lebensgeschichten in die Ausgestaltung von Theologie kann diese stärker in der Realität gelebten Glaubens verankern. "Die Frage, wie Heil und geschichtliches Leben ohne gegenseitige Verkürzung miteinander in Beziehung gebracht werden können", so J. B. Metz (Glaube in Geschichte und Gesellschaft, Mainz 31980, 188), der wesentliche Impulse für die Entfaltung einer narrativen Theologie gab, "darf getrost als ein Zentralthema der gegenwärtigen Systematischen Theologie angesehen werden."

Hier setzt die Studie "Frauen und Jesus Christus. Die Bedeutung von Christologie im Leben protestantischer Frauen" der drei Autorinnen Roselies Taube (Pastorin und Lehrbeauftragte für Systematische Theologie an der Universität Hamburg), Claudia Tietz-Buck (Studium der Ev. Theologie in Hamburg) und Christiane Klinge (Sozialpädagogin/Diakonin des Rauhen Hauses, Studium der Ev. Theologie in Hamburg) an. Die Studie, von der "Koordinationsstelle Frauenstudien/Frauenforschung" der Universität Hamburg unterstützt, ist an der Schnittstelle von­ und sicher auch am Graben zwischen ­ Universitätstheologie, feministischer Theologie und Frauenforschung und Gemeindearbeit angesiedelt. "Frauen aus Gemeinden mit Universitätstheologie ins Gespräch zu bringen ­ das müßte doch im Sinne einer Theologie sein, die das Leben von Menschen betreffen will. Sie müßte daran interessiert sein, welche ihrer Schwerpunkte ’draußen’ wichtig werden, welche keine Wahrnehmung finden und wo Fragen, Ängste und Leerstellen für die Lebenspraxis sind" (9). 15 protestantische Frauen unterschiedlichen Alters, mit je unterschiedlicher familiärer oder beruflicher Einbindung wurden über ihren Glauben, ihre Beziehung zur Kirche und die Bedeutung Jesu Christi für ihr Leben interviewt, die Interviews wurden im Blick auf wesentliche Momente der Christologie ausgewertet.

Die 11 Kapitel des Buches orientieren sich an der christologischen Themenstellung (Kap. 1-6: Der "ethische Jesus", Kreuz und Leiden Jesu Christi, Tod und Auferstehung, Das Gottesverständnis im Zusammenhang mit der Christologie, Schuld und Gnade, Hoffnung) und bringen diese vor allem mit den Glaubenserfahrungen der Frauen in den Gemeinden in Verbindung (Kap. 7-10: Jesus Christus als Grund von Gemeinschaftserfahrungen, Die Bedeutung von Gottesdiensten für den Glauben an Jesus Christus, Geschichten und Bilder des Glaubens an Jesus Christus, Kirche als Instanz christlichen Glaubens). Im abschließenden Kapitel wird die Frage nach der Bedeutung Jesu als Mann im Glaubensleben der Frauen gestellt. Jedes Kapitel ist identisch strukturiert: Es werden Aspekte traditioneller und feministischer Theologie mit Aspekten aus den Erzählungen der Frauen konfrontiert, ein Resümee schließt die Überlegungen jeweils ab.

Ein wichtiges und für die universitäre Theologie heilsames und sicher zu vertiefendes neues Moment ist das Hören auf die Glaubensgeschichten der Frauen. Deutlich wird ein tiefes Defizit an Glaubenswissen, eine sehr fragmentarische und bei den einzelnen Frauen je unterschiedliche Umsetzung der Glaubensinhalte in die eigene Lebensgeschichte. Die Distanz zur traditionellen und zur feministischen Theologie ist bei den Gemeindefrauen gleich groß: "Zufrieden mit der eigenen Glaubenspraxis und unsicher in der Glaubenstheorie ­ so stellen sich viele unserer Interviewpartnerinnen dar" (43). Nicht in den eigenen Glaubensvollzug umgesetzt sind viele Kerngehalte des Glaubens an Jesus Christus, so die Heilsbedeutung des Kreuzes (55), von Tod und Auferstehung (69), das christologische Moment der Gottessohnschaft Jesu (80).

Die Autorinnen weisen den neuen Umgang mit traditionellen Glaubensgehalten in der feministischen Theologie auf und versuchen, die Gemeindefrauen, die der feministischen Theologie eher skeptisch gegenüberstehen, für diese zu sensibilisieren. Dem feministisch-befreiungstheologischen Grundtenor des Buches zufolge liegt der mangelnde Zugang zur feministischen Theologie vor allem daran, daß die Gemeindefrauen "die autoritären Strukturen der Kirche und die patriarchalen Inhalte des Glaubens nicht... hinterfragen." (194)

Eines der Fazite im Blick auf die Christologie lautet so: "Wenn wir uns diesen Sachverhalt klarmachen, stellt sich mit aller Brisanz die Frage, ob eine Theologie und Kirchlichkeit, die sich auf einen Mann in ihrem Zentrum beruft, das Patriarchat entmachtende Bilder vermitteln kann. Vielleicht wäre es hier wichtig, das wieder pointiert in den Mittelpunkt zu stellen, was das Anliegen Jesu ­ und nicht nur seines! ­ war: die Nähe des Reiches Gottes als Gemeinschaft von Gleichgestellten zu leben und zu verkünden... Er steht dann in einer Reihe von Frauen und Männern, die gegen Benachteiligung aufstanden. Auch aus dieser Interpretation können Bilder entstehen, die Frauenmacht stärken und Visionen der Gleichrangigkeit entwickeln helfen" (156).

Es darf an dieser Stelle sicher ­ bei aller Notwendigkeit einer frauenspezifischen Formulierung der Glaubensgehalte ­ die Reduktion des Glaubens an Jesus, den Christus, hinterfragt und dabei gleichzeitig gefragt werden, ob diese, den Lebens- und Glaubensgeschichten der Frauen scheinbar nahe Reduktion nicht in gleicher Weise eine Rückfrage an die "traditionelle", universitäre Theologie stellt, die Glaubensgehalte neu und lebensnäher zu formulieren und vor allem die Strukturen der Vermittlung der Inhalte zur Praxis der Kirche hin zu überdenken. Universitäre und feministische Theologie haben z. B. viele Materialien zu den Frauengeschichten in der Bibel erarbeitet, die fehlende Kenntnis auf Seiten der Frauen ­ ein Defizit, das auch die Autorinnen beklagen (197) ­ stellt gerade die Vermittlung des Glaubens und damit die kirchliche Praxis in Frage. Stärkung des Selbst- und Glaubensbewußtseins der Frauen muß nicht, wie die Autorinnen in ihrer Berufung auf die protestantische Tradition fordern (197), positiv verstandene Kirchlichkeit ausschließen.

Positiv zu werten ist das Ziel der Autorinnen, auf dem Weg der Lektüre der Lebens- und Glaubensgeschichten der protestantischen Frauen eine "Theologie des Volkes" zu erarbeiten, vor allem um die "Diskrepanz zwischen Schultheologie und Gemeindespiritualität" aufzuarbeiten und an der "Entwicklung alltäglicher theologischer Kompetenz" zu arbeiten (15):

"Theologie würde Lebensgeschichten von Menschen für andere aufschließen. Das Wissenschaftsverständnis Systematischer Theologie würde sich eher an Vielfältigkeit und Kontextualität orientieren, statt primär auf Verallgemeinerung und Absolutheit zu dringen" (12/13). Damit soll ein Beitrag "zur Eruierung der sogenannten Volksfrömmigkeit am Beispiel des Themas ’Christologie’" geleistet werden. "Im engeren Sinne: zu einem konkreten Thema die Stimmen derer wahrzunehmen, die an der Basis die Gemeinden tragen, aber wenig wahrgenommen werden. Das sind die Frauen, die in irgendeiner Weise am Gemeindeleben beteiligt sind" (21).

Hier ist zu wünschen, den Glaubensgeschichten der Frauen weiter nachzugehen, die nur kurz angesprochenen Fragen nach Gott, nach Schuld und Erlösung, nach Hoffnung, Kirche und Gemeinschaft usw. zu vertiefen. Über die Grenzen der Konfession hinaus könnten sicher auch Gemeinsamkeiten im Glaubensverständnis von protestantischen und katholischen Frauen entdeckt und so ein neuer Beitrag zur ökumenischen Theologie geleistet werden.